Giftige Kartoffeln:Angst vor Chips und Pommes

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Glycidamid ist ein würdiger Nachfolger des Schreckgespensts Acrylamid - denn es ist noch gefährlicher. Fachleute sehen das gelassen.

Christina Berndt

Ein Gift hat einen Nachfolger. Vor sechs Jahren erschrak die Republik über Acrylamid, das perfiderweise beim Erhitzen von allerlei Lebensmitteln entsteht. Vor allem in Pommes frites und Chips, in dunklem Brot und Cornflakes bildet sich die krebserregende Chemikalie.

Die Kalorien in Chips sind gefährlicher als die Gifte, sagen Toxikologen. (Foto: Foto: AP)

Nun bewegt ein neues Gift die Gemüter: Glycidamid, das Lebensmittelchmiker um Michael Granvogl von der TU München jetzt erstmals in Lebensmitteln fanden (Journal of Agricultural and Food Chemistry, Bd.56, S.6087, 2008).

Glycidamid ist zweifelsohne ein würdiger Nachfolger. Nicht nur, weil es erheblich gefährlicher ist als Acrylamid; schon "geringste Mengen" reichen aus, um das Erbgut von menschlichen Zellen zu schädigen, wie die Münchner Forscher berichten. Auch im Körper folgt Glycidamid Acrylamid nach, denn es entsteht bei dessen Abbau in der Leber und ist der eigentliche Grund für die unangenehmen Wirkungen des Acrylamids.

Eben deshalb lässt die Entdeckung aus München Toxikologen kalt. Dass sich Glycidamid auch direkt in Lebensmitteln finde, sei zwar "von theoretischem Interesse", sagt Matthias Baum, der sich an der TU Kaiserslautern seit Jahren mit diesen Substanzen beschäftigt. Für die Verbraucher sei der Fund aber unerheblich. Der Glycidamid-Gehalt in der Nahrung sei mit 0,3 bis 1,5 Mikrogramm pro Kilogramm "extrem gering", betont auch Fritz Sörgel vom Nürnberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung.

Die Glycidamid-Belastung werde erheblich stärker vom Acrylamid-Gehalt der Nahrungsmittel bestimmt, der zwischen 300 und 600 Mikrogramm pro Kilogramm liegt; daraus stellt die Leber 60 bis 120 Mikrogramm Glycidamid her. "Die Problematik wird durch Glycidamid in der Nahrung also nicht verschärft", sagt Baum. Das sieht auch Michael Granvogl so: "Wir wollen Wege aufzeigen, wie sich Lebensmittel verbessern lassen", betont er. "Wir wollen keine Angst verbreiten."

Entwarnung bei Acrylamid

Wenig geeignet für eine neue Angst vor Fritiertem und Gebackenem sind auch die Daten, die seit der Entdeckung von Acrylamid im Essen gesammelt wurden. "Alle Hinweise aus Studien an Menschen geben Entwarnung", sagt Baum. In der größten Studie an 100.000 Personen kamen Forscher der Harvard-Universität zu dem Schluss, dass Frauen nicht häufiger Brustkrebs bekamen, wenn sie in ihrem Leben eigenen Angaben zufolge besonders viele Pommes frites und Kartoffelchips gegessen hatten.

Zwar sind solche Angaben schwer zu überprüfen, doch auch Menschen, die am Arbeitsplatz extrem hohen Acrylamid-Konzentration ausgesetzt sind, werden offenbar nicht häufiger krebskrank. Ohnehin enthielten Lebensmittel inzwischen erheblich weniger Acrylamid, sagt Granvogl; zum Beispiel weil sie weniger stark erhitzt werden.

Auf Null kann der Gehalt nicht gehen, weil sich Acrylamid nun einmal aus natürlichen Inhaltsstoffen der Lebensmittel bildet. Ganz nebenbei entstehen in derselben chemischen Reaktion auch jene Geschmacksstoffe, die knusprige Lebensmittel so lecker machen.

Dass gesunde Ernährung keine einfache Sache ist, zeigt auch ein weiterer Fund der Münchner Forscher: Ihren Ergebnissen zufolge entsteht besonders viel Glycidamid, wenn die Lebensmittel in Sonnenblumenöl statt mit gesättigten Fetten gebacken werden. Sonnenblumenöl aber ist besser fürs Herz. Mit welchem Öl auch immer: "Ich esse jedenfalls weiter Pommes und Chips", sagt Granvogl. Das sieht Matthias Baum genauso und betont: "Dabei mache ich mir wesentlich mehr Sorgen, zu dick zu werden, als um Glycidamid."

© SZ vom 19.08.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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