Kinderlose Paare:Wem was fehlt

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Warum Paare keine Kinder haben? Wir haben Frauen und Männer getroffen, die auf Nachwuchs verzichten.

Gabriela Herpell

München lässt sich nicht von Statistiken beeindrucken, von negativen schon gar nicht: Münchner Frauen brachten im Januar dieses Jahres 1262 Babys zur Welt, das sind zwanzig Prozent mehr als noch im Januar 2006, was sich natürlich besonders in so geburtenstarken Stadtteilen wie dem Glockenbachviertel niederschlägt. In den Cafés dort scheint es, als wären von zehn jungen Frauen neun schwanger.

Am Anfang hat man eine ungefähre Vorstellung von einem Leben mit Mann und Kind. Bis man erkennt: Das wird nichts mehr. Manche leiden darunter, manche tragen es mit Fassung. (Foto: Foto: dpa)

Das ist schön, ändert aber nichts daran, dass in diesem Land Leute, die keine Kinder haben, sich leicht wie Egoisten oder Versager fühlen, die der biologischen Bestimmung oder dem gesellschaftlichen Auftrag nicht folgen. Aber es gibt nun mal - trotz reproduktionsmedizinischer Fortschritte - Menschen, bei denen es einfach anders kommt als gedacht, geplant, geträumt.

Wir haben vier von ihnen getroffen, Paare wie alleinlebende Frauen, die ohne Kinder leben und die erzählen, wie es dazu gekommen ist. Sie alle erlauben tiefe Einblicke in ihr Privatleben. Sie legen deshalb wert auf Anonymität und haben darauf bestanden, dass sie unter geändertem Namen auftreten.

Manchmal fühlt sie sich einsam

Andrea war mit 41 Jahren zum zweiten Mal schwanger. Ihre Beziehung hätte sie zu diesem Zeitpunkt als glücklich bezeichnet, obwohl sie schon schwierig war und später immer schwieriger werden sollte. In der siebten Woche verlor sie das Baby. Ohne jede Aufregung, jedenfalls sah es zunächst so aus. Sie hatte gerade erst realisiert, dass sie schwanger war - in den Ferien auf La Gomera.

b>Weiter zu Kathrin, die den richtigen Zeitpunkt verpasst hat ...

Am Morgen vor dem Abflug hätte sie beinahe verschlafen. Ihr Freund musste sie kräftig wachschütteln. Sie wollte ihn von sich stoßen, so kaputt war sie. So kannte sie sich gar nicht. Erst nach einer Weile verstand sie, dass sie losmussten - in den Urlaub. Sie packte, als wollte sie nach La Gomera auswandern. Konnte nichts zu Hause lassen, wunderte sich über sich selbst.

Auf La Gomera lernte sie in den ersten Tagen eine junge Frau kennen, die um ihr Kind trauerte, das mit sieben Jahren gestorben war. Während sie sich mit dieser Frau unterhielt, wusste Andrea plötzlich, was mit ihr los war. Sie begriff, dass sie längst ihre Tage hätte haben müssen. Aber irgendwie hatte sie nicht mehr damit gerechnet, mit 41 schwanger zu werden. Ihre steinerne Müdigkeit, die Lustlosigkeit, der Widerwille, den sie bei Berührungen empfand - das alles hatte für sie plötzlich einen Sinn.

Zurück in Deutschland ging sie zum Arzt. Und ja, sie erwartete ein Baby. Aber die Frucht sei klein, sagte der Arzt, zu klein für die sechste Woche, die er ausgerechnet hatte. Womöglich stimmte etwas nicht. Eine Woche später stellte der Arzt fest, dass das Baby sich nicht weiterentwickelt habe. Missed Abortion - verhaltener Abort. So bezeichnet man eine Fehlgeburt ohne Blutungen, bei der der Fötus unbemerkt stirbt und in der Gebärmutter verbleibt und operativ entfernt werden muss.

Andrea hätte dieses Kind gern bekommen, obwohl sie sich bis dahin ein Leben lang davor geschützt hatte, ein Kind in unsichere Verhältnisse hinein zu bekommen. In dem Mutter-Kind-Heim, in dem sie zehn Jahre gearbeitet hatte, hatte sie gesehen, wie es Kindern in unsicheren Verhältnissen ergehen konnte. Sie hat sich immer Familie gewünscht, sagt sie, aber sie hat sich nie vorstellen können, ein Kind alleinerziehend zu haben.

