Lokaltermin:Eins 44

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Neukölln gibt sich immer schicker. Im Eins 44 wirkt das Essen so stylisch wie die Räume des Lokals. Und wie sieht es hinter der Fassade aus?

Von Harriet Köhler

Das Gespenst der Gentrifizierung geht in Neukölln ja schon lange um - ewig ist's her, dass man verschämt betonte, in "Kreuzkölln" zu wohnen, also nur mit einer Pobacke im subproletarischen Sumpf zu sitzen und mit der anderen im illustren Kreuzberg. Der Fritz-Kola-Schilderwald ist längst bis zum Tempelhofer Feld gewuchert, der Türkenmarkt am Maybachufer heißt jetzt BiOriental, in ehemaligen Eckkneipen der einst düsteren Weserstraße bestellt man statt Molle mit Strippe nun Moscow Mule. Doch während die Nachbarschaft längst in einen Mietspiegel mit Charlottenburger Charme blickt, ist die gastronomische Landschaft noch immer etwas improvisiert: Zwar gibt es inzwischen ganz gute Dim-Sum-Lokale und schottische Pubs, Burgerbuden und Burrito-Läden - aber sehr viel feiner speiste man in Neukölln bislang noch nicht.

Einen Schritt in diese Richtung geht jetzt das Eins 44: Das Restaurant befindet sich in den Räumen einer ehemaligen Likör-Destillerie im zweiten Hinterhof der immer noch eher finsteren Elbestraße, wo vom Rathaus Neukölln her noch immer eine feine Kebap- und Berliner-Kindl-Fahne das Trottoir hinabweht. Doch hier wird gar nicht erst versucht, Expats und Sprachschüler aus dem Kiez zu locken, nein, als Gäste strebt man gleich die Nachbarn von morgen an: diejenigen, die am nahen Landwehrkanal bereits die Dachgeschosse sanieren. Und so zeigt sich der hohe, hübsch gekachelte Raum zwar rough und im nicht tot zu kriegenden Industrial Chic, doch schmücken Stoffservietten hier die Vintage-Tische, aus auffrisierten Werkstattlampen werfen Halogenstrahler punktgenaues Licht und im Sommer rascheln auf der Terrasse Bambus und weißes Tischtuch im Wind.

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Die Küche gibt sich alle Mühe, die Erwartungen der gehobenen Kundschaft zumindest optisch zu erfüllen - die Teller sehen mit allerlei Pinselstrich und Klekschen allesamt nach feinster Sterneküche aus. Leider verflüchtigt sich dieser Eindruck, sobald man das Essen probiert. Der Blumenkohl etwa kommt, ganz nach der Mode, orientalisch inspiriert und als Dreierlei auf den Tisch - mal in körnigem Couscous, mal als mit Curryrosinen akzentuiertes, feines und überraschenderweise kaltes Pürree und schließlich sous-vide gegart und dann scharf angebraten. Das könnte stimmig schmecken, wäre der gebratene Kohl nicht so brutal gesalzen, dass es einem die Zehennägel aufrollt, sobald man ihn zusammen mit den quietschsauren rosa Grapefruitstücken probiert (11,50 Euro).

Zu viel Salz hat auch die "Entenleber" erwischt, überhaupt ist die Terrine insgesamt zu kräftig, wenn man bedenkt, wie schwächlich sie begleitet wird: Nämlich von einer Art Rote-Bete-Jus, die so ausdruckslos schmeckt, dass man es mit der tiefdunklen Farbe kaum zusammenkriegt, und von Birnenstückchen, die hart, unreif und frei von jedem Aroma sind (15 Euro).

Ein wenig besser gelungen, wenn auch nicht unendlich fantasievoll, ist da der Heilbutt, der als hübsch anzusehende, grün-weiße Roulade mit Spinatfülle daherkommt; dazu gibt es eine gut glasig gebratene Garnele im Fadenteigmantel, Erbsencreme und ein klassisches, knackiges Ratatouille. Allein, was der knusprig-harte Reisrösti auf dem Teller macht, will sich nicht so recht erschließen, der sieht zwar interessant aus, schmeckt aber nach nichts (27,50 Euro).

Ein Wort muss zum Variantenreichtum der Speisekarte gesagt werden, der ist nämlich dürftig. Nicht nur, dass der Vegetarier hier ziemlich blöd aussieht (die Blumenkohlvorspeise ist der einzige fleischlose Gang auf der Karte), auch Muslim sollte man besser nicht sein: Bei den Fleischhauptgängen hat man nämlich die Wahl zwischen Duroc-Schweinebäckchen und Mangalica-Schweinekarree. Letzteres (26,50 Euro) kommt in dicken Tranchen, begleitet von einer ziemlich zähen Petersilienwurzel, charmant scharfem Hummus, einem salzig-süßen Möhrenröllchen, etwas Fenchel und schwarzen "Sesamschwämmchen", die spektakulär molekular aussehen, sich aber als geschmacksneutrale Gebäckbröckelchen entpuppen. Insgesamt fehlt dem Gang ein belebender Kontrast, irgendetwas, das verhindert, dass das eigentlich angenehm erdige Aromenspektrum nach ein paar Bissen bloß noch dumpf wirkt. (Außerdem fehlte ein scharfes Messer, um das zum Teil doch recht dunkelrosa gebratene Fleisch und die widerspenstige Wurzel zu bezwingen.)

Und so verfestigt sich der Eindruck, dass man im Eins 44 weiß, welche Zutaten von Kichererbse bis Roter Bete gerade en vogue sind und wie man diese farbenfroh und hübsch arrangiert, dass sich der Versuch, eine Vielzahl von Aromen auf den Teller zu bringen, letztendlich jedoch im geschmacklichen Nirgendwo verliert. Auch dem Dessert gelingt es nicht, den Abend herumzureißen: Die "Birnencharlotte" (11 Euro) zeigt zwar brav Fifty Shades of Birne, bleibt insgesamt aber zu kontrastarm, um Spaß auf die Zunge zu bringen. Allein das Safrangelee auf dem Törtchen sticht hervor, und das gar nicht mal so angenehm.

© SZ vom 11.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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