Hässliche Models:Das Gegenteil von Paris Hilton

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Wer sind die Menschen, die aufgrund ihres ungewöhnlichen Aussehens berühmt sind? Sie nennen sich "Ugly Models" - und haben eine eigene Agentur.

Jürgen Schmieder

Jordanna James hätte keine Chance bei "Germany's Next Topmodel". Sie passt nicht in das Schema junger Frauen mit endlos langen Beinen, Kleidergröße null und festgetackertem Arroganzblick. Wenn im Dezember die stets streng dreinblickende Jurorin Heidi Klum die Finalplätze der nächsten Staffel vergibt, wird James nicht zu einem der Castings nach München oder Düsseldorf reisen. Ihre Maße sind 85-70-39 bei einer Körpergröße von 119 Zentimetern.

Ugly Models: Jordanna James (links) und Janie Martinez. (Foto: Foto: Ugly NY)

Sie muss auch nicht hinter Klum herstaksen, sie ist längst Model. Sie gehört zu den Menschen, die man auf der Kinoleinwand sieht und sich fragt: Wie haben die Produzenten die nur gefunden? Meist spielen sie Nebenrollen und haben kaum etwas zu sagen - und doch verleihen sie einem Film die Note, an die man sich später erinnert. Denn diese Menschen sind zu groß, zu dick, zu klein, zu haarig, zu tätowiert. Sie sind hässlich.

Dieser 2,11 Meter große Bösewicht etwa mit dem markanten Kinn und der zerquetschten Boxernase _ er heißt Paul Badome. Das Dickerchen mit dem kahlen Kopf, Stubbelnase und dem breiten Lachen ist Asher Suss. Und die viel zu kleine Frau mit der lustigen Stimme, das ist Jordanna James. Sie alle sind unter Vertrag bei einer Agentur, die sich "Ugly NY" nennt. Seit 40 Jahren gibt es sie in London, vor einem Jahr eröffnete der Brite Simon Rogers eine Dependance in New York, der Stadt der Verrückten und Ausgeflippten.

Außergewöhnliches Aussehen: Asher Suss (links) und ein asiatisches Model. (Foto: Foto: Ugly NY)

"Ich finde meine Models direkt vor der Haustür, ich gehe hinaus und spreche sie an", sagt Rogers. Er suche außergewöhnliche Menschen in alltäglichen Situationen. Moment mal: Heißt seine Agentur nicht ugly, also hässlich? "Der Name ist provokativ", sagt Rogers. "Aber so etwas wie hässlich gibt es nicht. Es gibt nur langweilig."

Tappt man beim Durchblättern gewöhnlicher Model-Setcards schnell in die Déjà-vu-Falle, ist die Kartei mit 580 Ugly-Models ein Erlebnis. Eine überaus beleibte Frau räkelt sich halbnackt auf Satin, das nächste Foto zeigt einen Mann mit etwa 100 Muttermalen im Gesicht. Eine Frau mit Ganzkörper-Tattoo ist ebenso dabei wie ein Mann, der bei den nächsten Passionsspielen in Oberammergau den Jesus geben könnte.

Man schämt sich fast, diese eine Frage überhaupt zu stellen - die Frage, an die man immer denkt, wenn man die Leute in den Filmen sieht. Viele der Models stellen sie im Gespräch selbst. "Sie wollen bestimmt wissen, ob ich jemals gedacht hätte, mit diesem Aussehen Karriere zu machen?", fragt James. "Die Antwort ist Nein, aber ich glaube, dass viele Topmodels mit perfektem Gesicht und tollem Körper das auch sagen würden." Den Anruf der Agentur hielt sie für einen Scherz, dann habe sie sich gedacht, dass sie nichts zu verlieren habe. "Jetzt bin ich ein Model, ich bin ein Star." Immer wieder bekommt sie Aufträge verschiedener Produktionen, sie ist in Filmen und auf Plakatwänden zu sehen.

