Liebesgeschichte:Es begann vor 84 Jahren

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Hamann und Jentsch (Foto: Privat)

1932 lernt Martin Hamann Ruth Jentsch kennen. Sie verlieben sich, doch dürfen nicht heiraten. Jentschs Mutter ist jüdisch. Mehr als 60 Jahre später werden sie ein Paar.

Von Thomas Hahn

Martin Hamann war müde geworden. Aber die Zeitung las er jeden Tag, und so stieß er auf jenen Aufruf, in dem es hieß, Leser sollten ihre Liebesgeschichten einsenden. Martin Hamann erinnerte sich: Ruth. Der Nazi-Wahnsinn. Das Wiedersehen mehr als 60 Jahre später. Er setzte sich an seinen Schreibtisch im Pflegewohnstift Pattensen und schrieb in klarer, sauberer Schrift einen kurzen Brief.

Ein paar Wochen später sitzt Grit Georgi, Hamanns Tochter, in ihrem Wohnzimmer in Hannover und sagt: "Er war eigentlich ein stiller Mensch. Er hat gerne zugehört." Er war, denn ihr Vater ist tot, gestorben drei Wochen nachdem er den Brief geschrieben hatte, und ein bisschen wundert sich Grit Georgi, dass er so kurz vor seinem Tod seine eigene Geschichte in den Vordergrund stellte. Er war 101 Jahre alt, von seiner Müdigkeit hatte er selbst gesprochen. Aber manche Geschichten trägt man eben bis zum letzten Augenblick im Herzen.

"Genehmigung zur Eheschließung mit dem deutschblütigen Staatsangehörigen Martin Hamann (. . .) versagt"

Martin Hamann und Ruth Jentsch aus Leipzig lernten sich 1932 kennen. Die Liebe ist eine Naturgewalt, deshalb spielte es für die beiden keine Rolle, dass Ruth eine jüdische Mutter hatte. Aber 1933 kam die rassistische NSDAP an die Macht, die 1935 die Nürnberger Gesetze verabschiedete. Und plötzlich war die Liebe von Ruth und Martin verboten. Am 24. Oktober 1937 richtete Ruth Jentsch eine "Bitte um Genehmigung der Ehe" an die Kreishauptmannschaft Leipzig, gezwungenermaßen. Am 11. Mai 1938 antwortete der Kreishauptmann: "Der Herr Reichs- und Preußische Minister des Innern hat im Einvernehmen mit dem Stellvertreter des Führers die von Ihnen erbetene Genehmigung zur Eheschließung mit dem deutschblütigen Staatsangehörigen Martin Hamann (. . .) versagt.

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Die getroffene Entscheidung ist endgültig." Die Gestapo bestellte Ruth ein und drohte mit "staatspolizeilichen Maßnahmen" bei wilder Ehe. Martin Hamann reagierte in einem Schreiben "an den Herrn Reichsminister des Inneren" mit größtmöglicher Systemfreundlichkeit, und Ruths Vater, deutscher Soldat im Ersten Weltkrieg, Oberpostinspektor und Parteianwärter, setzte sich ein. Es nützte nichts. Ruth und Martin lösten ihre Verlobung.

Beide überlebten die Nazizeit, Martin als Kriegssoldat, danach gingen sie ihrer Wege. Martin Hamann heiratete 1950, wurde Vater, zog 1958 als Versicherungskaufmann nach Bremen. Ruth Jentsch heiratete 1948, wurde Mutter, arbeitete in Leipzig als Buchhändlerin, später im Lektorat eines Verlages. Und bald stand zwischen den beiden ja auch diese Mauer, die West- von Ostdeutschland trennte.

Im Sommer 2002 bekam er einen Brief

Aber Ruth Jentsch hatte noch ein Gedichtbüchlein, das Martin Hamann ihr in ihren glücklichen Zeiten gegeben hatte. Im Sommer 2002 bekam er einen Brief. Er war von ihr, sie schrieb: "Lieber Martin, Freunden, denen ich aus meinem langen Leben berichtete, boten sich an, nach Deiner Adresse zu forschen, und hatten Erfolg." Ob er noch Interesse an dem Gedichtbüchlein habe? Er erinnerte sich sofort, aber seiner Frau ging es nicht gut. Sie starb 2003, erst danach war er bereit für ein Wiedersehen. An Silvester 2003 gab Ruth, 90, Martin, 89, sein Gedichtbüchlein zurück.

Sie sind dann noch mal ein Paar gewesen. Sie waren in der Oper. Sie besuchten sich. Bis Ruth Jentsch starb, und Martin Hamann wieder allein war mit dieser Geschichte, die er vor seinem Tod noch erzählt haben wollte.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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