Hotel-Legende:Stardust Memories

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In New Yorks legendärem Chelsea Hotel entstanden weltberühmte Drehbücher und spielten sich tödliche Dramen ab. Jetzt soll es renoviert werden. Die Bewohner wehren sich.

Jörg Häntzschel

Arthur C. Clarke schrieb dort ,,2001 Odyssee im Weltraum''; Andy Warhol drehte ,,Chelsea Girls''; Leonard Cohen schmachtete mit seinem sterbenstraurigen Song ,,Chelsea Hotel No. 2'' Janis Joplin nach; und dann, 1978, erstach Sid Vicious von den Sex Pistols mit zu viel Heroin im Blut in Zimmer 100 seine Freundin Nancy Spungen, bevor er ein paar Monate später im selben Bett an einer Überdosis starb. Das Chelsea Hotel, der neugotische Backsteinkoloss an Manhattans 23. Straße, war weltberühmt.

Doch es muss mehr an dieser Burg sein als der traurige Mythos von ,,Sid and Nancy'', sonst würden nicht Julian Schnabel und Philipp Taffee dort wohnen, sonst würden die Räume nicht alle paar Tage für Musikvideos oder Modeshootings gebucht, sonst wäre nicht Ethan Hake hier her geflohen, als seine Ehe mit Uma Thurman in die Brüche ging.

Das Chelsea Hotel ist wie ein Bob-Dylan-Song, in dem man wohnen kann. Doch die nun schon viele Jahrzehnte dauernde Blüte dieser Bohème-Oase droht nun zu Ende zu gehen. Stanley Bard, der das Hotel seit 1957 führt, wurde von den Eigentümern gefeuert, ein neuer Manager installiert - und schon ist von ,,sanfter Renovierung'' die Rede. Genau davon wollen die Bewohner, zwei Drittel von ihnen Dauermieter, nichts wissen.

Denn des Komforts wegen wohnen sie nicht hier. Jenseits des Portals mit seinen kleinlaut-pompösen Säulen, jenseits des berühmten Neon-Schriftzugs gibt es weder Spa noch Sternekoch, weder Designer-Bettwäsche noch Minibar. Schleicht man über die fleckigen Steinböden in den düsteren Gängen, fühlt man sich eher wie in einer Behörde aus dem Kopf von Franz Kafka.

Dabei begann die Geschichte des 1884 gebauten Hauses durchaus luxuriös. Die Gegend gehörte einmal zu den besten der Stadt, und das Chelsea war seine Krone. Bei seiner Fertigstellung war das Chelsea mit seinen elf Stockwerken das höchste Gebäude von New York - bis das Flatiron Building ein paar Blocks weiter östlich ihm 1902 den Titel stahl. Schon 1905 jedoch waren die goldenen Zeiten von Chelsea vorbei; das Haus wurde in ein Hotel umgewandelt, und die 97 Apartments zerschnitt man lieblos in 400 Zimmer und Suiten.

Kakerlaken waren allgegenwärtig

Im matt gewordenen Glanz einer anderen Epoche lebten nun Verlassene, Immigranten und Seeleute, die von den nahen Piers am Hudson hereinstolperten. Aber auch Mark Twain, O. Henry und Sarah Bernhardt, die sich in ihrer Suite gelegentlich in einem Sarg schlafen legte. Sie entdeckten als erste die Vorzüge des gemeinsamen Alleinseins, die das Leben im Chelsea für Leute ihres Schlages so annehmlich machten.

Doch erst 1939, als der ungarische Einwanderer David Bard das Hotel übernahm, begann das leicht verslumte Haus zum vertikalen Quartier Latin New Yorks zu werden. Der Schriftsteller Thomas Wolfe, der Dramatiker Eugen O'Neill und der Komponist Virgil Thomson lebten hier bereits neben unzähligen längst vergessenen Künstlern. Doch der Mythos von dem Hotel zog immer mehr an: Edith Piaf und Gore Vidal, Tennessee Williams und Willem de Kooning. Europäische Exilanten, die während des Kriegs gekommen waren, trafen sich mit Amerikanern, die aus Europa zurückkehrten. Es war die Zeit, als mit der Ankunft der modernen Kunst in New York die verdämmerten Jahre von Depression und Krieg schlagartig vorbei waren. Das Chelsea Hotel war Residenz der Berühmten, Wartesaal der Unentdeckten und Asyl der Talentlosen - alles unter einem Dach.