"Wir suchen das Gegenteil von Paris Hilton", sagt Rogers. Die Menschen hätten sich sattgesehen an den immergleichen Größer-als-das-Leben-Figuren, die mehr Ikonen sind als wirkliche Menschen. Es seien die Ungewöhnlichen, die aber doch so sind wie wir selbst, die uns interessieren. "Darauf gründet sich doch auch der Erfolg von Reality-Shows. Man möchte gewöhnliche Leute sehen." Und man möchte sagen können: Das könnte ich auch.

Zumal die Arbeit fürstlich entlohnt wird. Es gibt Jobs, die mit 100 Dollar entgolten werden. Aber es gibt auch andere Aufträge: Bis zu 75.000 US-Dollar bekommen die Models von Ugly NY - pro Tag. Das sind Gagen, die im Model-Geschäft nur Stars wie Kate Moss, Naomi Campbell und Claudia Schiffer verlangen können. Und die Auftragslage ist rosiger denn je.

Klassische Schönheiten ohne Makel und Fett dürfen zwar nach wie vor die neuesten Kreationen der Designer auf den Fashion Shows präsentieren. In der Werbung aber sieht man immer mehr Leute, die, nun ja, so aussehen wie man selbst. "Sehen Sie sich doch Werbefilme an. Die Menschen darin sind keine Models im klassischen Sinn." Das Prinzip funktioniere weltweit - deshalb suche er nicht mehr nur in den Vereinigten Staaten: Es sind Ableger in Europa und Asien geplant.

Ein bisschen anders sind die Models in der Kartei dann doch. "Es gibt einen Grund, warum manche so aussehen wie sie aussehen", sagt Rogers und lacht. Deshalb legt er Wert darauf, jedes Model persönlich überprüft zu haben: "Es kann durchaus passieren, dass sich hinter einer interessanten Fassade ein Psychopath befindet." Diese Menschen würden abgelehnt - ebenso wie Models, für die es keinen Markt gibt. "Wir wollen nicht ihre oder unsere Zeit zu verschwenden", sagt Rogers. Ein Model mit Akne etwa werde zu selten gebucht, um wirklich vermarktbar zu sein. "Aber eigentlich sind wir an allem interessiert."

Wenn einem außer einer Floskel nichts einfällt, dann würde man sagen, dass Rogers nach dem gewissen Etwas sucht. Jemand, der nicht aufgrund besonderer Fähigkeiten Karriere macht, sondern allein wegen des skurrilen Aussehens oder Auftretens. Er will nicht den nächsten Steve Buscemi entdecken, den Mann mit ungewöhnlichem Gesicht und außerordentlichen schauspielerischen Fähigkeiten. Es geht bei den Ugly Models nur ums Aussehen - und wenn jemand anders aussieht als das immer mehr bröckelnde Schönheitsideal, dann ist es umso besser.

"Wissen Sie was? Ich wurde schon als alles mögliche bezeichnet, da ist hässlich schon ein Kompliment", sagt Asher Suss. Er trägt gerne und stolz T-Shirts, die man eher an Angeline Jolie vermuten würde und die den glänzenden Bauch und die behaarten Schultern unterstreichen. Er ist ein Ugly Model, er wird häufig gebucht, sein Selbstbewusstsein ist höher denn je. "Denn auch darum geht es", sagt Rogers. "Diese Menschen werden nicht ausgegrenzt, sondern gelobt, sie verdienen Geld und fühlen sich wie Stars."

Der Mann rechts im Bild hat sogar einen Künstlernamen: Er nennt sich "Hugel". (Foto: Foto: Ugly NY)

Im Jahr 2006 gab es in den Werbepausen von "Germany's Next Topmodel" einen Clip mit dem Titel "Keine Models, aber straffe Kurven". Zu sehen waren sechs Frauen in Unterwäsche. Sie sahen nicht aus wie Models der Größe null oder gar Minus eins, sondern so, als hätte man sie auf der Straße angesprochen, ihnen die Kleider vom Leib gerissen und dann vor die Kamera gestellt. Einfach so. An die Kampagne erinnert man sich noch heute, an den Namen der Gewinnerin des Topmodel-Wettbewerbs nicht.

Die Menschen wollen eben das Ungewöhnliche sehen, das ihnen doch jeden Tag auf der Straße begegnet. "Ich bin ich, ich bin echt", sagt Jordanna James. Und das ist derzeit absolut en vogue.

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