Magermodels:Kampf den Hungerhaken

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Die Modebranche verpflichtet sich, zu dünne Models vom Laufsteg zu verbannen, doch es gibt auch Kritik an den "mageren" Ergebnissen der Charta.

Angelika Slavik und Jochen Temsch

Anfang der neunziger Jahre ließ sich die klapperdürre Kate Moss für eine Parfumwerbung nackt auf einer Couch ablichten. Das war nicht nur ein irritierender Anblick, sondern auch der Beginn des sogenannten Heroin Chic: Ausgezehrte Frauen mit leerem Blick liefen über den Laufsteg, und meistens lief Kate Moss voran.

Es soll jetzt nicht mehr ganz "normal", dass auf den internationalen Laufstegen, wie hier 2004 in New York, klapperdürre Mädchen Mode vorführen. (Foto: Foto: AP)

Heute tritt Kate Moss etwas kürzer, und ihre Nachfolgerinnen wiegen oft noch weniger als sie. Sie tragen Size Zero, Größe Null. Doch zumindest auf deutschen Modeschauen sollen solche "Magermodels" in Zukunft nicht mehr zu sehen sein. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) präsentierte am Freitag eine Charta "gegen diesen krankhaften Schlankheitswahn", wie sie sagte.

Demnach sollen Models auf deutschen Laufstegen künftig einen Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 18,5 aufweisen müssen. Der BMI errechnet sich aus dem Körpergewicht geteilt durch das Quadrat der Körperlänge. Als "normal" gilt ein BMI zwischen 18 und 25. Auch Mädchen unter 16 Jahren will Schmidt künftig nicht mehr auf dem Catwalk sehen.

Zugestimmt haben der Vereinbarung der Verband der Modellagenturen Velma, das deutsche Modeinstitut und der Verband German Fashion, der die deutsche Modeindustrie vertritt.

600.000 kranke Frauen in Deutschland

Auch Frank Hartmann hat diese Verpflichtung unterschrieben. Er ist Geschäftsführer von Igedo, Veranstalter der Modewoche in Düsseldorf. Die wird in drei Wochen eröffnet, und Hartmann sagt, dass man da bereits den Unterschied merken werde. "Alle Modells werden mindestens Größe 36 tragen."

Ministerin Schmidt nennt das "einen Meilenstein" und hofft, das sich "möglichst viele dieser Vereinbarung anschließen werden." Schließlich gebe es 600.000 Frauen in Deutschland, die an Magersucht erkrankt seien, und das habe "nicht nur, aber auch mit falschen Vorbildern zu tun". Besonders bemühen will man sich um die Werbeindustrie, aber die weigert sich bis jetzt hartnäckig. Nicht nur deshalb tauchen Zweifel auf an der Wirkung, die diese Charta haben wird.

Der Chef von German Fashion Marc Voss sagt, dass "natürlich nicht in allen Anzeigen die Models deutsche Mode tragen". Die internationalen Ketten werden also auch weiterhin für Hungerhaken in den Hochglanzmagazinen sorgen.

Die Werber unterstellen der Bundesregierung Populismus. Volker Nickel vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) findet, Vorwürfe an seine Branche gingen an der Realität der Spots und Anzeigen vorbei. "Wir haben in Deutschland zu 99,99 Prozent keine Hungerhaken", sagt er. "Politiker sollten mehr Werbung gucken, dann würden sie wissen, was sich hier schon längst entwickelt hat."

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Falsche Vorbilder

Der Trend gehe seit Jahren hin zu natürlichen Typen "wie du und ich". Seiner Meinung nach ist Magersucht "ein gesellschaftspolitisches Randphänomen, kein zentrales, generelles Problem", dessen Ursachen man besser in den Familien bekämpfen sollte.

Zweifel an der Wirksamkeit der Charta kommen auch von Magersucht-Experten. "Ein niedriger BMI heißt nicht gleich Krankheit, manche Frauen sind einfach so schlank", sagt etwa Andreas Schnebel, Vorsitzender des Bundesfachverbandes Essstörungen und Leiter der Münchner Hilfseinrichtung Anad.

Ärztliche Kontrollen der Models hält er für sinnvoller. Schnebel nahm selbst an den Expertenrunden zur jetzt unterzeichneten Charta teil. Das Ergebnis hält er für eine "nette Absichtserklärung", die vor allem wichtige Aufmerksamkeit für das Thema erzeuge. Aber um Jugendliche zu erreichen, müsse man sie anders ansprechen.

Schnebel wünscht sich Sportler, Musiker und andere Idole, die öffentlich erklären, dass Äußerlichkeiten, Marken- und Schlankheitswahn nicht alles sind im Leben. Die Fast-Food-Industrie hält Schnebel außerdem für viel schlimmer als die Modebranche, was Essstörungen angeht.

Doch auch andere europäische Länder wie Italien, Spanien und Großbritannien setzen auf Selbstverpflichtungserklärungen und BMI-Messlatten. Der italienische Stardesigner Giorgio Armani mahnt seine Kollegen in Interviews: "Sie sollten Frauen nicht mehr als Gegenstände betrachten und nicht übertriebene Magerkeit zur Schau stellen." Eine französische Initiative forderte sogar, allerdings vergeblich, die "Anstiftung zur Magersucht" gesetzlich zu verankern, was Anzeigen gegen Modelabels möglich gemacht hätte.

Das Thema kleiderbügeldürre Mädchen kam bereits in den sechziger Jahren auf, als Lesley Hornby, genannt Twiggy ("Zweiglein"), Furore machte. Heute gehen Selbstdarstellerinnen wie Nicole Richie, Lindsay Lohan und Victoria Beckham mit schlechtem Beispiel voran. In Gang kam die aktuelle Diskussion bereits 2006, als das brasilianische Fotomodel Ana Carolina Reston mit 21 Jahren an den Folgen ihrer Magersucht starb. Bei einer Körpergröße von 1,74 Metern wog sie zuletzt noch 40 Kilogramm.

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