Gefährliche Leidenschaft Bergsport:Es passiert den Besten

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Die Alpinistin Barbara Hirschbichler hat ihren Vater und ihren Freund am Berg verloren, sie selbst treibt es weiter in eisige Höhen.

Heiner Effern

In der Woche, in der Barbara Hirschbichler im Jahr 1959 geboren wurde, verunglückte ihr Vater am Batura 1, einem 7880 Meter hohen Berg im Karakorum. "Wahrscheinlich in einer Lawine. Er wurde nie gefunden", sagt Barbara Hirschbichler.

Barbara Hirschbichler: dort, wo sie am liebsten ist, ganz oben auf den Bergen. (Foto: Foto: privat)

Als sie 33 Jahre alt war, brach ihr Lebensgefährte zu einer Winterüberquerung des Watzmanns auf. Er kam nicht zurück. Drei Jahre später stürzte ihr Bruder, ein starker Alpinist, beim Sportklettern ab, er ist seither querschnittgelähmt. Doch wenn Barbara Hirschbichler von den Bergen redet, spricht sie von Glück. Der Berg ist nicht der Tod, er ist ihr Leben.

"Ich habe das so gewählt. Der Berg ist ein Teil meines Lebens. Den kann man nicht abschalten", sagt die 49jährige Frau aus Schönau bei Berchtesgaden. Sie zählt zu den besten Alpinistinnen der Welt zählt, obwohl sie das nie über sich selbst sagen würde. Aber sie hat drei Achttausender bestiegen und mehrere Erstbegehungen im Karakorum bewältigt. Sie gehört zu den ersten zehn Frauen der Welt, die den Schwierigkeitsgrad 10 Plus kletterten.

Schweben vor Glück

Warum sie das alles macht? "Ich habe keine richtige Antwort gefunden", sagt sie zuerst. Dann versucht sie es doch zu erklären. "Es geht darum, an die eigenen Grenzen zu gehen. Danach erlebt man ein unglaubliches Glücksgefühl. Man schwebt die ganze Woche, alles andere relativiert sich."

Über dem Sofa im kleinen Wohnzimmer von Barbara Hirschbichler hängen große gerahmte Fotos. Auf einem ist ein schroffer Felsturm im Karakorum zu sehen, der Great Trango Tower. Dorthin wollte 1993 ihr damaliger Lebensgefährte, der Alpinist Martin Leinauer. Er war zehn Jahre lang der Freund von Barbara Hirschbichler, 1993 ist er am Watzmann tödlich verunglückt. Zehn Jahre hatten sie jede freie Minute beim Klettern, Radeln oder auf Skitouren verbracht.

"Wir waren zwar unterschiedliche Charaktere, aber in der Freizeit passten wir wunderbar zusammen." Der Tod des Spitzenkletterers ausgerechnet bei einer scheinbar leichten Tour war für sie ein Schock. "Das hätte nicht passieren dürfen. Aber es passiert auch den besten." Doch abgehalten von den Bergen hat sie der Tod des Freundes nicht. An der Wand in ihrer Wohnung hängt das Fotos vom scheinbar unendlichen Panorama der Bergriesen Pakistans - vor ihr die Spur hinauf zum Gipfel des Cho Oyo, ihren ersten Achttausender. Sie ist hinaufgegangen. Und sie hat dieses Glücksgefühl verspürt, das sie auch hier, in ihrer kleinen Wohnung, am Couchtisch mit dem Tee erfasst.

Ein Lächeln gräbt sich in ihr Gesicht. Sie sitzt da in Trainingsklamotten auf dem Sofa, die dunklen Haare sind ratzekurz, das hagere Gesicht und die sehnigen Waden zeigen, dass an diesem Körper kein Gramm überflüssigen Fetts überleben kann. In ihrer kleinen Wohnung in Schönau am Königssee stapeln sich Ordnern mit Dias von Bergtouren und Bücher über Bücher.