Ihre Bedingung an einen möglichen Vater wäre gewesen, dass sie sich beide weitere fünfzehn oder achtzehn Jahre miteinander hätten vorstellen können. Und solange das nicht der Fall war, hatte Andrea sehr gut aufgepasst. Bis auf einmal, da war sie Anfang zwanzig gewesen. Damals - sie hatte gerade angefangen zu studieren und die Beziehung, in der sie sich befand, war das pure Chaos - hatte sie sich außerstande gefühlt, das Baby zu bekommen. Sie hatte einen Abbruch vorgenommen.

Wie könnte sie sagen, ob sie das heute bereut? Sie bedauert es, kein Kind zu haben, aber damals zweifelte sie natürlich keinen Moment daran, noch genügend andere Gelegenheiten zum Kinderkriegen zu bekommen. Wie hätte sie ahnen können, dass sie 41 werden würde darüber? Und dass sie dieses Kind verlieren würde?

Auf jeden Fall, sagt sie, musste sie so alt werden, um sich ein Kind zur Not auch allein zuzutrauen.

In der Klinik, in der die Ausschabung vorgenommen wurde, entdeckte man in Andreas Gebärmutter ein Myom. Keiner weiß, ob das Myom zur Fehlgeburt geführt hat. Nicht lange nach der Fehlgeburt hatte Andrea eines Nachts Schmerzen, wie sie sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gehabt hatte. Es wurde ein weiteres Myom festgestellt, außerhalb der Gebärmutter. Es musste operativ entfernt werden und eine weitere Schwangerschaft wäre zu einem großen Problem geworden.

Andrea ist nun aus dem Alter heraus, in dem eine Frau Kinder bekommt. Sie kann nicht sagen, dass sie bitter ist oder enttäuscht vom Leben. Sie kann nur sagen, dass sie sich manchmal einsam fühlt. Die Beziehung zu ihrem Freund ist nach der Fehlgeburt immer schwieriger geworden, seit zwei Jahren lebt sie allein. Es gibt drei Kinder, denen sie eine Patentante ist, aber die wohnen nicht in der derselben Stadt wie sie. Sie schickt ihnen kleine Geschenke, fragt nach den Schulnoten, gibt ihren Müttern Erziehungstipps, und manchmal fährt sie mit einer Mutter und einem Kind in die Ferien. Was sie so schön wie anstrengend findet.

Weiter zu Nina, die bei ihrem Freund bleibt, obwohl er kein Kind von ihr will ...

Manchmal ist die Liebe stärker als der Kinderwunsch

Nina ist 36 Jahre alt. Sie sagt, sie kann ihre biologische Uhr ticken hören. Ein paar von Ninas Freundinnen haben Kinder, wenn auch noch nicht lange. Eine ihrer Freundinnen heiratet gerade. Ihr Mann und sie sind sich einig: Sie wünschen sich Kinder, und zwar bald. Nina hätte auch gern ein Kind, aber ihr Freund möchte keine Kinder, und da ist er sich relativ sicher.

Seit vier Jahren sind sie ein Paar. Sie leben nicht in einer Wohnung, weil Ninas Freund nicht mit ihr zusammenziehen möchte. Er möchte sie auch nicht heiraten. Für sie war und ist es manchmal immer noch schwer, auf all das zu verzichten, von dem sie glaubte, es zu wollen. Und doch gibt es in ihr eine Stimme, die sagt: Vielleicht stimmt es ja gar nicht, dass du unbedingt Kinder willst und mit einem Mann zusammenwohnen und eine Ehe führen. Vielleicht hast du dir ja gerade diesen Mann ausgesucht, um dich selbst nicht entscheiden zu müssen. Denn es ist natürlich einfacher zu sagen, ich will, wenn der andere nicht will. Ein Klassiker, sozusagen.

Ninas Freund ist Künstler. Er verdient mal mehr, mal weniger Geld. Er liebt seine Arbeit, und er arbeitet mal mehr, mal weniger. Wenn er viel arbeitet, vergisst er die Zeit und geht gar nicht nach Hause. Dieses ungeregelte Leben gefällt ihm. Er kann nichts Verführerisches an der Vorstellung finden, dieses Leben aufzugeben, um abends zu einer bestimmten Zeit nach Hause zu kommen und heiße Suppe serviert zu bekommen und in frisch gewaschene, duftende Bettwäsche zu sinken. Er mag Kinder, sogar sehr. Kinder mögen auch ihn, meistens ganz spontan. Er geht mit ihnen um wie mit erwachsenen Menschen, auch wenn sie noch ganz klein sind. Nina nimmt ihn manchmal mit zu Freunden, die zwei Töchter haben, und er spielt mehr mit den Kindern als alle anderen.

