Geschenke an Hartz-IV-Empfänger:Hardware für Härtefälle

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Was passiert mit Computern, die große Firmen nach kurzer Zeit ausrangieren? Ein Hamburger Ehepaar hat einen Verein gegründet, der diese Rechner an Hartz-IV-Empfänger verschenkt - sogar Schulungen gibt es gratis.

Thorsten Schmitz

Der Mann am anderen Ende der Leitung druckst unsicher herum. Er würde ja am Freitag gerne kommen, aber er habe kein Auto auftreiben können. Und ohne Auto wisse er nicht, wie er einen schweren Computer nach Hause transportieren solle. Dann kommt die Frage, mit der Angelika Matzen schon gerechnet hat.

Viele Firmen rangieren Computer nach wenigen Jahren aus. Ein Hamburger Verein verschenkt sie an Bedürftige. (Foto: ddp)

"Haben Sie auch Laptops? Ich möchte nämlich eigentlich gern einen Laptop, sonst nichts", sagt der Mann, plötzlich sehr, sehr sicher. "Und Goldbarren, möchten Sie die vielleicht auch?" Der Mann lacht. Der Satz mit den Goldbarren ist aber kein Witz, sondern ein Wutablassungssatz: "Dann", sagt Angelika Matzen, "hat sich das wohl erledigt." Grußlos legt sie den Hörer auf.

Angelika Matzen und ihr Mann Horst Matzen sitzen in ihrem Büro im Osten von Hamburg, in Rahlstedt. In den Regalen stapeln sich Tastaturen, CD-Laufwerke, Computer, Videospiele, Kabel, Adapter, Schraubenzieher, die vor allem. Es ist ein Büro, das manche Menschen schon mal als das von zwei Engeln bezeichnen. Denn Horst und Angelika Matzen verschenken Computer an Leute, die sich keine leisten können. Sie verschenken keine neuen, sondern gebrauchte.

Einmal in der Woche ist Bescherung in einem Raum neben dem Büro. Immer freitags um 15 Uhr finden PCs, Scanner und Drucker neue Besitzer. Das Büro liegt in einem Einkaufszentrum, weit weg von edlen Einkaufsstraßen wie Elbchaussee oder Mönckebergstraße. Die Miete ist hier nicht so hoch, weil der Besitzer des Einkaufszentrums von der Idee der Matzens so begeistert ist.

Kostenpunkt: 2 Euro

Bis zu zehn Stunden am Tag verbringt Horst Matzen damit, Secondhand-PCs zu testen und zu reparieren. Er nimmt ältere Modelle auseinander und fügt deren noch funktionierende Bauteile mit neueren Bauteilen zu schnelleren Computern zusammen. Er erklärt in Vorträgen, wie man Computer repariert und am effektivsten im Internet surft - für Vereinsmitglieder sind diese Kurse gratis.

Einziger Kostenpunkt: eine Vereinsgebühr von zwei Euro im Monat. Angelika Matzen macht die Büroarbeit, schreibt E-Mails, listet auf, wer welchen Computer spendet, hängt stundenlang am Telefon, bis zu vierzig Mal am Tag sagt sie "Computerspende Hamburg, guten Tag!" und verliert nicht ein einziges Mal die Geduld, wenn sie zum vierzigsten Mal erklären muss, wie man an einen Gratis-Computer kommt. Nur wenn jemand wie dieser Mann anruft und Extrawünsche anmeldet, "dann kann ich auch schon mal böse werden", sagt Angelika Matzen.

In Wahrheit besitzen die Matzens ja keine Goldbarren. Aber trotzdem sind sie Hüter eines Schatzes. Es sind Dutzende PCs, die im Keller des Ehepaares lagern, Computer, die auf dem Müll landen würden. Computer, die manchmal nur drei Jahre alt sind und die von den Angestellten von BMW oder RWE nicht mehr gebraucht werden. Nicht alle Rechner muss Horst Matzen reparieren, viele laufen einwandfrei. Und jeder verschenkte PC erhält ein Gütesiegel von Horst Matzen.

Im Hartz-IV-Regelungswerk ist kein Posten vorgesehen für die Anschaffung eines Computers. Wer dagegen klagt, bekommt die Auskunft, dass sich ein Haushalt "problemlos ohne PC" führen lasse. Fernseher und Radio deckten die Grundversorgung mit Informationen - so urteilte vor kurzem das Landessozialgericht in Nordrhein-Westfalen über den Antrag einer Hartz-IV-Empfängerin, die einen Computer haben wollte. Wie arbeitslose Menschen ohne Computer, Drucker und Internetzugang Bewerbungen schreiben sollen, ließen die Sozialrichter offen.

