Medikamente:Jähes Ende eines Hoffnungsträgers

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Warum Pfizer mit der Entwicklung neuer Cholesterin-Mittel scheitert.

Werner Bartens

Die Entscheidung fiel am Samstag innerhalb von wenigen Stunden. Morgens um 7 Uhr wurde John LaMattina, Forschungsleiter des Pharmaunternehmens Pfizer, über die Zwischenfälle mit Torcetrapib informiert: In der Testphase des wohl aussichtsreichsten Medikaments des Konzerns waren etliche Probanden gestorben, andere hatten über schwere Nebenwirkungen geklagt.

LaMattina informierte den Vorstand des Unternehmens. Der beschloss noch vor 12 Uhr, alle Tests mit dem potenziellen Blockbuster sofort zu stoppen. Samstagnachmittag verkündete Jeffrey Kindler, Vorstandsvorsitzender des weltweit größten Arzneimittelherstellers, dass Pfizer "im Interesse der Patientensicherheit" die Studien zu Torcetrapib einstellen würde.

Das Mittel, auf das Pfizer so viele Hoffnungen gesetzt hat, gehört zur neuen Wirkstoffklasse der Cetrapibe. Torcetrapib hemmt ein Eiweiß im Cholesterinstoffwechsel. Dadurch verdoppelt sich die Konzentration des "guten" HDL-Cholesterins im Blut, wie Tests 2004 zeigten.

Ärzte wissen seit langem, dass Patienten mit hohem HDL-Spiegel seltener Herzinfarkte bekommen. Im Gegensatz dazu ist das Risiko für Gefäßverkalkung und Infarkt erhöht, wenn das "schlechte" LDL-Cholesterin im Blut ansteigt. "Das Mittel war ausgesprochen attraktiv und hätte eine Lücke geschlossen", sagt der Heidelberger Pharmakologe Ulrich Schwabe, Mitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft.

Test mit 15.000 Probanden

Bevor ein Medikament auf den Markt kommt, muss es verschiedene Testphasen durchlaufen. Zunächst werden die Verträglichkeit und die geeignete Dosis erforscht. Diese Studien finden allerdings mit nur wenigen Dutzend Patienten statt, sodass Nebenwirkungen nicht immer entdeckt werden. Torcetrapib wurde gegenwärtig in Phase III der klinischen Studie getestet - dabei geht es um den Wirkungsnachweis an mehreren Tausend Patienten. Verläuft dieser Test erfolgreich, steht einer Zulassung nichts mehr im Wege.

Pfizer testete in der Illuminate-Studie die Arznei an 15.000 freiwilligen Probanden, von denen die Hälfte den Wirkstoff, die andere Hälfte ein Scheinmedikament bekam. Um die Zuverlässigkeit des Mittels zu prüfen, wurde die Studie nicht nur an vielen Teilnehmern, sondern auch über den langen Zeitraum von 2004 bis 2009 geplant.

Unabhängige Wissenschaftler, darunter viele Statistiker, haben den Verlauf überwacht. Am Ersten eines jeden Monats erstatteten sie Pfizer Bericht. Am 1. Dezember mussten sie dem Unternehmen mitteilen, dass mittlerweile 82 Studienteilnehmer gestorben waren, die das Mittel geschluckt hatten.

In der Placebo-Vergleichsgruppe starben 51 Probanden. Sämtliche Teilnehmer waren älter, litten an Diabetes oder Herzkreislauferkrankungen, so dass ihr Risiko für Infarkte erhöht und vorauszusehen war, dass in beiden Gruppen Menschen sterben würden. 31 Todesfälle mehr in der Behandlungsgruppe sind aber ein deutlicher Unterschied, der sich vermutlich nur durch den Einfluss des Medikaments erklären lässt. "Ein neues Wirkungsprinzip bringt immer neue Risiken mit sich", sagt Schwabe. "Vioxx und die entsprechende Wirkungsgruppe haben wir anfangs auch hoch gelobt."

Bereits vor einem Jahr in den Schlagzeilen

Torcetrapib war bereits 2005 in die Schlagzeilen geraten. Der Harvard-Pharmakologe Jerry Avorn hatte im New England Journal of Medicine kritisiert, dass Pfizer das neue Medikament nur in Kombination mit dem hauseigenen Cholesterinsenker Atorvastatin testen und vermarkten wollte - und dass dieses Vorgehen auch noch von der US-Zulassungsbehörde FDA genehmigt wurde. Atorvastatin ist in Deutschland unter dem Namen Sortis auf dem Markt (in den meisten anderen Ländern als Lipitor) und mit etwa zehn Milliarden Dollar Jahresumsatz das derzeit erfolgreichste Medikament der Welt.

Vermutlich wäre nach einer erfolgreichen Teststudie nur die fixe Kombination Torcetrapib mit Atorvastatin zugelassen worden. "Es kann nicht sein, dass Marketingabteilungen die Forschungsrichtung vorgeben", sagt Avorn. "Die Bedürfnisse von Ärzten und Patienten werden womöglich nicht optimal berücksichtigt." Auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft kritisierte das Verhalten Pfizers und der FDA.

Pfizer hat zwar Milliardenverluste durch Entwicklungskosten und Gewinnausfälle. Eines muss das Unternehmen jedoch nicht befürchten: Da Torcetrapib noch nicht zugelassen war, kommen - anders als bei Vioxx von Merck oder Lipobay von Bayer - keine Schadenersatzklagen auf den Konzern zu. Die Probanden hatten unterschrieben, dass sie sich freiwillig dem Medikamententest unterziehen und mögliche Risiken in Kauf nehmen würden.

© SZ vom 5.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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