Krankmacher:Die vergebliche Suche nach der Gesundheit

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Was macht krank? Dieser spannenden Frage wollten Mediziner nachgehen. Das Ergebnis ihrer Tagung: enttäuschend.

Werner Bartens

Akademien können wichtige Impulse geben - wenn die Referenten Neuorientierung oder überraschende Einsichten vermitteln. Egon Bahr nahm 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing in seiner Rede "Wandel durch Annäherung" die Ostpolitik der Regierung Brandt intellektuell vorweg.

Mancher Redner wirkte so, als ob er zu einem Betriebsausflug zwangsverpflichtet wurde (Foto: Foto: iStockphotos)

Solche Höhepunkte sind in Akademien selten, aber Begeisterung und frische Ideen kann man von Vortragenden schon erwarten. Schließlich werden Akademien im Idealfall zu Orten der politischen Willensbildung oder wissenschaftlichen Aufklärung.

Umso enttäuschender, wenn bei einer Tagung zu dem Thema "Was macht krank - was hält gesund?" zu Beginn dieser Woche in Tutzing hauptsächlich biedere Kost geboten wird. Die meisten Redner reduzierten den komplexen Zusammenhang von Umwelt, Lebensstil und Genen auf ihr - zumeist molekulares - Forschungsgebiet.

Vielleicht sollten Akademien weniger und dafür bessere Tagungen anbieten. Im konkreten Fall hat die Akademie mit dem Helmholtz-Zentrum München kooperiert - das nennt sich immerhin Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt.

Wie auf einem Betriebsausflug

Da Einnahmen Zuschüsse der Kirche seit dem Jahr 2000 um 30 Prozent zurückgegangen sind, suchen konfessionellen Akademien Sponsoren und Kooperationen. Diese Notlage führte dazu, dass Presse-Sprecherinnen des Helmholtz-Zentrums die Tagung moderierten - und viele Helmholtz-Referenten vorstellten. Der Diskussion tat das nicht gut.

Mancher Redner wirkte so, als ob er zu einem Betriebsausflug zwangsverpflichtet wurde. Mehrere Referenten begannen ihren Vortrag mit der Frage, wer ihnen "dieses Thema aufs Auge gedrückt" habe. So hörten sich viele Beiträge auch an.

Im Publikum saßen etliche Ärzte und Mitarbeiter von Gesundheitsbehörden, die sich verschaukelt vorkamen, wenn ihnen zu Lungenleiden oder Diabetes eine Einstiegsvorlesung aus dem Medizinstudium präsentiert wurde. So musste ein Zuhörer eingreifen und richtigstellen, dass keine Adipositas-Epidemie im Kindesalter drohe, wie der Referent suggeriert hatte. Seit einigen Jahren sinkt in Deutschland der Anteil Übergewichtiger bei Schuleingangsuntersuchungen.

Günther Wess, Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums, strich einseitig die genetischen Grundlagen von Krankheiten hervor und betonte, welche gewaltigen Aufgaben Forschung und Pharmaindustrie vor sich haben. Vielleicht muss man so reden, wenn man lange Jahre als Forschungsleiter bei Hoechst beschäftigt war, dem Thema wurde die Engführung jedoch nicht gerecht.

Als ein Zuhörer nachfragte, ob nicht auch Selbstheilungskräfte, Stressresistenz sowie regenerative Eigenschaften des Organismus beeinflussen, ob jemand gesund bleibt, ergab sich ein charakteristisches Missverständnis der Tagung: Günther Wess lobte in seiner Antwort das regenerative Potential von Stammzellen. Auf Wess' Behauptung, dass Deutschland sich ein Beispiel an der Forschung in den USA nehmen solle, entgegnete ein Zuhörer: "Sind denn da die Menschen gesünder?"

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"Sichtbarer Makel"

Dass die Kernfrage der Tagung noch in Angriff genommen wurde, verdankten die Zuhörer Referenten wie Dennis Nowak. Der Arbeits- und Umweltmediziner von der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigte die Crux von Eigen- und Fremdverantwortung auf. Aus seiner Sicht haben viele Präventionsbemühungen versagt, denn "theoretisch lassen sich alle Berufskrankheiten vermeiden und viele andere Gefahren auch". Aber Wissen erzeuge nun mal keine Verhaltensänderung.

Nowak entlarvte das Motto "Fordern und Fördern" als repressive Floskel: Gesundheit fördern hieße doch, dass man sich als gut situierter Akademiebesucher überlegen kann, ob man drei- oder viermal am Tag Salat isst und 45 statt 30 Minuten Sport treibt. "Fordern hingegen bedeutet, unwillige Gesunde und unfähige Kranke mit Sanktionen zu belegen", so Nowak. Dass Nikotin, Bewegungsmangel und Alkohol ungesund seien, wisse mittlerweile jeder.

"Übergewicht und Rauchen sind zum sichtbaren Makel sozialer Diskriminierung geworden", so Nowak. Dass es sozial Schwächeren an Handlungsspielräumen mangele, mache sie krank. Aus den Genen lässt sich das nicht herauslesen.

Das Wechselspiel zwischen Genen, Umwelt und Psyche wurde von anderen Referenten kaum ausgelotet - ein Psychologe oder Psychosomatiker war nicht eingeladen, nur der obligatorische Feigenblatt-Ethiker. Die Gefahren durch Feinstaub, Radon im Boden, Passiv-Rauch oder einseitige Ernährung sind interessant. Spannend wird es aber, wenn diese Risiken in Beziehung zum Lebensstil gesetzt werden.

So haben Pima-Indianer weltweit die stärkste Veranlagung für Diabetes. Von den körperlich aktiven Angehörigen des Stammes in Mexiko bekommen fünf bis zehn Prozent die Zuckerkrankheit. In Arizona leben die Pima zumeist bewegungsarm und arbeitslos im Reservat. Von ihnen erkranken 40 Prozent an Diabetes.

Tödliche Billig-Jeans

Widersprüche in der Debatte bleiben. Damit Kunden in Deutschland gebleichte Jeans kaufen können, werden diese in der Türkei von 15-Jährigen mit Quarzsand abgestrahlt. Mehrere türkische Jugendliche sind an Silikose - der Bergarbeiterlunge - gestorben.

"Aber wer hat Schuld? Das weiß ja keiner, der bei H&M eine Hose kauft", so Dennis Nowak. Susanne Weber-Mosdorf von der WHO zeigte die Diskrepanz zwischen Reden und Handeln. In Deutschland werden oft bessere Arbeits- und Umweltbedingungen weltweit gefordert.

Der Valentinstag befördere das Gegenteil: "Die Blumen werden mit hohem Pestizideinsatz in Afrika und Südamerika produziert, machen die Menschen dort krank und bringen das längst verbotene Gift hierher zurück."

Woher das üppige Blumenbukett kam, das vor dem Rednerpult in Tutzing aufgebaut war, blieb - wie so viele Fragen - unbeantwortet.

© SZ vom 21.02.2009/mmk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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