Gehypte Dinge (1):Will ich, weil es alle wollen

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Beckhams, iPhone, Web 2.0: Markt und Medien erschaffen Hypes um Menschen und Produkte, indem sie gezielt übertriebene Erwartungen streuen. Eine Serie über die am meisten überschätzten Dinge.

Jürgen Schmieder

Als David Beckham sein erstes Spiel für L.A. Galaxy absolvierte, kamen statt der üblichen 5000 27.000 Menschen ins Stadion - darunter auch Stars wie Katie Holmes, Jennifer Love Hewitt und Eva Longoria. Sie jubelten dem goldbedressten Mann mit dem goldgegelten Haar zu, als würde Michael Jordan höchstpersönlich wieder Basketball spielen. Zwölf Minuten joggte Beckham übers Feld, die Fans tobten bei jedem seiner wenigen Schritte. Die Belohnung danach: Backham zog sein Trikot aus und präsentierte den gut gebauten Oberkörper. Die Los Angeles Times titelte am nächsten Tag: "Die Stars kommen, um Beckham zu sehen" und schrieb von einem "Beckham-Hype" in der Stadt.

David Beckham gehört nicht einmal zu den fünf besten Fußballspielern der Welt,. Doch jeder will ihn - weil ihn alle wollen. (Foto: Foto: AP)

Die Marke "Beckham" war in die Vereinigten Staaten eingeführt, der Hype begann, die Trikots wurden verkauft wie Bier auf dem Oktoberfest. Und das, obwohl Beckham nicht einmal zu den fünf besten Fußballspielern der Welt gehört. Es könnte an seiner Frau Victoria liegen, um die ebenfalls ein Medienhype gemacht wird, obwohl sie gerade einmal zu den besten fünf Sängerinnen ihrer eigenen Band gehört.

Das Potential erkennen

Wie kann es passieren, dass Menschen und Dinge dermaßen überschätzt werden? Warum beschäftigen wir uns mit Menschen und jubeln ihnen zu, obwohl andere deutlich besser spielen oder singen? Warum kaufen wir Produkte, obwohl wir wissen, dass andere besser funktionieren? Warum fahren wir an Orte, obwohl es anderswo schöner wäre?

Die amerikanische Beratungsfirma Gartner führte im Jahr 1995 den sogenannten Gartner-Hype-Cycle ein. An der Hype Curve zeigt das Unternehmen, wie Hypes funktionieren: Ein Produkt mit neuer Technologie oder ein Mensch mit besonderen Qualitäten - der sogenannte Technology Trigger - taucht auf dem Markt auf. Die Medien erkennen das Potential und berichten über sämtliche Einzelheiten - bei Menschen sogar übers Privatleben. So kommt es, dass Beckhams neue Frisur interessanter wird als seine Leistung beim vergangenen Spiel. Bei der Spielkonsole Wii von Nintendo etwa wurde nicht nur über die innovative Steuerung berichtet, sondern auch über das Design.

Es folgt die Phase des Positive Hype - jeder spricht darüber und will es kaufen. Man beschäftigt sich nicht mehr nur mit den tatsächlichen Qualitäten, sondern folgt lemminghaft anderen Käufern. Ein Beispiel dafür ist das iPhone von Apple. Nach der Einführung wurde es zum Verkaufsschlager, mehr als 270.000 Exemplare wurden während der ersten beiden Verkaufstage abgesetzt. Selbst deutsche Kunden ersteigerten für mehr als 1000 Euro bei Ebay ein iPhone - obwohl es hierzulande noch gar nicht funktioniert.

Etwas haben wollen, weil es jeder haben will. Das ist der Peak of Inflated Expectations, der Punkt der übertriebenen Erwartungen, der von den Medien und anderen Käufern gefördert wird.

Nach dem Positiven Hype und dem Erreichen der Spitze folgt der sogenannte Negative Hype. Die Menschen sind desillusioniert, weil das Produkt oder der Mensch die - durch den Hype ausgelösten - zu hohen Erwartungen nicht erfüllen kann. Es folgt der Absturz. Als Beispiel könnte man hier Lukas Podolski nennen, der nach der WM 2006 zum Superstar erkoren wurde. Man erwartete, dass er Torschützenkönig wird, in der Bundesliga wie der Nationalelf. Doch er konnte die übersteigerten Erwartungen beim FC Bayern noch nicht erfüllen und befindet sich deshalb im Konjunkturtief. Manche unken sogar, er würde wieder nach Köln wechseln, wenn der Verein den Aufstieg schafft.

Dann kommt die Erleuchtung

Ein Produkt oder einen Menschen an diesem Zeitpunkt abzuschreiben wäre fatal, es folgt nämlich die Phase, die Gartner ein wenig blumig mit Slope of Enlightenment - Steigung der Erleuchtung - bezeichnet. Es ist eine Phase der Konsolidierung, in der die wahren Qualitäten zum Vorschein kommen und es sich deshalb wieder besser verkauft. Oft steht in diesem Zusammenhang auch eine Verbesserung des Produkts oder eine neue Qualität. Ein Podolski etwa, der Laufwege gelernt hat. Oder eine Weiterentwicklung des iPhones. Oder noch besser: gepolsterte Laufschuhe.

Die Neueinführung hat sich damit etabliert, es gibt eine stabile Kundenzahl, die Vorzüge werden sichtbar, das Risiko eines Kaufs wird minimiert. Das Produkt pendelt sich - ausreichende Qualität vorausgesetzt, sonst verschwindet es vom Markt - genau dort ein, wo es hingehört. Auf Podolski übertragen würde das bedeuten, dass er in zwei Jahren Champions-League-Torschützenkönig wird - allerdings für Werder Bremen.

Es gibt aber auch Dinge und Menschen, die sich der Gartnerschen Hype-Curve vollkommen entziehen. Die Einführung Beckhams in den USA folgte zwar den Regeln der Kurve, seine Karriere als Ganzes jedoch nicht. Um Beckham rankte sich stets ein Mythos, er wird seit jeher zur Kunstfigur stilisiert, die Medien hypen ihn wie keinen anderen Fußballer. Beckham ist überschätzt, wie viele andere Menschen, Dinge und Orte auch. Wir stellen die überschätztesten Dinge dieser Welt in einer Serie vor. Dazu haben wir Ideen gesammelt, diskutiert und Formeln aufgestellt. Heraus kamen die Top Ten der Überschätzung.

Die nächste Folge: Die überschätztesten Menschen.

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