Modelabel:Alles Gute kommt von oben

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By Malene Birger ist noch so ein Modelabel aus Skandinavien - vor allem ist es eines, das gerade alles richtig macht.

Verena Stehle

So viel Getue um ein paar Amuse-Gueules. Das Leggings-Mädchen spießt die frittierte Garnele auf, ein beherzter Schnitt, und pult das Fleisch aus dem Mantel. Was nach Weizenmehl aussieht, wird aussortiert - genau wie bei dem Pony-Mädchen vis-à-vis. Das sticht mit der Gabel auf das Maki-Sushi ein, pickt zwei Gemüsequadrate aus dem Reis, und kratzt anschließend noch die Guacamole aus der einzentimeterdicken Wrap-Scheibe. Am Ende bleibt ein Kohlenhydratfriedhof.

Die Mode von By Malene Birger sieht nach mehr aus, als sie kostet. (Foto: Foto: By Malene Birger)

Von den kleinen Neurosen, die Moderedakteurinnen bisweilen eben haben, lässt sich Malene Birger nicht den Appetit verderben. Sie hat nicht Kleidergröße 32, und auch wenn Size zero nach wie vor allgegenwärtig ist, isst sie alles, und auch auf. Die dänische Designerin hat zum "Fashion Dinner" ins Cortiina geladen, ein Stadthotel mitten in München, das aussieht wie aus einem dieser Interiordesign-Organe ausgerissen. Seit Monocle-Herausgeber Tyler Brûlé hier im vergangenen Herbst eine Party veranstaltete, hat sich die Lobby als place to be herumgesprochen. Während Brûlé dorthin einlud, weil sein Magazin München gerade zur schönsten Stadt gekürt hatte, ist Malene Birger hier, so wird sie hinterher im Interview sagen, weil sie die Stadt liebt, und weil ihr die ortsansässige Modepresse viel Aufmerksamkeit geschenkt hat.

Ein Fashion-Dinner ist ein Stelldichein der wichtigsten Köpfe der Branche; und damit immer auch Epizentrum der neuesten Trends. Was man an diesem Abend sichtet, sind aber nur alte Bekannte. Graue Röhrenjeans, übergroße, bisschen verkommene Strickjacken, immer noch die Highheels mit den roten Sohlen von Christian Louboutin. Bei einer Dame ist der korallpinke Nagellack schon ganz abgeblättert. Auch das epochale Ende der Designer-Handtaschen - obschon zig-mal ausgerufen - scheint noch nicht gekommen; wobei die "It-Bags", die hier in den Armbeugen baumeln, inzwischen streng genommen "Isn't-Bags" sind; die Yves-Saint-Laurent-Downtowns und Fendi-Säcke nämlich sind aus der vorvorletzten Saison, und sehen schon ganz mitgenommen aus.

An diesem Sommerabend beschleicht einen das Gefühl, dass das Modekarussell langsamer wird; eine leise Vorahnung dessen, was man heute Rezessions-Chic nennen könnte: Dass man die alten Trends trägt, weil man sich neue nicht mehr zu leisten traut. Im Nachhinein erscheint es fast so, als hätte, pünktlich zur Krise, der Himmel Malene Birger geschickt - denn sie macht Mode, die nach mehr aussieht, als sie kostet.

Der Kellner balanciert Champagnerflöten, eines der PR-Mädchen flitzt geschäftig rausrein hinher, wie eine Biene auf Ecstasy. Sie bremst vor einer Blondine im Flatterkleid, um die drei Geschöpfe auf Wolkenkratzerpumps herumscharwenzeln. Malene Birger, die Frau im Flatterkleid, ist die archetypische Dänin, groß und haferblond, und wenn sie etwas amüsiert, grinst sie wie eines dieser pausbäckigen Lausmädchen aus einem skandinavischen Kinderfilm.

Der brancheninterne Modecode - Minimal-Chic, mit Anklängen an den vielleicht bald wieder hippen Armuts-Chic - ist augenscheinlich nicht ihr Ding. Verglichen mit den Modemädchen wirkt die Designerin fast pompös. In ihrem Kleid sieht sie aus wie eine griechische Göttin, ihr Teint ist sonnenbraun, und sie trägt ein Dutzend Ringe an den Fingern. Däninnen sind so, hat Malene Birger der Brigitte einmal gesagt, sie achten viel mehr auf Accessoires und Details.

Als ihre Marke By Malene Birger vor Jahren erstmals auftauchte, lag der Gedanke nah: noch eine, die Vanessa Bruno und Filippa K Konkurrenz machen will. Heute kann man die Augen nicht davor verschließen, dass Vanessa mit einem Tanktop für 160 Euro den Schuss nicht gehört hat (wozu gibt es American Apparel?) und die Filippa langsam beige wirkt, verglichen mit Malene.

