Kolumne: Mein Bauch gehört mir!:Die große Light-Lüge

Lesezeit: 4 min

Früher kaufte die Mama ein, als Student - naja, niemand. Nun ist man plötzlich erwachsen und soll sich im Supermarkt auskennen. Ein Wahnsinn.

Jürgen Schmieder

Wenn man als wild entschlossener Abnehm-Junkie durch einen Supermarkt spaziert, kommt es einem vor, als würde man durch ein Casino in Las Vegas marschieren. Überall blinkt es, in den schrillsten Farben springen einen die Produkte an.

Nicht einmals aufs Mineralwasser ist Verlass. (Foto: Foto: dpa)

Früher war alles einfacher. Als ich noch zur Schule ging, da habe ich im Hotel Mama gewohnt. Der Kühlschrank war immer voll, es gab drei geregelte Mahlzeiten - zwei davon warm - und für Naschereien war auch immer gesorgt. Natürlich ist meine Mama Ernährungsexpertin. Was immer auf dem Tisch stand, war gesund - nicht zuletzt deshalb, weil sie bei meinem Vater seit gut 30 Jahren ein Dauerprojekt laufen hat: Zwischen 15 und 40 Kilo müssen weg, je nach Jahreszeit.

Dann kam die Studentenzeit und, naja, im Kühlschrank befanden sich neben drei Flaschen Bier nur eine Ketchup-Flasche und Butter. Es gab ja schließlich die Mensa und die wöchentlichen Care-Pakete der Mama.

Jetzt ist alles anders. Ich kaufe selbst ein. Ich gehöre zu der Generation, die mit Werbefernsehen aufgewachsen ist, die nur Produkte kennt, die ausführlich und möglichst kreativ im Fernsehen beworben werden. Wie soll man sich sonst im Supermarkt zurechtfinden? Und woher soll man wissen, was gesund ist? Das wird in keiner Schule gelehrt.

Es gibt alle in Light-Form

Fast alles ist light im Supermarkt oder gar zero. Prima, denke ich mir. Wenn man sich vorher ausschließlich von Burgern, Tiefkühl-Pizza und Gummibärchen ernährt hat, dann muss man doch automatisch abnehmen, wenn man einfach nur Produkte kauft, auf denen light steht.

Und was es da nicht alles gibt: Cola light, Joghurt light, Butter light, Milch light, Brotaufstrich light. Sogar das Brot ist light. Steht zumindest auf der Verpackung. Ich packe noch ein Feierabend-Bier drauf, natürlich die Light-Version. Auch noch im Einkaufskorb: Pizza light und - man glaubt es kaum - Zucker light.

Mensch, ist das toll, denke ich mir. Die unerträgliche Light-igkeit des Einkaufs muss gefeiert werden. Ich gönne mir eine Pizza, einen Diät-Wein und einen Joghurt. Nur beim Salat habe ich ein schlechtes Gewissen, seit ich von der großen Salatlüge gehört habe. Irgendwie schade, dass es keinen Salat light gibt. Das wäre doch mal was.

Zum Frühstück gibt's ein Müsli in Light-Version, dazu ein leichtes Brot mit leichtem Frischkäse. Der Kaffee wird mit Light-Milch und Light-Zucker verfeinert. Schmeckt alles prima. Wenn das auch noch dünn macht, werde ich mir ein T-Shirt drucken lassen, auf dem mein Foto drauf ist und drunter steht: "Jürgen light". Ich stelle mir vor, wie ich wohl in einem Werbespot neben einer gut gelaunten Light-Schokolade-Esserin mit im Gesicht zementiertem Dauergrinsen aussehen würde und plane bereits eine Karriere als Model - nach Abschluss von "Projekt 15" freilich. Das mit dem Schreiben hat bei mir eh keine Zukunft.

Ich habe zwar permanent Hunger, aber das ist kein Problem. Von den Light-Produkten kann man ruhig ein wenig mehr essen, denke ich mir. Ach was, ich könnte mich darin baden und würde immer noch Pfunde verlieren. Durch den Supermarkt spaziere ich mit dem "Ich kenn mich aus"-Blick. Der Hausfrau von nebenan zwinkere ich wissend zu, als ich Light-Marmelade von Regal hole. Ja, wir verstehen uns. Ich war blind, nun kann ich sehen.

