Mode:Die Plunze trägt Prada

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Nur Hollywood hat es noch nicht begriffen: Viele Marken haben sich verramscht und sind tot.

Wäis Kiani

Stellen Sie sich vor, Sie betreten Ihr eigenes Badezimmer, und was Sie erblicken, zwingt Sie, sich auf den Rand der Badewanne zu setzen und durchzuatmen, bevor Sie vor Schreck anfangen zu brüllen. So ist es mir vor wenigen Tagen ergangen.

Eine Vorstadtplunze mit klobigen Schuhen kommt mit ihrem Job nicht zurecht - davon handelt der Film "Der Teufel trägt Prada". Hier eine Version Prada-Schuhe aus der aktuellen Kollektion, die ihr bestimmt gefallen hätte. (Foto: Foto: AFP)

Ich war gerade aus einer Vorführung von ,,Der Teufel trägt Prada'' gekommen, ein Film, der mich unglücklich machte, über den sich das Freitagabend-Publikum aber bog vor Lachen. Dazu gleich noch ein paar Zeilen mehr.

Unschuldig wie immer

Ich betrat - gut gelaunt und unschuldig wie immer - mein Bad, und sah neben dem Waschbecken einen Haufen nagelneuer, frisch abgetrennter Chanel-Etiketten mitsamt Waschanleitung. Da sich außer mir nur noch mein Gast, meine Mutter, in der Wohnung befand, und diese sich einige Stunden vorher einen Haufen Pullover in Zürichs feiner Bahnhofstraße zugelegt hatte, bedurfte es keiner weiteren Hinweise. Ich wollte brüllen, aber mein Schock war zu groß, es kam kein Ton heraus.

Ich nahm die schwarzen Stoffschilder und legte sie so behutsam in meine Hände, als seien es Küken.

Dann ging ich zu der Verbrecherin ins Wohnzimmer und flüsterte: ,,Mutter, hast du . . . ?'' Sie sah mich kaum an und sagte nur: ,,Die Schilder kratzen im Nacken.'' Ich musste mich setzen. Dann nahm ich etwas Riechsalz und hielt ihr einen längeren Vortrag.

Eine der letzten Bastionen von Glamour

Ich fing damit an, dass sie es doch gewesen war, die mir in den achtziger Jahren nach langem Betteln dieses oder jenes Designerstück gekauft hatte. Dass sie ihre Pullover durch das Entfernen der Etiketten nun entwertet und der Bedeutungslosigkeit überlassen habe. Dass diese Pullover jetzt gewissermaßen nur noch gewöhnliche Strickwaren seien.

Ich verfiel dann in einen Exkurs darüber, dass Chanel eine der wenigen letzten, großen uneinnehmbaren Bastionen von Glamour und Eleganz ist. Und dass es das Chanel-Schildchen an einem schlichten weißen T-Shirt ist, das für den rasenden Herzschlag sorgt, nicht etwa das Shirt selbst oder der Schnitt oder der Stoff.

Und wenn es, so mein Abschluss-Plädoyer, ein Etikett nicht verdient hat, entfernt zu werden, weil es seit mehr als 90 Jahren fast mehr wert ist als das Kleidungstück, an dem es hängt: dann ist es das Schildchen von Chanel!

Als ich geendet hatte, sah meine Mutter kurz auf von ihrer Teetasse, dann wieder weg. Sie zuckte mit den Schultern und fragte: ,,Wie war der Film?'' Nun, wie gesagt, nicht gut. Aber er zeigte neben vielen neuen Kleidern auch, dass uns etwas Schönes verloren gegangen ist: Exklusivität in der Mode.

Es gab mal eine Zeit vor rund 20 Jahren, als das kleine Metalldreieck auf einer Pradatasche kein Ausdruck von Gewöhnlichkeit oder Thailand-Urlaub war, sondern Eintrittskarte in einen famosen Club: den der ehemaligen Politikstudentin Miuccia Prada, die für ihr Familienunternehmen, die alteingesessene Lederfabrik Prada, 1985 das erste Mal Nylontaschen und Rucksäcke entwarf, die Über-Nacht-Erfolge wurden.

Irgendwann kommt der Punkt, an dem selbst das kleine Dreieck kein Bauchkribbeln mehr hervorruft. (Foto: Foto: prada.com)

Vier Jahre später fiel die Mauer, Nene Cherry sang ,,Manchild'', und Miuccia Prada überraschte mit einer kleinen Damenkollektion. Bald gab es die wenigen sehr feinen Stücke in wenigen, sehr feinen Geschäften in Deutschland, zum Beispiel in einem kleinen Laden in der Münchner Theatinerstraße. Die schönsten Kleider, Kaschmirpullis, und was man naturgemäß sonst so brauchte, es gab alles dort!