Die Designerin arbeitet aber auch wie besessen an ihrer Dauerpräsenz. Zwei bis drei Kollektionen sind die Regel, ihr Team aber produziert vier pro Jahr: Frühjahr, Herbst, dazu Hochsommer- und Weihnachtskollektion, die jeweils Mode, Schuhe und Accessoires umfassen. Zusätzlich entwirft die Dänin ihre Haute-Couture-Linie "Salon". Dass all die Sachen nicht ansatzweise ramschig aussehen, sondern ganz im Gegenteil, mag zu Recht verwundern.

Der BMB-Stil steht, so heißt es auf der Website, für "klassische Eleganz mit einer ausgefallenen, sexy Raffinesse in einem Look, der Stilikonen der Vergangenheit in die Gegenwart spiegelt". Übersetzt heißt das so viel wie: By Malene Birger ist, anders als die cleanen nordischen Labels, fraulich, und bedient sich selbst problematischer Details - Rüschenkaskaden und Rosatöne -, ohne dabei kitschig zu wirken. Die Modenschau für Frühjahr 2009 kann man sich im Internet unter www.copenhagenfashionweek.com ansehen. Das Motto ist "Flirt", die Models tragen Chiffonblusen und sattfarbene Seidenröcke, die mit sehr hohen Plateausandalen, Gladiatorengamaschen, schwarz glänzenden Leggings und Nerd-Brillen kontrastieren. Malene Birger ist nicht der Typ Designer, der mit absichtlich scheußlichen Entwürfen polarisieren will. Ihre Mode ist einfach hübsch und fröhlich, und sie sagt: Sorgt euch nicht, lebt gut, solange das noch geht. Nebenbei wischt Malene dem Zeitgeist eine aus, der momentan stur darauf beharrt, dass Frauenmode Männlichkeit ausstrahlen muss (Boyfriend-Look) und umgekehrt (Girlfriend-Look).

Das dänische Modeinstitut definiert BMB als "High-End-Marke" - dabei kosten ihre Kreationen nur einen Bruchteil der üblichen High-End-Marken. Eine Bluse liegt bei etwa 85 Euro, ein Kleid um 250 Euro, eine Jacke um 390 Euro, der Preis changiert je nach Materialien und Verarbeitung. Fast geschenkt, wenn man bedenkt, dass bei Chanel eine Plastik-Camelie zum Anpinnen 500 Euro kostet.

Das Prinzip, eben nicht Unsummen für nichts zu verlangen, zahlt sich aus. Es ist, als habe sich die Dänin dort oben in Kopenhagen ans Fenster gestellt und die Welt frauhollegleich mit ihrem Namen zugeschneit. Ihre Mode kommt in Meinungsführer-Medien wie der britischen Vogue, in der August-Ausgabe der Vogue France trägt Kate Moss ein Kleid mit Animal-Print. Unlängst hat sie für Unicef einen Fiat 500 entworfen. Und das Label ist auch schon in Hollywood präsent: Schauspielerin Kate Bosworth sagte dem OK!-Magazin, dass sie stets eine BMB-Tasche mit sich rumschleppe - und das, wo sie sich gleich zehn Downtowns an die Arme hängen könnte. Malene Birgers treuester Fan aber kommt aus der Heimat. Kronprinzessin Mary von Dänemark huscht natürlich nicht mal eben in der 460-Quadratmeter-Boutique in Kopenhagen vorbei, sondern lässt sich Unikate schneidern. Heute hat Malene Birger nicht mehr neun, sondern 60 Mitarbeiter und bedient mehr als 950 Kunden in 37 Ländern. In diesem Jahr verzeichnete das Unternehmen ein Umsatzwachstum von 44 Prozent auf 20,5 Millionen Euro. Über den Hype ihrer Marke sagt sie betont lakonisch: "Ich bin ich. Ich denke nicht darüber nach. Ich will nur arbeiten."

Diesen phänomenalen Erfolg hätten ihr wohl nicht viele zugetraut; vielleicht noch nicht mal Malene Birger selbst, die nach ihrer Ausbildung zur Schaufensterdekorateurin Modedesign studierte, und nach einer Zwischenstation beim dänischen Label Jackpot by Carli Gry die Damenlinie von Marc O'Polo verantwortete. Malene Birger aber will ihr eigenes Label haben. Der erste Versuch funktioniert und scheitert doch. 1998 gründet die 35-Jährige das Label Day Birger et Mikkelsen. Fünf Jahre später wird sie von ihrem Geschäftspartner vor die Tür gesetzt, es geht, wie so oft, um Geld. Sie ist draußen, ihr Name aber ist bis heute Teil der Marke. Noch 2003 gründet sie By Malene Birger. "Ich wollte auf einem höheren Level einsteigen als mit Day", erinnert sie sich. Dafür brauchte sie Geld, viel Geld. Sie sucht einen Investor, oder anders: Der Investor findet sie. Direkt nach dem Split meldet sich der Bekleidungskonzern IC Companys bei ihr - denn dort sitzen Leute, die Malenes Arbeitsstil kennen: IC Companys war 2001 durch die Fusion ihres Ex-Arbeitsgebers Carli Gry mit der Firma In Wear entstanden. Heute hält IC Companys 51Prozent an der Marke BMB.

