Madonna wird 50:Bitte nur nicht hipper als hip

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Eine Gefangene der Gegenwart, die lebenslänglich bekommen hat: Auf dem Höhepunkt ihres Ruhms wird Madonna 50 Jahre alt.

Jens-Christian Rabe

Es ist kein Wunder, dass in Zeiten, denen der Jugendwahn diagnostiziert wird, natürlich eigentlich die Alten wahnsinnig geworden sind, weil sie plötzlich so aussehen wollen, als seien sie jung. Und genauso wenig ist es ein Wunder, dass es in diesen Zeiten einen mächtigen Imperativ gibt: den nämlich, doch bitte gefälligst in Würde zu altern.

Die erfolgreichste Sängerin der Welt wird 50: Madonna. (Foto: Foto: dpa)

Beides gleichzeitig zu schaffen, also würdig jung zu bleiben, dass allerdings wäre ein Wunder. Lange, sehr lange sah es so aus, als würde die berühmteste Frau der Welt, die amerikanische Sängerin und Tänzerin Madonna, dieses Wunder vollbringen können.

Dann tauchte vor einigen Wochen ein Foto auf. Eine Frau war darauf zu sehen neben einem Mädchen, das ihre Tochter hätte sein können und tatsächlich ihre Tochter war. Das Foto zeigte Madonna mit ihrer mittlerweile 17-jährigen Tochter Lourdes - und sie sah blass, müde und ausgezehrt aus. Ein bisschen meinte man auch die schlimmen Folgen zu vieler Maßnahmen zur Gesichtsstraffung zu erkennen.

Zweifelsfrei gesund

Im gleichen Maße, wie man diese verdächtige Maskenhaftigkeit zu sehen glaubte und allzu aufgebockte Wangenknochen, in gleichem Maße schien so etwas wie Wahrheit auf. Seltsam wirkte auf dem Foto schließlich nicht nur Madonnas Gesicht. Besorgnis rief auch der Zustand ihres linken Oberarmes hervor: Endgültig durchtrainiert und final abgemagert schien er, furchterregend straff zeichneten sich innen die Adern ab.

Also doch, hieß es, jetzt habe sie den Kampf gegen ihr tatsächliches Alter verloren; das sei ihr Gesicht und ihr Körper, wenn uns das Rampenlicht nicht blende, in dem sie ja unglaublicherweise immer noch und gerade wieder mehr denn je steht. Ein neues, ihr elftes, Studioalbum, ,,Hard Candy'', ist im April erschienen und millionenfach gekauft worden, die nächste Weltstadiontour startet kommende Woche in Cardiff, Ende August kommt sie nach Deutschland. Es ist alles in bester Ordnung bei der Frau. Die Aufregung war nichts mehr als eine riesige Autosuggestion.

Auf dem schlimmen Foto war in Wirklichkeit nämlich nichts Außergewöhnliches passiert. Genau besehen war es alles andere als ein Dokument des Verfalls. Madonna war einfach nur ungeschminkt - und von der Kamera in dem Moment erwischt worden, in dem sie ihre Augen etwas zusammenkniff und ihren Mund leicht spitzte.

Auch der linke Oberarm war vollkommen intakt. Er wurde von der großen Tasche, die sie über der Schulter trug, nur etwas unvorteilhaft in der Mitte nach vorne gedrückt. Die Bilder der Fotoserie, die vor und nach diesem so groß diskutierten Bild entstanden, zeigen einen zweifelsfrei gesunden Star.

Die Frage allerdings, wie es so weit kommen konnte, wie eine Frau mit nunmehr 50 Jahren, also gute 15 bis 20 Jahre über dem eigentlich naturgemäßen Verfallsdatum eines weiblichen Massenstars, es noch vermag, immer wieder neu die Aufmerksamkeit beinahe der ganzen Welt auf sich zu ziehen - diese Frage führt direkt auf die dunkle Seite dieser Popmacht.

Denn diese Aufmerksamkeit ist schließlich nichts, was einem immer wieder einfach so zufällt. Wer den Erfolg im Pop auf Dauer stellen will, der muss nichts mehr wollen als diesen und nichts anderes tun als alles Nötige: Er muss sich unterwerfen. Immer wieder neu. Dem Geschmack der männlichen Massen, den jeweiligen Moden und Trends und nicht zuletzt seinem Körper. Er muss fitter als fit sein und williger als willig, nur bitte bloß nicht hipper als hip.