Wie sich Hartz-IV-Empfänger fühlen, das wissen Horst und Angelika Matzen sehr gut - sie sind selbst welche. Dreißig Jahre hat Angelika Matzen als Bauzeichnerin gearbeitet. Als sie ihren Job verlor, machte sie einen Teeladen auf, aber die Finanzkrise kam dazwischen, und an feinem Tee haben die Menschen dann zuerst gespart.

Horst Matzen war Sanitärinstallateur, Bauklempner, aber auch schon Friedhofsgärtner und Bierfahrer. Er könne das nicht, sagt er, "nichts tun". Seine Frau sagt: "Wenn er die Computer nicht hätte, würde er durchdrehen." 500 Bewerbungen haben beide in den vergangenen Jahren verschickt, 500 Mal haben sie keine Antwort bekommen - oder ein Nein.

Es ist Freitag und noch nicht 15 Uhr, als die Klingel zum ersten Mal läutet. Ein Bescherungsfreitag im Mai. Es kommen die Treppe hinauf: Ein Rumäne, mit seiner Frau, die ein Baby auf dem Arm trägt. Ein älterer Herr, der nur noch schlecht sieht und von seinem älteren Lebensgefährten begleitet wird.

Eine mollige Mutter mit langen Haaren und viel zu warmer Lederjacke und einem achtjährigen Sohn an der Hand, der vor Aufregung nicht aufhören kann zu reden. Und dann noch eine junge Frau und ihr Freund. Die junge Frau ist erst 24 und findet keinen Job als Verkäuferin. Sie braucht einen Computer für Bewerbungen.

Horst und Angelika Matzen erklären die Regeln: Umtauschen geht nicht. Wer sich für einen PC entschieden hat, muss ihn auch mit nach Hause nehmen, samt Scanner und Drucker. Die Computer sind ohne Betriebssystem, aber das könne man auf Ebay günstig erwerben. Und dann wird noch ein Blick geworfen auf die gültige Hartz-IV-Bescheinigung und der Raum mit den PCs darf betreten werden.

Familie Matzen verdient keinen Cent mit den Gratisgaben. Ihr Verdienst sind Tränen der Rührung. Weit aufgerissene Augen, ein Lächeln, Wein, eine Packung Filterkaffee. Aber vor allem die Tränen sind es, die sie glücklich machen. "Wir hatten hier mal einen Vater mit seinem Sohn", erzählt Angelika Matzen.

"Der Vater stand mit dem Computer in den Armen vor mir und hat geweint, vor Freude. Es war der erste Computer in seinem Leben." Da konnte auch Angelika Matzen ihre Tränen nicht zurückhalten. Es seien auch schon Menschen gekommen, die ihren Computer "mit Sicherheit auf dem Flohmarkt verhökert haben". Aber sie könnten ja nicht jeden kontrollieren, sagt Angelika Matzen.

728 Computer verschenkt

728 Computer haben Horst und Angelika Matzen bis heute an Hartz-IV-Empfänger verschenkt, seit sie vor fast zwei Jahren ihren Verein gegründet haben. Immer mehr Firmen spenden ihre ausrangierten Computer, der Keller füllt sich schnell. Es ist kurz nach 16 Uhr, als es wieder klingelt. Der Chef einer Personalberatung steht vor der Tür mit seinem Sohn.

Er ist gekommen, um Samsung-Bildschirme und Drucker und Rechner von HP abzuliefern. Erst vier Jahre alt sind die Geräte. Man trinkt noch einen Kaffee zusammen und der Personalberater sagt, wie froh er ist, dass seine Computer jetzt andere Menschen glücklich machen. Er fragt auch, wie es zu der Vereinsgründung kam.

"Wissen Sie, es gibt ja so ein Klischee von Hartz-IV-Empfängern", sagt Angelika Matzen. "Und das Klischee ist: Wer Hartz IV bekommt, hängt an der Rotweinflasche und sitzt auf einer Parkbank. Das sind wir aber nicht." Angelika Matzen ist 54, Horst Matzen 59 Jahre alt. Sie wissen: In dem Alter findet man nur noch schwer eine neue Stelle. Ihr Traum? "Wenn sich eine Firma oder zwei bereit erklärten, eine Stelle in unserem Verein zu finanzieren", sagt Horst Matzen, ohne lange zu überlegen. "3500 Euro im Monat, das wäre toll."

Die mollige Mutter mit dem zappeligen Sohn schleppt den neuen PC runter zum Auto, das sie sich geliehen hat. Sie ist seit Jahren ohne Job, "schwer vermittelbar, wegen Arthrose", sagt sie. Der Sohn spricht ständig dazwischen, so aufgeregt ist er über den Computer. Auch für ihn es ist der erste in seinem Leben. "Alle in seiner Klasse haben zuhause einen, nur er nicht", sagt die Mutter. "Der wird heute nicht schlafen gehen, bevor der Computer nicht funktioniert."

© SZ vom 12.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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