Liebesleben:Der sanfte Bruch mit sexuellen Tabus

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Natürlich hat alles seine Grenzen. Doch medizinische Gründe gegen phantasievolle Liebe gibt es nur selten.

Beatrice Wagner

Christiane und Thomas sind seit einigen Monaten ein Paar und sehr glücklich - in Sachen Sex allerdings könnte noch was gehen: Während er es liebt, seine Freundin nicht nur mit den Händen, sondern auch mal mit Lippen und Zunge in intimen Regionen zu berühren, ist sie eher zurückhaltend - französischem Sex oder gar "per rectum" steht sie ablehnend gegenüber. Obwohl ihr bewusst ist, dass sie damit manchen Wunsch des Partners unerfüllt lässt.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Unkonventionelle sexuelle Praktiken sind für viele Menschen von vornherein tabu - ohne dass ihnen allerdings der Grund dafür bewusst wäre. Das ist das Wesen eines Tabus. Davon gibt es im Gesellschaftsleben übrigens eine ganze Menge.

So zum Beispiel jenes, dass zwei heterosexuelle Männer Hand in Hand über die Straße gehen; auf Bali hingegen ist dieses Verhalten normal. Bei uns ist es tabu, Verstorbene länger als nötig bei sich zu behalten; im Inselstaat Samoa aber begraben Angehörige ihre Toten im Vorgarten.

Solche Tabus oder ungeschriebene Gesetze einzuhalten, gehört zur kulturellen Identität einer Gesellschaft - man sagt, es sei leichter, ein geschriebenes Gesetz zu brechen als ein Tabu. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, sondern kann den sozialen Frieden in der Gemeinschaft unter manchen Aspekten besser regeln als jedes dickes Gesetzbuch.

Allerdings gibt es auch individuelle Tabus, speziell was die Sexualität betrifft. Und diese sind nicht immer sinnvoll. Wie kann man mit ihnen umgehen, damit diese persönlichen Tabus in einer Beziehung dem erfüllten Sex nicht im Wege stehen? Orale und anale Praktiken beispielsweise sind in einigen Kulturen fast schon traditionell üblich, in anderen Gesellschaften hingegen werden sie vehement abgelehnt. So ist Brasilien bekannt für ungehemmten analen Sex, dagegen sind manche mittelamerikanischen Inselstaaten eher Anhänger von oralem Sex. Umgekehrt wäre da nichts zu machen.

Hygienefachleute haben übrigens gegen beide Praktiken nichts einzuwenden. Wenn die Partnerin oder der Partner einen solchen Wunsch hat, könnte man beispielsweise versuchen, seine Ängste zu äußern - sich aber trotzdem dem Neuen in winzigen Schritten annähern. Vielleicht ist es gar nicht so schlimm? Jeder von beiden kann zu jedem Zeitpunkt abbrechen, wenn es doch nicht gefällt.

Warum nicht die Probleme ansprechen?

Manchmal sind es ganz alltägliche körperliche Beschwerden, über die sich im Zusammenhang mit Intimität nur schlecht reden lässt: Migräne und Rückenschmerzen sind die beiden häufigsten Symptome, wegen derer Schäferstündchen zur Enttäuschung des einen oder anderen eingestellt werden. Warum nicht einfach aussprechen, dass der Rücken in einer bestimmten Stellung schmerzt, und sich dann gemeinsam bequemere Positionen oder Praktiken suchen? Das ist allemal besser, als gar keinen Sex zu haben.

Oftmals steht das Geruchsempfinden der sexuellen Experimentierfreude im Weg. So scheuen sich Frauen manchmal, mit der männlichen Samenflüssigkeit ganz bewusst in Berührung zu kommen. Auch viele Männer wollen den Intimbereich der Partnerin nur als Aktionsfeld für den Penis sehen. Sind beide Partner gesund, gibt es aber eigentlich keinen Grund, den Geruch während oder nach dem Sex nicht aufregend zu finden. Allerdings können Entzündungen wie Pilz- oder Bakterieninfektionen das Schleimhautmilieu verändern - und damit auch den Körpergeruch.

Vorsorgeuntersuchungen für ungetrübte Liebesfreuden

Damit Entzündungen die Liebesfreuden nicht mindern, sollten Frauen und auch Männer regelmäßig die Vorsorgeuntersuchungen beim Gynäkologen bzw. Urologen wahrnehmen. Spätestens wenn beim Sex unangenehme Gefühle oder gar Schmerzen auftreten, ist es dringend an der Zeit, mit dem Arzt zu sprechen.

Manche Menschen schämen sich bestimmter Körperbereiche, weil sie Merkmale tragen, die sie selbst als störend empfinden. So kann ein Muttermal für den Besitzer unschön sein, auf den Partner aber eher reizvoll wirken. Auch andere vermeintliche "Schönheitsfehler" , wie sie natürlicherweise an Brüsten, Schamlippen, Penis oder Hoden vorkommen, stören oft nur die Betroffenen, während der liebende Partner sie gerade liebenswert findet.

Unterschiedlich reagieren Männer und Frauen manchmal auf das Thema der weiblichen Ejakulation. Sexualforscher gehen davon aus, dass dieser bei 10 bis 15 Prozent der Frauen vorliegt: Während des Orgasmus tritt durch zwei winzige Ausgänge direkt neben der Harnröhrenöffnung eine besondere Flüssigkeit aus. Während es den betroffenenFrauen selbst zunächst oft peinlich ist, empfinden Männer das Phänomen auf keinen Fall als unangenehm. Das Beste ist es, offen miteinander darüber zu sprechen.

Das gilt auch, wenn es um die Liebe während der "Tage" geht. Wer die Menstruation aus Prinzip zur keuschen Phase erklärt hat, verzichtet pro Monat fast eine Woche lang auf Sex. Medizinisch oder hygienisch betrachtet besteht keinerlei Grund für diese Abstinenz während der Menstruation. Die Partner sollten einfach gemeinsam entscheiden, wie sie es damit halten wollen - Geschmacksache sozusagen.

(Quelle: Medical Tribune - Gesundheit und Medizin", Ausgabe Juli 2007, S. 48)

© Dr. Beatrice Wagner ist Humanbiologin und Journalistin für Wissenschaft und Medizin. - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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