Verbotene Begriffe

Meine Entwicklung vom Ernährungs-Deppen zum Guru des gesunden Genusses erzähle ich auch meinen Kollegen. Bewundernd bieten sie mir eine Zigarette an. Ich kenne die Verpackung: Das sind Light-Zigaretten. Aha, der Herr Kollege hat die Vorteile des Light-Seins auch schon erkannt. Ich will ein Augenzwinkern auspacken, als ich entdecke: Auf der Verpackung steht kein Wort mehr von light wie früher. Die Zigaretten heißen jetzt "gold" oder "red" oder "blue".

Warum? "Der Begriff ist mittlerweile verboten", belehrt mich der Kollege, weil er irreführend sei. Studien haben ergeben, dass "leichte" Zigaretten mit niedrigerem Teergehalt genauso krebsfördernd sind wie "normale" und ebenso viele kanzerogene Giftstoffe inhaliert werden. Ich kassiere ein Zwinkern vom Kollegen und ärgere mich. Warum weiß ich das nicht?

Ich werde stutzig. Wenn das bei Zigaretten so ist, könnte es sein, dass Light-Produkte beim Abnehmen so viel helfen wie zehn Sekunden Nordic Walking?

Ich beginne ein bisschen zu recherchieren: Tatsächlich ist der Begriff "light" nicht gesetzlich geschützt. Es muss sich bei den Produkten also nicht um kalorienarme Nahrungsmittel handeln. Ein Blick auf das Mayonaise-Glas reicht. In riesigen Buchstaben steht light drauf, darunter ist eine Tabelle mit den Nährwertangaben. 50 Prozent Fett sind da immer noch drin, 100 Gramm enthalten immer noch 500 Kalorien! Hilfe! Und ich habe mein Light Sandwich in Mayonnaise ertränkt. Der Traum vom Model zerplatzt wie die Blase, die ich gerade mit meinem Light-Kaugummi gemacht habe.

Verzweiflung macht sich breit: Habe ich eine Woche lang die falschen Dinge gegessen? Bin ich auf eine große Lüge hereingefallen?

Naja, wenigstens habe ich morgens meistens leckere Corn-Flakes gegessen. Der perfekte Start in den Tag. Zumindest denke ich das. Ein befreundeter Ernährungswissenschaftler klärt mich auf: zuviel Zucker, zuviel Salz. Würde man die Verpackung essen - also den Pappkarton, in dem die Flocken verkauft werden -, würde man mehr Mineralstoffe zu sich nehmen als mit den Corn Flakes.

Ach herrje! Habe ich eine Woche verschenkt bei "Projekt 15"? Ich muss auf die Waage, um Gewissheit zu erhalten. Ich falle beinahe rückwärts wieder runter: Da stehen flockige 94 Kilo! Ich habe 500 Gramm zugenommen. Nein! Ich spüre, wie die Ader auf meiner Stirn zu pochen beginnt. Ich bin hereingefallen auf den billigsten Trick der Werbeindustrie.

Aber worauf kann man sich denn noch verlassen, wenn nicht auf den Schriftzug "light"? Mein Arzt gibt mir einen wichtigen Tipp: "Achten Sie auf den glykämischen Wert von Lebensmitteln", sagt er. "Versuchen Sie, Produkte mit niedrigem Wert zu essen, sonst steigt der Blutzuckerspiegel schnell wieder an."

Das bedeutet: Ein Stück Schokolade (auf die ich dank der Hypnose immer noch keine Lust habe) nach dem Essen sorgt dafür, dass man bereits nach zwei Stunden wieder Hunger hat, obwohl man sich zuvor satt gegessen hat. Der glykämische Wert zeigt auch, dass Obst nicht gleich Obst ist: Eine Grapefruit etwa hat einen Wert von 25, während es eine getrocknete Dattel auf 99 bringt.

Vielleicht sollte ich das einmal versuchen. Vielleicht aber sollte ich einfach nur mal wieder meine Mutter anrufen und sie fragen, was auf ihrem Einkauszettel steht. Den soll sie mir einfach faxen. Oder wieder Care-Pakete schicken.

Light-Produkte haben mir einen ersten Rückschlag verpasst. Aber ich lasse mich nicht entmutigen. In dieser Woche steht ein Projekt an, mit dem ich mich vollkommen identifizieren kann: Abnehmen durch Computerspielen! Ich bleibe dran!

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