Interview mit Frank Kelly Rich:"Saufen ist das letzte Abenteuer"

Lesezeit: 7 min

Trink-Guru Frank Kelly Rich hat zwar das "Handbuch für den modernen Trinker" geschrieben, er sieht die Welt aber nicht nur durch rosarote Schnapsgläser.

Interview: Matthias Kolb

Frank Kelly Rich, 1963 geboren, ist Gründer des Magazins für moderene Trunkbolde - "The Modern Drunkard". Das nötige Geld verdiente er sich mit einem Science-Fiction-Roman. Im Interview spricht er darüber, was er von Flatrate-Parties hält, wie man ein ordentlichen Fest feiert und verrät das ultimative Kater-Gegenmittel.

sueddeutsche.de: Mister Rich, warum haben Sie das "Handbuch für den modernen Trinker" geschrieben?

Frank Kelly Rich: Es gibt Tausende Bücher mit Rezepten für Cocktails und Drinks. Aber nirgendwo steht, wie man sich verhalten soll, wenn man ein paar Gläser getrunken hat. Das ist für mich das Gleiche, wie einem jungen Mann einen Ferrari hinzustellen, ohne ihm zu erklären, wie man ihn fährt - frei nach dem Motto: "Gas geben und immer geradeaus. Was dann passiert, ist dein Problem." Das wollte ich ändern.

sueddeutsche.de: Sie beschäftigen sich ja schon länger mit dem Thema.

Rich: Ich gebe seit 1996 alle zwei Monate das Magazin "Modern Drunkard" heraus. In den USA wird Alkohol seit einigen Jahren als teuflisch dargestellt. Fast alle Amerikaner trinken Bier, Wein oder Schnaps, aber viele schämen sich dafür. Noch vor 40 Jahren galt Alkohol als schick: Stars wie Frank Sinatra und Dean Martin vom "Rat Pack" haben offen getrunken. Heute geschieht das heimlich und man erfährt es erst, wenn Britney Spears in der Klinik landet. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich will niemanden zum Alkohol verführen, aber ein paar Gläser sind kein Verbrechen.

sueddeutsche.de: Wer liest denn den "Modernen Trinker"?

Rich: Wir haben eine Auflage von 50.000 Exemplaren. Die meisten Leser sind männlich und zwischen 25 und 35 Jahren alt. Mit dem Magazin "Modern Drunkard" versuche ich, diese Zeit zurückzuholen, als Trinken noch akzeptiert war und sich die Leute an Regeln hielten. Es gibt darin also Tipps für eine gelungene Party oder ich sage den Leuten, wie sie sich in einer Bar verhalten sollen und dass sie den Barkeeper ehren sollen.

sueddeutsche.de: In Berlin ist vor zwei Wochen ein 16-Jähriger ins Koma gefallen, nachdem er angeblich 52 Gläser Tequila getrunken hatte...

Rich: ... wow, oh mein Gott!

sueddeutsche.de: Könnte so etwas auch in den USA passieren, wo man erst mit 21 Jahren Alkohol bekommt?

Rich: Das passiert andauernd, das hat mit der Altersgrenze nichts zu tun. Unsere Regierung schickt 18- oder 19-Jährige in den Irak-Krieg, aber sie erlaubt ihnen nicht, Bier zu trinken. Man darf Auto fahren, ein Haus oder eine Waffe kaufen, aber nicht mit den Kumpels saufen. Das ist nicht nur lächerlich, sondern auch kontraproduktiv, denn es führt dazu, dass die Kids heimlich zu Hause oder auf Parties der Studentenverbindungen saufen. In einer Bar würde sie von den Älteren lernen, wie man trinkt und wo die Grenzen liegen. Ein Barkeeper würde nie 52 Tequila rausgeben, sondern sagen: "Hör auf, du bringst dich um."

sueddeutsche.de: In Deutschland wird es jetzt eine Woche zur Alkoholprävention geben. Außerdem sollen diese Flatrate-Parties, auf denen man Eintritt zahlt und sich dann kostenlos volllaufen lassen kann, verboten werden. Eine erfolgreiche Strategie?

Rich: Diese Programme sind sicher gut gemeint, aber schon die alten Römer haben sich betrunken, und das wird immer passieren. Jeder muss seine Grenzen kennen lernen. In diesen Diskussionen wird aber stets vergessen, dass ein geregelter Alkoholkonsum auch gesund sein kann. Es entspannt, mit seinen Kumpels nach der Arbeit einige Biere zu trinken. Es mag zwar nicht sehr wissenschaftlich sein, aber ich glaube fest daran, dass es im Nahen Osten weniger Probleme geben würde, wenn die Leute dort saufen dürften.

