Geistige Fitness:115 und kein bisschen Alzheimer

Lesezeit: 2 min

Mit Matjes und Orangensaft hielt sich Hendrikje van Andel fit und galt als lebendes Wunder. Nun zeigt sich: Die einst älteste Frau der Welt hatte ein völlig gesundes Gehirn.

Christina Berndt

Schon zu Lebzeiten versetzte die alte Dame Menschen in Staunen. Hendrikje van Andel-Schipper war bereits weit über 100, da plauderte sie noch flott über die aktuelle Weltpolitik, erinnerte sich an alle wichtigen Ereignisse ihres langen Lebens und fieberte mit ihrem Lieblingsverein Ajax Amsterdam. Als die Niederländerin im August 2005 mit 115 Jahren starb, war sie die älteste Frau der Welt.

Hendrikje van Andel-Schipper im Alter von 113 Jahren. (Foto: Foto: dpa)

Nach ihrem Tod ist das Staunen nun noch einmal groß. Diese Frau hatte trotz ihres Alters ein durch und durch gesundes Gehirn, berichtet der Neuroanatom Gert Holstege vom Medizinischen Zentrum der Universität Groningen im Fachblatt Neurobiology of Aging.

Die gängige Annahme, wonach jeder Mensch irgendwann eine Demenz entwickelt, wenn er nur alt genug wird, ist damit widerlegt. "Die kognitiven Funktionen reichen viel weiter als die Lebensspanne der meisten Menschen", sagt Holstege.

"Ist mein Körper noch was wert?"

Der Professor durfte das Gehirn der alten Dame sezieren, als 82-Jährige hatte sie ihren Leichnam bereits der Wissenschaft vermacht. Doch als sie 111 wurde, schien ihr dieser Plan zu kühn. Sie wandte sich an Holstege, um zu fragen, ob ihr alter Körper überhaupt noch nützlich sei. Dem Professor verschlug es die Sprache.

Mit großem Interesse würde er eines Tages im Gehirn der hochbetagten Frau nach den Geheimnissen ihres langen Lebens suchen. Zu Lebzeiten führte er mit ihr noch neurologische und psychologische Tests durch - ebenfalls mit erstaunlichem Ergebnis: Sie war fitter als es Menschen zwischen 60 und 75 gewöhnlich sind. "Schon damals war ich extrem beeindruckt, sie war geistig hellwach", erinnert sich Holstege. "Deshalb habe ich auch erwartet, in ihrem Gehirn nicht viele Probleme zu finden."

Frühere Untersuchungen hatten bei fast allen Hochbetagten Abnormalitäten entdeckt. Jeder vierte 30-Jährige hat sogar schon Ansätze von Alzheimer, wie der Frankfurter Neuroanatom Heiko Braak an mehr als 4000 Toten feststellte. "Man kann dem aber entkommen", sagt Braak. "Es scheint natürliche Schutzmechanismen zu geben."

So wie bei Hendrikje van Andel-Schippers: In ihrem Gehirn fand Holstege fast keine Ablagerungen, wie sie bei Alzheimer üblich sind. Und die Zahl ihrer Nervenzellen war so groß wie die junger Rentner. "Es gab auch keine Spur von Arterienverkalkung - weder am Herzen noch im Gehirn", so Holstege. Dass sie starb, lag an einem unentdeckten Magenkrebs.

Die gesunden Arterien hält Holstege für das wichtigste Geheimnis ihres langen Lebens. Andel-Schipper selbst hatte allerdings eine einfachere Erklärung. "Ich esse jeden Tag einen Matjes und trinke ein Glas Orangensaft", sagte sie einmal und fügte augenzwinkernd hinzu: "Und ich atme."

© SZ vom 11.6.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: