Kochen statt darüber reden:Man spricht nicht mit vollem Mund

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Loriots Kellner verdarb seinem Gast den Appetit auf seine Kalbshaxe mit nur einem Wort: "Schmeckt's?" Es ist an der Zeit, das Gequatsche übers Kochen zu beenden, denn: Essen ist keine Kunst.

Sonja Zekri

Das musste so kommen, das war nur logisch, das konnte niemanden überraschen. Ferran Adrià, Koch und Inhaber des spanischen Restaurants "El Bulli" wird im Juni auf der Documenta in Kassel, ja, was eigentlich? kochen? auftreten? inszenieren? Documenta-Chef Roger-Martin Buergel sprach vage von einem "Workshop": "Ich behandele ihn wie einen Tänzer, einen Performer, wie ein Ereignis, das man auch verpassen kann."

Essen ist kein Besuch in Bayreuth. Essen ist Leidenschaft. (Foto: Foto: iStock-Fotos)

Ein Tänzer also. Ein Performer. Der Mann ist Koch! Ein Weltklasse-Koch, der die Parmesan-Spaghetti und den Gänseleberschnee erfunden hat, der eine Tomate in jeden beliebigen Aggregatzustand überführen kann: fest, flüssig, geliert, frittiert, als Pulver, Kügelchen, Membran und natürlich als Schaum. Das ist kühn und kreativ, darauf muss man erst mal kommen - aber was hat das mit Kunst zu tun?

Nichts natürlich, und doch ist Adriàs Auftritt nur das jüngste Beispiel einer Amalgamierung von Kunst und Kochen, die der ästhetische Betrieb - stets darauf bedacht, die Grenzen seines Metiers auszuweiten - mit ziemlichem Aufwand vorantreibt und die sich die Kulinarik geschmeichelt gefallen lässt. Im Februar servierte die Berlinale Kostbarkeiten des kulinarischen Kinos, darunter auch Doris Dörries Film "How to Cook Your Life", der in diesen Tagen anläuft.

Teigknetend zur Erleuchtung

Dörries Werk ist eine Verneigung vor dem kalifornischen Koch- und Zen-Meister Edward Espe Brown: teigknetend zur Erleuchtung. Welche Abgründe sich am anderen Ende der Nahrungskette auftun, konnten Zuschauer mit robustem Magen dann in komplementären Werken wie "Fast Food Nation" von Richard Linklater oder "We Feed The World" von Erwin Wangenhofer verfolgen.

Und das ZDF-Kulturmagazin "Aspekte" präsentierte unlängst in sentimentaler Reminiszenz an die Serie "100 Meisterwerke" sechs Wochen lang "Meisterwerke der modernen Kochkunst", Schweinekinn mit Saiblingskaviar, Semmelknödel und Erbsencreme von Joachim Wissler zum Beispiel, Nudeln mit Trüffeln und Hoden vom Hahn von Alain Ducasse.

Oder das karamelisierte Millefeuille, in dem der spanische Koch Martin Berasategui nach den Worten Jürgen Dollases zu einer "grundlegend anderen Interpretation der Gänsestopfleber" fand. Mit Luxus habe das alles nichts zu tun, so Dollase, der inzwischen eine Art Dan Brown unter den Kochbuch-Autoren geworden ist, sondern: mit Ästhetik, mit Sensorik, mit Textur.

Für die Welt geht es hingegen um etwas ganz anderes: Die Küche werde zum "Schauplatz bürgerlicher Leitkultur", konstatierte sie freudig und nicht eben überraschend. Heute müsse sich das Bürgertum nicht nur im Kampf um die Opernhäuser bewähren, sondern auch beim Bewahren kulinarischen Wissens und kulinarischer Traditionen. Richtig daran ist immerhin, dass Essen sozialen Distinktionsgewinn schafft.

An der Seite von Sterneköchen reduzieren die Teilnehmer Verarmungsängste und Globalisierungs-Blues. Wer die "kleine Messerschulung" absolviert, der verschafft sich auch einen Bildungsvorsprung, der ihn zumindest vorübergehend vor den verräterischen adipösen Deformierungen der Unterschicht schützen soll. Die Küche als Ort der Aufklärung, der Emanzipation.

Essen ist Leidenschaft

Nun liegt die Verbindung von Überlebensinstinkt und Nahrungsaufnahme evolutionär durchaus auf der Hand. Da sind sich die Mett-Igel der ersten deutschen Fressewelle nach dem Krieg und die postkalorischen Verlockungen der euroasiatischen Küche dieser Tage ganz nah. Nur: Mit Genuss, mit Begeisterung für eine gute Mahlzeit, mit Entspannung hat das alles nichts mehr zu tun.

Essen ist kein Besuch in Bayreuth, dessen Dimension man erst nach intensiver Vor- und Nachbereitung ermessen kann, es lebt von der spontanen Leidenschaft, der gedankenlosen Hingabe. Nichts aber schlägt einem auf den Magen wie die ununterbrochene Analyse dessen, was man da gerade auf dem Teller hat. Und dabei wollen wir über die zwanglos gehaltenen Kurzseminare über Wein oder Whisky oder in Gottes Namen Absinth, die schon manch fröhliche Runde lahmgelegt haben, ganz schweigen.