Dennoch wecken solche Nachmittage in ihm nicht den Wunsch nach eigenen Kindern, was Nina wiederum enttäuscht. Was sie auch nicht versteht. Oft gehen dann Diskussionen los, wie die beiden sie schon tausendfach geführt haben. Unterschiedliche Lebensentwürfe, würden Paartherapeuten sagen. Und dass Menschen mit so unterschiedlichen Lebensentwürfen eigentlich nicht so gut zusammenpassen. Klingt so banal wie einleuchtend. Ist aber so schwer zu begreifen, wenn man, wie Nina, jemanden liebt, der sich sein Leben so anders vorstellt, als man selbst es sich immer vorgestellt hat.

Nina hat eine Freundin, die ein Jahr älter ist als sie. Sie wollte Kinder, ihr Freund ,,noch nicht''. Das ging vier Jahre lang so. Eines Tages wusste Ninas Freundin, dass sich das ,,noch nicht'' ewig halten würde. Oder mindestens zu lang für sie, denn ihre Zeit lief ab. Und sie wusste auch, dass sie es nicht verkraften würde, ihren Kinderwunsch unerfüllt zu lassen wegen der Unentschiedenheit eines Mannes. Sie wusste, sie würde ihm das eines Tages so übel nehmen, dass das die Liebe zerstören würde. Ninas Freundin trennte sich von ihrem Freund, obwohl es ihr fast das Herz brach. Sie erklärte ihm natürlich, warum. Jetzt ist er gekränkt und meint, dass sie ihn nicht genug geliebt hat.

Nina beeindruckt die Konsequenz ihrer Freundin. Ihr wird darüber aber auch klar, dass ihr Kinderwunsch nicht so eindeutig ist wie der ihrer Freundin. Sie möchte ihren Freund nicht verlassen, auch wenn sie keine Kinder mit ihm haben wird. Vielleicht ist manchmal die Liebe ja auch stärker als der Lebensentwurf, sagt sie.

Aus Kathrin und Uli wurde vor mehr als zehn Jahren ein Paar, da war sie Anfang dreißig und er knapp zehn Jahre älter. Sie lernten sich in der Bar kennen, in der Kathrin nebenbei kellnerte. Uli hatte damals eine kleine eigene Werbeagentur, Kathrin arbeitete tagsüber bei einem Rechtsanwalt. Obwohl beide also ganz schön eingespannt waren, gingen sie häufig aus und genossen es, mitten in der Stadt zu wohnen und überallhin zu Fuß laufen zu können.

Heute ist es eher ein ruhiges Leben, das sie führen, in einem Haus an einem See mit einem Steg. Die Stadt ist nicht weit, aber man denkt schon zweimal darüber nach, ob man abends noch ins Kino geht oder ein Bier trinken. Kathrin kellnert nicht mehr, und Uli hat seine Firma verloren, nun arbeitet er als Graphiker. Im großen Garten blühen Rittersporn und Phlox. Kathrin hat vor einigen Jahren ein Pferd gekauft, das war schon lange ihr Traum. Ein alter Schäferhund liegt in der Sonne vorm Haus. Wenn man das so sieht, das Haus am See mit dem Steg und den beiden dazu, denkt man, wie schön das hier für Kinder wäre.

Uli sagt, er hätte immer gerne Kinder gehabt. Nicht unbedingt nur eines, denn er selbst ist Einzelkind und fand beziehungsweise findet diese Situation heute noch nicht immer einfach. Seine Mutter machte ihn, in Ermangelung anderer Lebensinhalte damals, zu ihrem Augapfel. Schlief mit ihm im Bett, verbot ihm, auf Bäume zu klettern, nahm ihn vor dem einigermaßen strengen Vater in Schutz. Sie konnte ihn dann auch kaum loslassen, als er immer erwachsener wurde und sein eigenes Leben führen wollte.

Kathrins Mutter war Ende dreißig, als Kathrin geboren wurde. Sie empfand ihre Mutter damals als alt, was ihr sogar ein bisschen peinlich war. Alle ihre Freundinnen hatten viel jüngere Mütter, und Kathrin beschloss schon sehr früh, dass aus ihr niemals eine alte Mutter werden sollte. Als sie Uli kennenlernte - und Uli war der erste Mann in ihrem Leben, mit dem sie sich eine Familie hätte vorstellen können -, war er sehr damit beschäftigt, seine Firma aufzubauen.