Sie sahen nicht an jeder Frau gut aus

Und, als wäre das nicht alles schon schön genug, hingen hinten, geschützt unter Plastikfolie, einige wenige Mäntel, Röcke und Blusen, bei deren Durchsicht meine Nasenspitze leicht vibrierte. Man traute sich kaum, das anzufassen.

Sie sahen auch nicht an jeder Frau, die sie sich leisten konnte, gut aus. Man musste neben einer stolzen Haltung und schlankem Körperbau eine bestimmte Attitüde, ja, sogar eine bestimmte Art von Erziehung mitbringen, um diesen Kleidern gerecht zu werden. Es schien verboten zu sein, sie auszupacken, man fühlte sich plötzlich wie die sehnsüchtige Kammerzofe einer unberechenbaren Prinzessin, und es konnte einen den Kopf kosten, wenn man in eines dieser Wunderwerke schlüpfte und dabei ertappt wurde.

Aber das Erhabenste daran war das eingenähte Etikett: es war riesengroß, in einem wunderschönen, beruhigenden Hellblau, umrahmt von einem vielsagenden Wappen. Es stellte alles bisher Dagewesene im Wappenwesen in den Schatten. Man hatte das Gefühl, nach einem mit Auszeichnung bestandenen Studium heimzukommen und von seiner Mutter mit einem frischen Hefezopf empfangen zu werden.

Von der Stadtvilla in den Kellerclub

Mit dem Prada-Wappen und dem Besitz der Prada-Card (Garantie für die hervorragende Qualität und Echtheit der Accessoires) gehörte man zur kleinen Prada-Elite. Und man gehörte zu den Jüngsten in diesem Arriviertenclub, zu denen, die das hellblaue Lebensgefühl in eine Welt schmuggelten, in der es überhaupt nicht vorgesehen war.

Die Hellblauheit wurde aus dem Föhnsalon, dem Golfclub und der Stadtvilla in dumpfe Kellerclubs gebracht, in denen dumme kleine Jungs sehr laute Musik spielten. Diese Exklusivität wurde einige glückliche Jahre allein dadurch gewahrt, dass es nicht zu viele Dreiecke und Cards zu sehen gab. Die Teilnehmerzahl war begrenzt, und sah und erkannte man irgendwo auf der Welt einander, wurde ein kurzer, wissender, wohlwollender Blick ausgetauscht.

Dann, eines Tages, eine Art Schock: die stimmungsveredelnden hellblauen Etiketten waren verschwunden und wurden durch schmale weiße oder hellgraue ersetzt. Ohne Wappen. Es waren fast dieselben wie die von Helmut Lang, vielleicht sogar vom selben Etiketten-Hersteller.

Und als wäre der hellblaue Verlust nicht hart genug, kam der nächste Hieb in die Rippen: Prada lancierte eine schöne Zweitlinie (Miu Miu), aber dann auch die Drittlinie Prada Sport, deren Erkennungszeichen - ein ekliger roter Plastikstreifen - bald von Billig-Casualwear- Anbietern kopiert wurde. Das Prada-Ding hielt Einzug in Shopping Malls, in Vorstädte, in asiatische Billigländer, in Internetcafés. Endlich gab es Prada für jedermann. Diese Drittlinie war nicht nur günstiger, sie war auch noch ,,praktisch''. Die Prada-Elite trug derweil mit vornehm verhülltem Gesicht ihr Baby zu Grabe und begann sich umzuorientieren.

Unlängst streunte ich über die Via Spiga in Mailand. Die Sonne schien, ich fühlte mich frei. Und hatte plötzlich Lust, etwas zu tun, was ich mir seit Jahren nicht mehr erlaubt habe: einen Prada-Store zu betreten. Ich erhob mein Bedürfnis, um mein Gewissen ein wenig zu reinigen, zur Recherche. Es gab in dieser Filiale nur Taschen und Accessoires, was die Recherche natürlich einschränkte.

Der Laden war voll, überdimensionale Taschen mit riesigen Preisschildern gingen über den Ladentisch. Perfekte Frauen in allerengsten Röhrenhosen legten rote und schwarze Kreditkarten auf den Tisch. Ich griff nach einer winzigen, eierschalefarbenen Minitasche in Form eines Sixties-Hutkoffers. Es war das Süßeste, was ich je in meinem Leben gesehen hatte. Doch meine Hände zitterten nicht.

Kein himmelblaues Gefühl

Ich kaufte die Tasche und einen kleinen Kalender, zahlte fast 500 Euro und setzte mich auf die Straße. Erst dort fiel mir auf, dass ich gar keinen Kalender brauchte, denn ich hatte doch schon einen: einen aus Phytonleder von Chloe, mit auswechselbarem Inhalt. Vor allem hatte ich aber, nachdem ich den Prada-Laden verlassen hatte, kein himmelblaues Gefühl.

