Männer-Kolumne:Diese Woche: Günter

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Unsere Kolumnistin stellt sich eine entscheidende Frage, die vermutlich nicht abschließend geklärt werden kann: Gibt es heutzutage eigentlich noch Gentlemen und, noch grundsätzlicher: Gehört der Gentleman überhaupt zu Deutschland?

Von Johanna Adorján

Einem möglicherweise zu Unrecht dem britischen Schauspieler Michael Caine zugeschriebenen Bonmot verdanken wir folgende Erkenntnis: "Ein Gentleman ist ein Mann, der Akkordeon spielen kann, es aber nicht tut." Wenig Wahreres ist je festgestellt worden, völlig unerheblich, von wem. Allerdings macht man es sich zu leicht, nimmt man nun im Umkehrschluss an, dass jeder Mann, der nicht Akkordeon spielt, auch ein Gentleman ist. Es soll auch große Gentlemen geben, die nicht als Straßenclowns hinter ahnungslosen Passanten herlaufen und dabei pantomimisch deren Gang nachahmen. Oder solche, die sich nicht in die Schlange vor der Sicherheitskontrolle am Flughafen einfach vorne reindrängeln und dabei harmlos gucken. Auch der CSU-Politiker, der neben mir wohnt, spielt meines Wissens nicht Akkordeon, aber am Zurückgrüßen könnte er noch üben, vom Türaufhalten ganz zu schweigen.

Gentleman der alten Schule müsste man sein. Dann würde einem manches nachgesehen

Und natürlich ist die große Frage, ob es heutzutage überhaupt noch Gentlemen gibt, sogar geben darf, wo es ja gar keine Gentlewomen gibt, jedenfalls nicht in unserem Kulturkreis. Gehört der Gentleman, meine Damen und Herren, überhaupt zu Deutschland, das ist wohl die eigentliche Frage, die hier jedoch abschließend nicht geklärt werden kann, dafür bedürfte es erst noch der vielen und erhitzten Meinungen der Twitterpolizei, aber als winziger Anhaltspunkt mag eine kleine Beobachtung dienen, die ich kürzlich machte, anlässlich einer Vernissage. Da saß eine elegante und irgendwie wichtige New Yorkerin mit kurzen weißen Haaren an einem Tisch zwischen lauter jüngeren Leuten. Irgendwann gesellte sich zu dieser Runde ein blendend aussehender ebenfalls weißhaariger Herr, ein Kunstsammler aus München, den eine extrem lässige Eleganz umgab, was nicht nur an seiner tadellosen, der Jahreszeit angepassten Kleidung lag (bilde ich mir nur ein, dass er ein dunkelblau-weiß gestreiftes Jackett trug?), sondern an seinem ganzen Auftreten, in dem diese unwiderstehliche Gewissheit lag, nie etwas zu verpassen, weil genau da, wo er war, immer der richtige Ort war. Und was tat nun dieser fabelhafte Mann? Zur Begrüßung beleidigte er erst mal die New Yorkerin, die er vor versammelter Tischrunde gut gelaunt darauf hinwies, dass sie ja wohl schätzungsweise so alt sei wie er, mindestens, eher sogar älter vielleicht. Und gleich weiter: Ihre Geschichte, und er sagte history, nicht story, was sie noch mal älter machte, würde ihn interessieren, vielleicht fände sich Zeit für einen Austausch. Die Runde hielt den Atem an. Die New Yorkerin guckte erstaunt. Und der Münchner, der sich durch kein Wimpernzucken anmerken ließ, ob er sich seiner Unhöflichkeit bewusst war, entkam der heiklen Situation, indem er einfach locker weitersprach. Sie hätten ja beide dieselbe Haarfarbe, womöglich sogar denselben Friseur? Kurze Pause, dann fröhliches Lachen aus New York, Lachen der ganzen Runde, und als der Münchner etwa eine halbe Stunde später ging, hatte er alle verzaubert, insbesondere die New Yorkerin. Das muss sogar ein Mann, der Akkordeon spielen kann, es aber nicht tut, erst einmal hinkriegen: eine Dame beleidigen und als Gewinner der Herzen gehen. Er lese diese Zeitung, sagte er, deshalb an dieser Stelle einen ganz herzlichen Gruß und: Respekt!

© SZ vom 02.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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