Er konnte sich angesichts so unsicherer Lebensverhältnisse nicht vorstellen, eine Familie zu gründen. Und sie kannten sich ja auch noch gar nicht richtig. Nachdem sie schließlich ihre Verliebtheit genossen hatten und wussten, dass sie ein Leben miteinander verbringen wollten, verlor Uli die Firma - und war hoch verschuldet. Als er sich wieder aufgerappelt hatte, war die Sache mit den Kindern gelaufen - Kathrin war nun in dem Alter, in dem sie keine Mutter mehr sein wollte.

Hechte springen im See, dem alten Hund wird ein anderer folgen, das Pferd wird noch lange leben, vielleicht werden es noch mehr Tiere. ,,Es gibt auch ein Leben ohne Kinder'', sagt Uli. Kathrin nickt. Man spürt ihre Verbundenheit. Und, ja, es ist lebendig hier, auch ohne Kinder.

Weiter zu Carola, deren Freund bereits Kinder hat ...

Hätten sie mehr Geld, sagt Carola, dann hätten sie auch sicher schon ein gemeinsames Kind. Peter ist Vater: zwei Kinder aus erster Ehe, sechs und acht Jahre alt. Wenn er den Unterhalt gezahlt hat, bleiben ihm etwas mehr als 800 Euro. Das reicht für die Miete und das ganz normale Leben so gerade. Carola arbeitet Vollzeit, und so können sie gelegentlich in Urlaub fahren und den Kindern Schuhe spendieren oder eine Woche Ponyhof.

Carola und Peter sind seit vier Jahren ein Paar, und Carola ist nun 39. Sie haben oft darüber gesprochen, wie schön ein gemeinsames Kind wäre. Aber sie sehen beide, dass Peter nun schon mal zwei hat und dass man denen erst einmal gerecht werden können muss, bevor man mehr Kinder bekommt. Manchmal kann man eben doch nicht mehr zurück auf Los und noch einmal ganz von vorn anfangen.

Ob sie es als Opfer empfindet, auf ein eigenes Kind zu verzichten? Carola holt tief Luft. ,,Ich bin nicht der Opfertyp'', sagt sie nach einer Pause. ,,Es macht mich nicht so richtig unglücklich.'' Sie hat sich ein Leben mit Familie vorgestellt, sagt sie, und das war auch die einzige Phantasie, die sie von ihrem Leben hatte. Heiraten musste nicht sein, das war ihr nie wichtig. Aber einen Kinderwunsch hatte sie. Als sie dreißig war, bekamen alle um sie herum Kinder, da wurde auch ihr Wunsch immer dringlicher. Aber ihre damalige Beziehung ging in die Brüche, daran war nichts zu ändern.

Heute sind viele der Paare, die damals um sich herum Kinder bekamen, gar nicht mehr zusammen. Carola meint, dass die Liebe zum Teil an den Kindern zerbrochen ist. ,,Sie waren sich alle ständig so uneinig über Betreuungs- und Erziehungsfragen. Man muss wohl ganz schön stark sein, um das hinzukriegen.'' Sie weiß nicht, sagt sie, ob sie und Peter das überstehen würden.

Dabei war es auch nicht immer einfach, Peters Kindern zwar keine Mutter, aber doch eine enge Bezugsperson zu sein. ,,Ich war die fremde Frau, die am Wochenende in ihre eigene Wohnung zum Schlafen ging. Sie haben mich nicht ernst genommen, sie haben mich auch nicht richtig gemocht.'' Das konnte man ihnen ja auch nicht verdenken, sagt sie, denn den Kindern muss es so vorgekommen sein, als hätte sie der Mutter den Mann weggenommen. ,,Was nicht so war: Denn wenn es in einer Beziehung stimmt, geht man doch nicht weg.'' Dann zogen Peter und Carola zusammen, und von da an akzeptierten die Kinder sie und ihre Regeln.

Vielleicht macht es sie auch nicht unglücklich, keine eigenen Kinder zu haben, meint Carola, weil sie durch Peters Kinder Anschluss an diese junge Welt hat. Sie geht in Kinderfilme, die einen sind lustig und die anderen schrecklich, sagt sie. Sie geht zu Schulaufführungen und ist stolz auf die Kinder, sie macht Ferien auf Zypern mit ihnen und ist glücklich, wenn sich alle an die Vereinbarungen halten und es gut klappt. Sie meint, sie steht dem Mädchen etwas näher als dem Jungen, vor allem weil der Junge ein richtiges Papa-Kind ist.

Carola hilft ihr Pragmatismus: Es kommt sowieso, wie es kommt, meint sie. ,,Man kann vieles steuern, im Beruf, in der Freizeit, aber die Liebe kann man nicht steuern.''

Und wer hat gesagt, fügt sie hinzu, dass jeder ein Anrecht auf ein perfektes Leben hat?

© SZ vom 22./23.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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