Als die strahlende Gallionsfigur, als Ikone der Post- und Postpostmoderne, als die sie immer wieder gerne in Stellung gebracht wird, taugt die als drittes von sechs Kindern eines Automechanikers in Bay City, Michigan, geborene Madonna Louise Veronica Ciccone nur, wenn man all das aus ihrer öffentlichen Persona herausrechnet, was im Kern die Basis ihres Erfolgs ist.

,,Ich bin ein materialistisches Mädchen und lebe in einer materialistischen Welt'', sang sie 1985 in ihrem frühen Hit ,,Material Girl'', und es war schon damals viel weniger Selbstironie als einfach die blanke Wahrheit. Die Legende erzählt, dass sie ihre Freundschaften zu Tänzern, Musikern, Schauspielern, Discjockeys und Designern von Anfang an einzig und allein ihrer Karriere unterordnete. Sicher ist, dass sie in ihrem Werk ihre Sexualität konsequent unter dem Gesichtspunkt der gewinnbringenden Vermarktbarkeit einsetzte.

Madonnas Sex war deshalb auch niemals einfach nur der Sex einer enthemmten oder einfach freizügigen Frau. Als streng katholisch erzogenes Mädchen wusste sie, dass es noch viel effektiver sein würde, ihre Laszivität nur als ,,ausnahmsweise offerierte Laszivität eines anständigen katholischen Mädchens'' zu präsentieren, wie es einmal der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen formulierte.

Diese Art einer quasi informierten Sexyness, wie sie der Star im Grunde bis heute ausstellt, ist aber das glatte Gegenteil dessen, für das sie unter anderem von der amerikanischen Kulturwissenschaftlerin Camille Paglia und anderen popaffinen Intellektuellen gefeiert wurde.

Sie ist eben nicht Teil der ,,Wiederherstellung der weiblichen Herrschaft über das Reich der Sexualität'', wie Paglia behauptete, sondern allein dessen Simulation, die bis zur größtmöglichen Massentauglichkeit und Perfektion betriebene aktualisierte Variation klassischer Männerphantasien um des Geschäfts willen: Mauerblümchen, blonder Engel, böses Mädchen, Diva, Domina, Prostituierte, Femme fatale. Girl Power mit der Betonung auf Girl. So wurde sie der lebende Beweis für die traurige und nach wie vor offenbar ausnahmslos gültige Tatsache, dass man es als Frau schaffen kann, wenn man nur den härteren Mann gibt.

Gestählter Geschäftssinn

Mit Emanzipation oder Selbstbewusstsein im engeren Sinne hat das fast nichts zu tun. Umso mehr mit einem grenzenlosen Willen zum Erfolg: ,,Um Erfolg zu haben, muss ich ein Sexsymbol sein.'' Und wenn sie clever betonte, dass sie keine Feministin sei, ihre Kunst allerdings feministisch, dann zeigt sich darin wie in all den anderen ihrer kalkulierten Provokationen vor allem ein gestählter Geschäftssinn. Vergrault fühlt sich so schließlich niemand.

Auch ihren Ruf als Pop-Avantgardistin, endgültig erworben mit dem 1998 veröffentlichten Album ,,Ray of Light'', verdankt sie weniger ihrem musikalischen Innovationsvermögen als einem guten Riecher für den gerade angesagtesten, das heißt aus dem Untergrund längst hochgespülten Produzenten bzw. Sound. Sie hat die Zeit eben nie vor sich her getrieben, wie es viele gerne hätten. Sie ist ihr immer hinterhergerannt. Sie hat die Muster der Zeit ausgefüllt und industrialisiert, nie selbst entworfen.

Wenn es jetzt heißt, Madonna sei die einzige Gefangene, die die Gegenwart je gemacht hat, dann ist das nicht ganz richtig. Ein Einzelschicksal hat sie in diesem Sinne sicher nicht. Wie es aussieht, die neuesten Paparazzi-Bilder beweisen es, ist sie nur die einzige, die lebenslänglich bekommen hat.

© SZ vom 16.08.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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