Inzwischen kann man nicht so schnell umschalten, wie im Fernsehen eine Roulade gewickelt oder ein Ei aufgeschlagen wird. Kaum ein Sender, in dem es einem nicht entgegenbrät, in dem sich nicht Menschen mit Kochmützen kennerhaft über sündig schillernde Fruchtspiegel beugen. Und wenn man sich ansieht, was die hemdsärmeligeren unter den Göttern in Weiß so anrichten, dann muss man zugeben, dass es durchaus niedrigschwellige, vielleicht sogar populistische Angebote sind, die sich auch und gerade an die katastrophal fehlernährten depravierten Massen richten

Die Deutschen sind zwar, wie sich nun herausgestellt hat, womöglich doch nicht die allerdicksten Europäer, aber immerhin so verfettet, dass auch die Bundesregierung nun einen ambitionierten "Nationalen Aktionsplan" gegen das Übergewicht schmiedet. Schon Kinder sollen die richtige Ernährung lernen. Am Ende nämlich belastet jedes Kilo zu viel das Gesundheitssystem, und so wird der Kampf um den Volkskörper im Kabinett mindestens so engagiert geführt wie auf dem Bildschirm.

Oversexed and underfucked

Ob sich aber alles das, was da im Fernsehen geschmurgelt wird, später auf deutschen Tellern wiederfindet, ist mehr als fraglich. Köche wie Johann Lafer geben zu bedenken, dass die meisten Zuschauer zu den Sendungen eine eher konsumistische Beziehung haben - sie schauen zu, aber die wenigsten greifen später selbst zum Wiegemesser, eine Beobachtung, die auffällig mit dem dramatischen Missverhältnis zwischen Reden und Tun beim Sex korrespondiert!

Auch bei der Nahrungsaufnahme sind die Deutschen offensichtlich "oversexed and underfucked", und vielleicht liegt ein Schlüssel zum Verständnis der jüngsten deutschen Obsession tatsächlich im Verhältnis von Essen und Erotik. Den harten Kern der Gesinnungskulinariker aber bestärkt die verstockte Verweigerungshaltung der Acrylamid-Junkies ohnehin nur in ihrem Ruf nach mehr Qualität und Konzentration bei der Auswahl des Blattgemüses.

Essen ist Essen, hat John Steinbeck in "Der fremde Gott" geschrieben, Essen kann man alles. Nun gut, würden moderate Kulinariker zustimmen, aber auch eine Schuhsohle will richtig zubereitet werden, und das kann man lernen. So ist die Küche mit den Jahren zur Erziehungsanstalt geworden. Saucenkurse auf Istrien, Blindverkostungen für Anfänger, Wochenenden der Spargel-Wahrnehmung wollen vordergründig die Sinnesorgane trainieren, um irgendwann einmal die noch raffiniertere Zutat, die noch sublimere Methode zu erkennen und angemessen würdigen zu können.

In Wahrheit aber verbreiten sie einen schmallippigen Bildungsanspruch, dem nichts so verdächtig erscheint wie das unbefangene, zügellose, unkontrollierte Reinhauen. So wie auch das Fasten nur den künftigen Überschwang einleitet und das Vergnügen mindestens so sehr in einem Gefühl der Reinigung und Selbstüberwindung liegt wie in der Vorfreude auf die Zigarette danach, so wie also der Verzicht überhaupt nur eine andere Form des Exzesses ist, so bildet die Domestizierung des Genusses in Seminaren und Literatur nur die Kehrseite der Fastfood-Orgien.

Diese Akademisierung geht einher mit einer beachtlichen technischen Aufrüstung. Der richtige Gebrauch des faltbaren Nudeltrockners, der Pendelschäler für Linkshänder, das Klingenpflegeöl fürs Sushi-Messer mögen auch noch weiterhin vor allem Eingeweihten vorbehalten sein. Doch wer will heute noch auf den Messerblock verzichten? Und selbst bodenständige Zeitgenossen glauben inzwischen, ohne separaten Spargeltopf nicht mehr auskommen zu können, auch wenn diesen außer einer exzentrischen Form nichts von einem flachen Modell unterscheidet.

Absturz ins Burger-Elend

Neidvoll blicken deutsche Köche seit je auf unsere Nachbarländer, jedenfalls auf einige davon. Wie leichthändig weiß man in Italien und Frankreich aus zwei, drei Zutaten Großartiges zu zaubern! Dass sich dieses Talent auch dort in den vergangenen Jahren zusehends im Frittenfett auflöst, dass Franzosen und Italiener scharenweise ins Burger-Elend abstürzen und bald vielleicht genauso dick sind wie wir, lässt die Bewunderung für das vom Aussterben bedrohte nationale Talent nur wachsen.

Natürlich haben die Geschmackshüter versucht, die gefährdete Begabung zu importieren. Aber die mediterrane Lässigkeit und die freiwillige Selbstbeschränkung ist dann bei uns irgendwie anders angekommen. Die Forderung nach einer Rückkehr zum Wesentlichen, zu einfachen, regionalen Gerichten gehört zum festen Bestandteil des kulinarischen Diskurses. Die gute Bratkartoffel, ein schnelles Karottengemüse, das klingt erst mal harmlos. Aber dann kommen eben doch nur die jungfräulichen Möhrchen eines seit Dekaden bekannten Landwirts aus dem Nieder-Spreewald auf den Teller, und wer brächte seine Kartoffeln ohne Fleur de Sel hinunter?

Kochen ist gesellig, gemeinsame Mahlzeiten schaffen ein fast archaisches Gemeinschaftsgefühl: Die Runde schart sich um die Inselküche wie vor ein paar tausend Jahren ums Lagerfeuer. Gleichgesinnte neben sich, die feindliche Welt im Rücken. Alles ist gut - bis jemand die Rede aufs Essen bringt!

Man weiß doch seit mehr als 30 Jahren, wie schnell man eine Mahlzeit zu Brei quatschen kann. Damals, bei Loriot, verdarb der Kellner seinem Gast den Appetit auf seine "Kalbshaxe Florida" mit nur einem Wort: "Schmeckt's?"

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