Ich trug meinen ersten Prada-Mantel, 1995 in Rimini von zusammengekratztem Bargeld gekauft, noch ein letztes Mal zum Ausgehen. ,,Das ist immer so'', brüllte ein Freund in mein trauriges Ohr, ,,wenn der Hype zu groß wird, kommt der Mainstream und äh . . . verwässert alles.'' Das waren natürlich die allerklügsten Worte, die mir je ein Mann in einem Club ins Ohr brüllte. Man traute sich doch schon bald das Wort Prada nicht mehr auszusprechen. Das konnte jeder, denn es kannte jeder.

Ich suche bis heute erfolglos nach etwas, das mir das Hefezopfgefühl wiedergibt. Mein Prada-Mantel muss in einem durchsichtigen Kleidersack am Ende meines Kleiderschranks die Rolle eines besonderen Relikts aus einer besonderen Zeit spielen. Er hängt da rum und schämt sich.

Im Kino biegen sich alle, wenn Meryl Streep eine Prada-tragende Karikatur spielt. Und Prada geht denselben Weg, den Manolo Blahnik dank der frauenverdummenden Dauerwerbesendung ,,Sex and the City'' ging. Die Magie, auch die der frühen Tage, ist erst mal hin.

Also, liebe Mama: Wie war der Film? Er basiert auf dem Buch mit dem gleichnamigen Titel. Es handelt davon und basiert darauf, dass eine Vorstadtplunze mit klobigen Schuhen nicht mit ihrer glamourösen, klugen Chefin und dem Job als Redaktionsassistentin in einer großen Moderedaktion zurechtkam. Also schrieb die Vorstadtplunze ein Buch zum Thema: Meine Chefin ist böse. Gähn!

Automatisches Geduzt-Werden

Das alles wäre nicht so schlimm, hätte nicht überall auf der Welt eine ganze Lobby an dieser Autorin und ihrer ,,Wir lassen uns nicht mehr in Korsetts zwängen!''-Attitüde Gefallen gefunden. Spätestens jetzt weiß es auch Oma Schurich aus Fallingbostel: Die Enkelin fliegt auf Prada! Dabei trägt die natürlich nur die Kopie, die aber für alle, die sich in diesem Doofroman (und dem Kinderfilm dazu) wiederfinden, genauso aussieht wie das Original. Aber fühlt sie sich auch so an? Denn, liebe Kartoffelschuhträgerinnen mit bösen Chefinnen: Ihr wisst ja gar nicht, wie es sich anfühlen kann!

Vielleicht ist Prada heute noch trendy, aber cool ist Prada nicht mehr, nein, die Marke ist nicht mehr ihr eigener, großer und geheimer Triumphzug.

Natürlich haben die großen Firmen dieser Welt längst verstanden, dass Wachstum vor allem zu erreichen ist, indem jeder Zugriff auf alles hat. Die Cafékulturvernichterkette Starbucks zum Beispiel, die die halbe Welt mit hässlichen Pappbechern vollstellen lässt, hatte eine besondere Idee. Statt einer wappenverzierten Karte muss man bei einer Bestellung seinen Vornamen sagen.

Die kleinkarierteste Art, sich zu wehren

Dann wird man, wenn die Caféeimer gefüllt sind, aufgerufen und natürlich automatisch geduzt und soll sich dabei super fühlen. Der Erfolg dieser Maßnahme ist schwer messbar, aber in Amerika gibt es bereits die ersten Blogs über die besten, weil am schwersten zu buchstabierenden Starbucksnamen, die freche Kunden dem Tresenpersonal diktieren.

Auch Prada wird sich nun, nach der maximalen Breitwandwirkung, etwas einfallen lassen, um sich selbst aus Oma Schurichs Bewusstsein und vom Weihnachtswunschzettel ihrer Enkelin namens Plunze zu winden, die den Unterschied zwischen echt und Kopie nicht kennt und deshalb sowieso die Kopie bekommt.

Am Romanende von ,,Der Teufel trägt Prada'' schenkt die Erzählerin den Starbucks-Kaffee, auf den ihre böse Chefin wartet, einem Penner auf der Straße. Das ist der Befreiungsschlag. Und - wenigstens ist sie konsequent - die kleinkarierteste und feigeste Art, auf die Barrikaden zu steigen.

An dieser Stelle war mein Vortrag zu Ende. Meine Mutter sah plötzlich sehr müde aus. ,,Hast du Nähzeug?'', fragte sie. Dann verschwand sie mit ihren Pullovern und den Chanel-Schildchen im Schlafzimmer.

Von Wäis Kiani ist zuletzt im Münchner Goldmann-Verlag das schöne Taschenbuch ,,Nichts anzuziehen - Geschichten aus dem Kleiderschrank'' erschienen.

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