Praktische Fragen waren da zweitrangig. Die Aufzüge blieben regelmäßig stecken. Kakerlaken waren allgegenwärtig, kleinere Brände an der Tagesordnung. Im Winter brachte einen das Georgel der Dampfheizungen um den Verstand, im Sommer war mangels Klimaanlagen an Schlaf nicht zu denken. Und das, bevor das Hotel zum Treibhaus des Rock'n'Roll wurde. Der britische Schauspieler Quentin Crisp ist einer der wenigen erklärten Chelsea-Deserteure: ,,Am ersten Tag gab es einen Überfall, am zweiten ein Feuer, am dritten einen Mord. Am fünften bin ich ausgezogen.'' Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, wenig später für drei Jahre zurückzukehren.

Was die unterschiedlichen Generationen in ihrer Liebe für dieses Paralleluniversum vereinte, war die Tatsache, dass es mit der banalen Realität draußen so wenig zu tun hatte. ,,Ich fühlte mich dort fast auf Anhieb zu Hause'', schrieb Arthur Miller, der in der Lobby mit Marilyn Monroe stritt. ,,Ich fand den Charme des Chelsea entspannend, seine einzigartige Atmosphäre von unkontrollierbarem Verfall. Es war nicht Teil von Amerika. Keine Staubsauger, kein Geschmack, keine Prüderie. Es war der Gipfel des Surrealen.'' Das beschreibt das Gebäude bis heute. Schwer tragen die Räume nicht nur an den alten Fenstern und den marmornen Kaminen, sondern auch an den mehr oder minder geglückten Versuchen, sich unbürgerlich einzurichten.

Seinen Höhepunkt erlebte das Chelsea in den Sechzigern. Als Stanley Bards die Geschäfte übernahm, war er so jung wie seine Gäste und wurde zu ihrem Freund, Mäzen und Gläubiger. Wer die Miete nicht zahlen konnte, zahlte mit den Bildern, die noch heute in der Lobby hängen. Haschischdampf, E-Gitarren, LSD-Exzesse: Bard akzeptierte alles, solange die Einrichtung intakt blieb. Schließlich waren die Wände dick genug. ,,Die Musiker waren die Nettesten: The Greatful Dead, Jefferson Airplane, die Beachboys.

Probleme gab es höchstens mit den Groupies. In jeder Ecke fanden wir ein paar von ihnen.'' Auch Edie Sedgwick, Warhols glamourösestes Chelsea Girl, war kein einfacher Gast. Mit ihren Zigaretten steckte sie das Hotel mehr als einmal fast in Brand. ,,Sie war ein reizendes, wunderschönes Mädchen'', erinnert sich Bard. ,,Aber sie hat mir einige Kopfschmerzen bereitet.''

Bis zu seinem Rauswurf arbeitete Bard täglich in seinem altmodischen Büro gleich neben der Lobby. Briefe und Fotos stapelten sich dort um einen grünlich flimmernden Computer aus den Achtzigern, hohe Telefonrechnungen lagen über handschriftlichen Briefen. Am liebsten wollte man ihn als Geisel nehmen und nicht in die Pförtnerloge zurück lassen, bevor er das letzte Geheimnis des Chelsea preisgegeben hat. Und auch als der 73-Jährige schon gefeuert war, ließ er sich kaum von seinem Posten vertreiben.

,,Seit 50 Jahren bin ich hier, das Hotel ist mein Leben. Ich werde für die Gäste kämpfen, die schließlich zu den spannendsten und kreativsten Menschen der Welt zählen'', sagt er kämpferisch. Zumindest zählten. Ob das Chelsea seinen brandfleckigen Charme behalten wird oder in ein Boheme-Museum mit Marmorbädern umgewandelt wird, das werden die nächsten Monate zeigen.

(SZ vom 24.7.2007)

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