Pharmaindustrie:Selbstkontrolle ohne Wirkungsnachweis

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Der Verein "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" hat offengelegt, mit welchen Tricks die Pharmaindustrie Ärzte beeinflusst. Namen werden nicht genannt - und die Vergehen werden auch nicht geahndet.

Kristina Läsker

Der blaue Band sieht harmlos aus, doch er enthält Zündstoff. Auf 99 Seiten hat der Verein "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" aufgeführt, gegen welche Vergehen der Pharmaindustrie er 2006 mit Unterlassungserklärungen vorgegangen ist.

"Etwa eine Milliarde Euro zahlen die Hersteller den Ärzten in Deutschland pro Jahr für Anwendungsbeobachtungen." (Foto: Foto: dpa)

Jene Tricks werden beschrieben, mit denen Arzneihersteller Ärzte beeinflussen. Namen werden nicht genannt, schließlich haben die Pharmafirmen den Verein selbst gegründet, als der Druck zu groß wurde.

Der häufigste Bestechungsversuch im Pharmaalltag ist die sogenannte Anwendungsbeobachtung.

Ein getadelter Konzern wollte damit angeblich ein im Markt befindliches Medikament testen. Doch die Studie war wissenschaftlich eher wertlos, wie so häufig in solchen Fällen.

Das Kalkül der Firma: Das Medikament wird weiterverordnet, auch wenn die fragwürdige Untersuchung beendet ist. In diesem Fall versprach der Konzern den Ärzten für jeden Patienten, der an der Studie teilnahm, bis zu 70 Euro.

Die Bedingung: Jede Testperson musste auf das Mittel des Konzerns wechseln, unabhängig davon, wie sie bisher behandelt wurden und ob es zu ihrer Krankengeschichte passte.

Die Studie, so der Verein, sei unzulässig, "wenn bereits in den Projektunterlagen erwähnt wird, dass eine Umstellung auf ein anderes Präparat als Teilnahmevoraussetzung erforderlich ist". Daher musste sich die Firma verpflichten, bei Wiederholung ein Ordnungsgeld von 15.000 Euro zu zahlen.

Der Fall ist einer von vielen. "Etwa eine Milliarde Euro zahlen die Hersteller den Ärzten in Deutschland pro Jahr für Anwendungsbeobachtungen", schätzt Peter Schönhöfer, Mitherausgeber des arznei-telegramms. Schönhöfer hält die meisten Studien für überflüssig: "Wie soll denn Wirksamkeit von Arzneimitteln gemessen werden, wenn es keine Kontrollgruppe zum Vergleich gibt?"

Erschreckendes förderte die Münchner Staatsanwaltschaft zutage. Sie ermittelt seit Monaten gegen Fujisawa, Bristol-Myers Squibb, Servier und Amgen. Die Konzerne stehen im Verdacht der Vorteilsgewährung gegenüber Ärzten.

Bei ihren Razzien fanden die Staatsanwälte Kisten mit archivierten Anwendungsbeobachtungen, die nie ausgewertet wurden. Hier hatte nur der Arzt einen Gewinn, Erkenntnisse gewann die Firma nicht. Schönhöfer schätzt, dass 80 Prozent der Anwendungsbeobachtungen nie publiziert werden: "Es werden nicht mal interne Auswertungen veröffentlicht."

Nun hat sich der Verband forschender Arzneimittelhersteller (VfA) zum 1. Mai neue Standards gegeben. Demnach sollen zu Beginn von Studien Informationen in ein öffentliches Online-Register gestellt werden, spätestens zwölf Monate nach Abschluss soll eine Zusammenfassung publiziert werden.

"Das ist ein richtiger Schritt", sagt Gerd Glaeske, Mitglied des Sachverständigenrats für das Gesundheitswesen.

Allerdings müsse im Register stehen, welche Ärzte sich beteiligen. Der VfA will auch durchsetzen, dass die Studien nicht mehr von der Marketing-, sondern von der medizinischen Abteilung verantwortet werden. Das halten Experten wie Schönhöfer oder Glaeske für "einen frommen Wunsch".

"Die medizinische Abteilung ist oft vom Marketing dominiert. Deren Vertreter sprechen doch mit den Ärzten", bemängelt Glaeske. Zudem will der Verband festlegen, dass die Beratung einer Ethik-Kommission eingeholt wird.

Das sei ein guter Schritt, meint Glaeske. Er könne verhindern, dass Mittel, die lange im Markt sind, den Patienten und Ärzten als "unnötige Erinnerungswerbung" per Studie wieder schmackhaft gemacht würden.

Ahnden will die Industrie Verstöße aber nicht - und aufgeben will sie ihre Studien auch nicht. "Wir brauchen hochwertige Anwendungsbeobachtungen", sagt Torsten Strohmeyer, deutscher Forschungschef von Glaxo Smith Kline. Die neuen Erkenntnisse "haben direkten Einfluss auf die Weiterentwicklung unserer Medikamente".

© SZ vom 27.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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