Mit diesem Sicherheitsnetz im Rücken setzt sich Malene Birger zum Ziel, "eine internationale Kollektion" zu schaffen, "keine dänische". Gleichwohl hat sie zunächst nur in Dänemark Erfolg. Sie gewinnt Designpreise, gestaltet Shirts für Unicef und die Danish Heart Foundation. Erst 2007 passiert das, was man einen Durchbruch nennen könnte. Eines ihrer Kleider wird bei der New York Fashion Week ausgestellt. Bald darauf kürt das norwegische Costume-Magazin die Lieblingsmarke der Kronprinzessin zur "Best Brand of the Year". Wie es so ist: Modepreise und Prinzessinnen locken Magazine, die wiederum Prominente, und so weiter. Als Malene Birger das mit Kate Bosworth und der Tasche erfährt, ist ihr erster Gedanke: "In welchem Shop hat sie die bloß gefunden?"

Kate Bosworth hätte wohl nie im Leben eine Tasche gekauft, hätte sich der Zeitstil vor gut drei Jahren nicht auf den Norden kapriziert. Skandinavisches Design war kein Geheimtipp mehr, einheimische Mode aber schon, denn die, so hieß es fortan, ist super und erschwinglich. Zwischen Filippa K, Noa Noa, Whyred und all den anderen poppte immer wieder auch By Malene Birger auf. Die Konsumenten waren sensibilisiert, der Rest nur noch eine Frage der richtigen Strategie.

Eine solche scheinen viele Labels derzeit aus den Augen verloren zu haben. Mitten in den jüngsten Prêt-à-Porter-Schauen beklagte Cathy Horyn von der New York Times: "Alles wird langweilig. Es fehlt eine Verfeinerung bezüglich Details und Materialien, etwas, das frappierend und nicht nur teuer ist." Vielleicht sollten Malene Birgers PR-Mädchen mal bei Cathy anrufen. Die Modekritikerin würde aber vermutlich selbst in dieser Suppe noch ein Haar finden. Zum Beispiel, dass man die key pieces der Flirt-Kollektion schon auf anderen Catwalks gesehen hat. Die Nerd-Brillen bei Luella. Feine Overalls bei Prada. Pierrotkrägen bei Viktor & Rolf. Ralph Laurens Haremshosen. "Vielleicht hätte sie Recht", sagt Malene Birger, "... ich mag alte Trends mehr als neue. Aber ich kopiere nicht andere Designs. Natürlich werde ich durch sie inspiriert, wir alle werden das, andernfalls würden wir lügen." Sei's drum: Ralph Laurens Glitzerhose können wir uns jetzt eh nicht mehr leisten. BMB dafür schon.

In jedem Standardwerk zur interkulturellen Kommunikation ist nachzulesen, dass Skandinavier flache Hierarchien haben. So sehr das beim Essen den Anschein hat, wie da alle zusammensitzen und schnattern, so wenig glaubt die Designerin, dass man im Job "zu zwölft einen Kompromiss findet. Das killt alle guten Ideen. Es ist too much!" Dass sich ihr Team bereitwillig unterordnet, mag auch daran liegen, dass By Malene Birger fast ein Familienbetrieb ist. Viele begleiten sie schon seit 20 Jahren. Und ohne ihre Schwester Katrine Johansen und ihren mittlerweile Ex-Mann Rupert Landendinger, der immer noch für sie arbeitet, hätte sie, wie sie sagt, es nie geschafft.

Teamwork ist für Malene Birger genauso wichtig wie Einsamkeit. Deshalb lebt sie heute in Port d'Andratx, nur mit Hund. Bis zu sechs Stunden spricht sie täglich mit Kopenhagen, maximal vier mal pro Monat fliegt sie hin, ansonsten holt sie sich ihre Leute nach Mallorca. Das alles funktioniert, oder wie die Dänin es ausdrückt: "Das Baby geht zur Schule."

Es gibt Läden, denen ist By Malene Birger zu billig. Die Münchner Boutique Theresa hat die Marke wieder aus dem Angebot genommen. Die Sachen seien zuckerschön, sagt eine Angestellte, aber ihre Kundinnen suchten halt eher nach den höherpreisigen Designern.

Malene Birger wird verkraften, dass ihr eine der wichtigen Modeadressen der Stadt, die sie so liebt, den Rücken gekehrt hat. Gerade wurde ihr der "Gazelle Award"verliehen, der jährlich an das am schnellsten wachsende Unternehmen Dänemarks geht. Für kommendes Frühjahr sind gleich drei Neueröffnungen geplant. Kuwait, Bahrain und Rostow - alles Gefilde, wo man unter einer Finanzkrise versteht, die schwarze Kreditkarte im Maybach vergessen zu haben.

© SZ vom 18.10.2008/jüsc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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