Geschlechter im deutschen Recht:Männlich, weiblich, unbestimmt

Es ist eine juristische Revolution: Bisher ging das Gesetz davon aus, dass es Männer und Frauen gibt - und sonst nichts. Künftig gibt es auch das dritte, das "unbestimmte Geschlecht". Das könnte in manchen Alltagssituationen problematisch werden.

Von Heribert Prantl

Das deutsche Recht steht vor einer Änderung, die fundamentale gesellschaftspolitische Bedeutung hat. Es gibt künftig quasi ein drittes Geschlecht - also nicht mehr nur Männer und Frauen. Der Gesetzgeber respektiert, dass es intersexuelle Menschen gibt, also Menschen mit nicht eindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen. Das wird zwar auch in Zukunft nicht so ins Geburtenregister eingetragen; dort wird nicht der Vermerk "Zwitter", "intersexuell" oder Ähnliches stehen.

Dort steht aber künftig gegebenenfalls in dem Datenfeld, wo das Geschlecht anzugeben ist, einfach gar nichts mehr: "Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so ist der Personenstandsfall ohne eine solche Angabe in das Geburtenregister einzutragen". So lautet vom 1. November an der einschlägige Paragraf im Personenstandsgesetz. Basis dafür ist ein Gesetz vom 7. Mai 2013.

Diese Rechtsänderung hat bisher kaum Beachtung gefunden, ihre Tragweite erst recht nicht: Es ist nun rechtlich anerkannt, dass Menschen nicht nur männlich oder weiblich sein können.

Zu "M" und "F" kommt "X"

Es gibt künftig ein neues Geschlecht, das in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) als "das unbestimmte Geschlecht" beschrieben wird. Bisher war jeder Mensch zwingend entweder dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Diese rechtliche Grundeinteilung im Geburtenbuch ist nun von November an Vergangenheit. Das kann man als rechtliche Revolution bezeichnen. Der intersexuelle Mensch kann sich irgendwann später für das männliche oder weibliche Geschlecht entscheiden - und dann den entsprechenden Eintrag vornehmen lassen. Er kann sich aber auch dafür entscheiden, zeitlebens ohne eine solche Zuordnung zu bleiben. Die Juristen folgern daraus, dass sich personenstandsrechtlich ein "eigener Status" ergibt. Vom "dritten Geschlecht" sprechen die Juristen nicht ausdrücklich, faktisch handelt es sich aber genau darum.

Die Auswirkungen der Neuerung auf das Melde- und Passrecht wurden gesetzlich nicht geregelt (die Auswirkungen auf andere Rechtsgebiete auch nicht). Gemäß Passgesetz ist im Reisepass grundsätzlich das Geschlecht einzutragen. Der Eintrag erfolgt bislang mit dem Codes "F" für weiblich und "M" für männlich. Ein anderer Code ist nicht vorgesehen. Reisende mit Papieren ohne Geschlechtseintrag würden in vielen Ländern Schwierigkeiten bekommen. Die FamRZ schlägt deshalb vor, im Pass den international vorgesehenen Eintrag "X" zu verwenden - entsprechend den Vorgaben der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation.

"Umfassende Reform" könnte nötig werden

Mit der Änderung des Personenstandgesetzes hat der Gesetzgeber auf das Bundesverfassungsgericht reagiert, das die Anerkennung des "empfundenen und gelebten" Geschlechtes als Ausdruck des Persönlichkeitsrechts betrachtet. Das muss auch für das nicht eindeutige Geschlecht gelten. Das neue Recht betrifft die Intersexualität, die von der Transsexualität zu unterscheiden ist: Transsexuell sind Menschen, die körperlich eindeutig zum männlichen oder weiblichen Geschlecht gehören, sich aber als Angehörige des anderen Geschlechts fühlen und als solche anerkannt werden wollen. Für sie gelten die Regelungen des Transsexuellengesetzes. Intersexuell sind Menschen mit nicht eindeutigen körperlichen Geschlechtsmerkmalen; man spricht auch von Hermaphroditen.

Das neue Personenstandsrecht geht auf diese Besonderheit der intersexuellen Menschen ein, die also sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsmerkmale haben - und erspart ihnen, sich eindeutig zu einem Geschlecht bekennen zu müssen. Nun wird aber in sehr vielen Gesetzen ausdrücklich auf das männliche oder weibliche Geschlecht abgestellt. Diese vielen Gesetze, in denen nur von "Männern" und "Frauen" die Rede ist, wurden nicht geändert - das hätte offenbar die Kraft der schwarz-gelben Koalition überfordert. Die neue Rechtslage führt daher nun dazu, dass Rechtsnormen, die ein bestimmtes Geschlecht (also "männlich" oder "weiblich") voraussetzen, auf Personen, für die ein solches Geschlecht nicht eingetragen worden ist, womöglich nicht angewendet werden können. In der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht wirbt daher der Brüsseler Jurist Wolf Sieberichs für eine analoge Anwendung dieser bisher geschlechtsspezifischen Paragrafen auch auf die intersexuellen Menschen.

Ende der "sprachlichen Zweigeschlechtlichkeit"

Das ist allerdings, wie auch Sieberichs zugibt, im Fall der Ehe und der Lebenspartnerschaft schwierig: Eine Ehe können nur Mann und Frau eingehen; eine eingetragene Lebenspartnerschaft nur zwei Personen des gleichen Geschlechts. Bedeutet das, dass ein Mensch mit unbestimmten Geschlecht eine Lebenspartnerschaft nur mit einem Partner gleichfalls unbestimmten Geschlechts eingehen darf? Diese Probleme wird der Gesetzgeber oder das Bundesverfassungsgericht noch klären müssen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) erklärte gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass eine "umfassende Reform" vonnöten sei.

Der Experte Wolf Sieberichs wirbt dafür, auch die "sprachliche Zweigeschlechtlichkeit unserer Gesellschaft" zu beenden. Man solle auf geschlechtsspezifische Anreden verzichten, wo dies praktikabel sei. Eine Meldebescheinigung erfordere kein "Herr" oder "Frau". Und eine Briefadressierung ohne eine solche Anrede könne nicht unhöflich sein, wenn sie dem Wunsch des Adressaten entspreche.

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