Noch mal: Die Kernaussage des Buches ist, dass jeder selbst entscheiden soll, ob er trinken will oder nicht. Ich will niemand zwingen, das habe ich nie getan. Ich wehre mich nur gegen diese Stigmatisierung. Ist es denn besser, wenn alle alleine zu Hause sitzen und Pillen schlucken, um sich zu beruhigen?

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wieso Frank Kelly Rich empfiehlt, auch mal alleine zu trinken, welches Geheimrezept jeden Kater erträglich macht und woran man eine schlechte Party erkennt.

sueddeutsche.de: In "Die feine Art zu saufen" finden sich neben einer Typologie der Barkeeper und der Information, dass die Happy Hour 1948 in Chicago erfunden wurde, auch einige hilfreiche Strategien - etwa wie man sich selbst auf eine Party schmuggelt. Alles selbst erlebt und ausprobiert?

Frank Kelly Rich (Foto: Foto: Tropen Verlag)

Rich: Ich habe das alles selbst gecheckt. Als junger Mann bin ich viel gereist und habe mich auf viele Parties geschmuggelt. Es geht leicht: Sie müssen das Fest erst "orten", also die Ohren aufsperren. Danach müssen Sie "reinkommen", das geht am leichtesten, wenn man eine Flasche als Mitbringsel dabei hat. Wenn Sie gecheckt haben, dass es sich nicht um eine lausige Spießerfete handelt, folgt der nächste Schritt.

sueddeutsche.de: Aber was mache ich, wenn mich jemand fragt, wer mich eingeladen hat?

Rich: Beim "Infiltrieren" müssen Sie sich ganz locker geben und behaupten, Sie seien der Freund von Mike, Jean oder Andreas kennen. Diese Namen gibt es überall, da fragt keiner nach. Schließlich ist der Weg zur Bar frei und Sie können sich am Nektar laben. Nun müssen Sie sich "einschleimen", also Small Talk führen und nicht zu schnell trinken - das fällt auf. Sollten Sie doch auffliegen, dann greifen Sie sich eine Schnapsflasche und nehmen die Beine in die Hand.

sueddeutsche.de: Zugleich widmen Sie einen Abschnitt dem "Zen des einsamen Trinkens". Was soll denn gut daran sein, alleine zu saufen?

Rich: Die meisten Menschen wissen wenig über sich und haben Angst, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Wer alleine trinkt, der tut das und kann "seinen inneren Affen" kennenlernen. Wann sieht man denn sich, wenn man betrunken ist? Wenn man mit Freunden unterwegs ist, herrscht Gute-Laune-Zwang, zu Hause kann man auch traurig oder wütend sein - je nachdem, wie man sich fühlt. Es gibt ja auch noch andere Vorteile.

sueddeutsche.de: Und die wären?

Rich: Man muss keinen Small Talk führen, die Flasche labert ja nicht. Man kann alle Drinks selbst mixen und die passende Musik auflegen. Ich empfehle langsame, melancholische Musik wie Songs von Johnny Cash, Tom Waits oder Bright Eyes. Und eines kommt dazu: Der Schnaps schmeckt besser, wenn man ihn mit voller Aufmerksamkeit trinkt - ein gutes Buch lesen Sie ja auch nicht in der U-Bahn. Und vielen Leuten, das weiß ich von den Zuschriften meiner Leser, geht es wie mir: Ich werde kreativer, wenn ich etwas getrunken haben.

sueddeutsche.de: Mehr als vier Millionen Besucher hatte die Website des Magazins. Sicher waren nicht alle begeistert, dass Sie zum Beispiel empfehlen, während der Arbeit Wodka zu trinken, weil man den nicht riechen könne.

Rich: Eigentlich halten sich die Angriffe in Grenzen. Ich habe mit deutlich mehr wütenden Anrufen und Mails gerechnet. Natürlich haben einige christliche Organisationen gegen mich gewettert, aber mehr als neunzig Prozent der Post, die ich bekomme, ist positiv. Die sind so froh, dass sie etwas gefunden haben, wo Alkohol nicht verteufelt wird. Schon in Urzeiten haben sich die Menschen an vergorenen Beeren berauscht. Solche Sprüche wie der mit dem Wodka sind witzig gemeint, meine Leser können das einordnen.

sueddeutsche.de: Aber Sie schreiben, dass ein Wochenend-Filmriss der beste Weg sei, den Berufs-Alltag zu vergessen.

Rich: Ich glaube, Saufen ist das letzte Abenteuer, das man in dieser langweiligen Welt noch haben kann. So ein Wochenende ist wie ein kurzer Urlaub, den man braucht, um die vielen Sorgen zu vergessen. Und dazu gebe ich einige Tipps.

sueddeutsche.de: Zum Beispiel soll man das Mobiltelefon zu Hause lassen.

Rich: Genau. Mit dem Handy bin ich immer erreichbar, für meinen Chef, für meine Freunde, für meinen Partner. Schrecklich! Früher war eine Bar wie eine einsame Insel. Eine echte Flucht kann nur gelingen, wenn man sich abnabelt. Außerdem kann man mit dem Handy schnell ein Taxi rufen (lacht) und hört vielleicht auf, bevor es am schönsten wird.

sueddeutsche.de: Dann würde sich der Kater aber in Grenzen halten.

Rich: Aber der Kater gehört zum Trinken dazu! Es ist wie Yin und Yang, wie die berühmten zwei Seiten einer Medaille. Man sollte ihn schätzen lernen, er hat ja auch reinigende Wirkung. Und wenn es keinen Kater gäbe, dann würde ja jedes Weichei saufen.

sueddeutsche.de: Wie lindere ich denn die Schmerzen eines schlimmen Katers?

Rich: Oh, damit haben wir uns im Heft ausführlich beschäftigt. Wir haben es mit Pillen und Tabletten probiert, aber das Zeug taugt nichts. Ich empfehle "Bloody Bull": Das ist eine Bloody Mary, also zu gleichen Teilen Wodka und Tomatensaft, die ich mit einem Liter Rinderbrühe aufmotzen. Die gibt die Kraft zurück. Danach sollten Sie einige Multivitamintabletten schlucken und isotonische Getränke runterkippen - so kommen die Vitamine, Mineralstoffe und Flüssigkeit zurück, die man beim Saufen ausgeschwemmt hat.

sueddeutsche.de: Sie schildern auch die Situation, in der Freunde und Verwandte einem Trinker vorwerfen, er habe ein Alkoholproblem?

Rich: Ich denke, in so einer Situation muss man die Schwächen der Anderen ansprechen. Einer ihrer Verwandten fährt sicher einen Jeep und zerstört wegen seines Imponiergehabes die Umwelt und die Zukunft unserer Kinder. Oder ihre Cousine schluckt zu viel Valium. Das sollte der Trinker ansprechen oder die nötigen Bibelverse auspacken. Kennen Sie den besten?

sueddeutsche.de: Nein, welchen denn?

Rich: Er steht in den Sprüchen Salomos: "Gebt starkes Getränk denen, die am Umkommen sind, und Wein den Betrunkenen, dass sie trinken und ihres Elends vergessen und ihres Unglücks nicht mehr gedenken." Damit sind Sie auf der sicheren Seite. Aber ich glaube, so eine Situation passiert eher in Amerika als in Europa.

sueddeutsche.de: Wieso?

Rich: Ich bin viel durch die Welt gereist und ich finde, ihr Deutschen und Franzosen geht sehr vernünftig und entspannt mit dem Thema Alkohol um. Vielleicht sollte ich mal wieder rüberfliegen, zum Oktoberfest oder so.

sueddeutsche.de: Sie sind immer willkommen. Noch etwas, ich habe jetzt Feierabend. Mit welchem Drink sollte ich beginnen?

Rich: Ich versuche, möglichst viele Cocktails zu probieren. Im Moment trinke ich gerne Bourbon, fangen Sie damit an.

sueddeutsche.de: Abgemacht. Und grüßen Sie Ihre Ehefrau Christa von mir.

Rich: Gerne, aber wieso?

sueddeutsche.de: Immerhin haben Sie ihr das "Handbuch für den modernen Trinker" gewidmet.

Rich: (lacht) Ach so, deshalb. Wir haben uns in einer Cocktail-Bar kennengelernt: Ich war betrunken und sie die Kellnerin - sie wusste, worauf sie sich einlässt.

Frank Kelly Rich: "Die feine Art des Saufens", 202 Seiten mit Illustrationen, Tropen Verlag Berlin, 2007, 14,80 Euro

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