Die Literatur ist für die Gymnasiallehrerin mit den Fächern Englisch und Geografie die prägende Leidenschaft für drinnen, wenn sie einmal gerade nicht draußen ist. Einen Fernseher gibt es nicht, "Abenteuer aus der Kiste" sind der Frau zuwider. Sie will sie selbst erleben. "Wenn mich das glücklich macht, warum soll ich das nicht tun?"

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"Du verkaufst dich nicht"

Vielleicht weil ihr der Berg so viel genommen hat? Den Vater, den Freund. Doch Barbara Hirschbichler hat nie Wut oder gar Hass auf den Berg empfunden, ist nicht vor ihm geflüchtet. "Ein Bergsteiger weiß, dass immer etwas passieren kann", sagt sie. Auf die unglaublichen Glücksmomente, die ihr der Berg immer gebracht hat und heute noch bringt, will sie nicht verzichten. Und er hat ihr eine neue Liebe geschenkt.

Als sie im Jahr 2000 den Gasherbrum bestieg, lernte Barbara Hirschbichler Rasool kennen, den als Träger engagierten Mann vom Volk der Balti kennen. Das Jahr darauf nahm die Lehrerin eine dreijährige Auszeit im Job, und zog bis 2004 nach Baltistan. Heute ist sie mit Rasool verheiratet und die beiden betreuen Hilfsprojekte und Krankenstationen in den Dörfern. Barbara Hirschbichler finanziert sie über einen eigenen Verein in Deutschland.

Mit ihrer neuen Liebe erfuhr sie aber auch eine neue Sicht auf die Bergwelt. Die Balti, die am Rande des Karakorum leben, haben für Menschen, die mit aller Gewalt auf ihre unwirtlichen Gipfel steigen wollen, ein Wort, das sich in deutschen Lauten so spricht: "schadogo". Das heißt übersetzt "arm", bemitleidenswert, man kann es aber auch als "arm" bezogen auf den Geisteszustand verstehen.

Denn dass sich Menschen freiwillig in Lebensgefahr begeben, um dort hinauf zu steigen, eine solch abwegige Idee existierte in der Welt der Balti nicht, bis die Abenteurer aus den Wohlstandsländern kamen. "Die gehen zum Jagen so weit rauf wie die Steinböcke, alles andere hat die nie interessiert. Die würden nie aus Gaudi raufgehen", sagt Barbara Hirschbichler.

Einmal saß sie trotzdem mit Rasool, den sie zum Mitkommen überredete, in einem Basislager unterhalb des Nanga Parbat. Es schneite so stark, dass sie das Risiko des geplanten Gipfelanstiegs nicht auf sich nahmen. Eine andere Gruppe aus Deutschland aber brach trotzdem auf. Ein Mitglied stürzte dann tödlich ab, einer überlebte einen Absturz. "Der Rest hat durch irgendwelche Wunder überlebt." Als die Gruppe nach Hause kam, wurden die Bergsteiger für den Erfolg ihrer Expedition wie Helden gefeiert. Barbara Hirschbichler sitzt in ihrer kleinen Wohnung und sagt leise: "Die haben alles falsch gemacht, was ging, und einen Freund verloren."

Natürlich zählt für alle letztlich der Erfolg. "Die Frage ist nur, wie weit jeder einzelne dafür zu gehen bereit ist", sagt Hirschbichler. Zwei Italiener wurden unter weltweiter Anteilnahme diese Woche am Nanga Parbat gerettet, der dritte liegt tot in einer Eisspalte. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder. Für Barbara Hirschbichler gibt es einen Gradmesser dafür, wann man ein Risiko eingehen kann und wann man umkehren muss. Der Gradmesser ist ein einziges Wort: Angst.

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"Spaß macht das keinem"

Die Bergsteigerin kann sich Angst leisten. Sie ist nicht als Profi von Sponsoren und den Medien abhängig. "Wie das momentan eskaliert, ist brutal, wie in einer Spirale." Sie selbst versuchte auch einmal, einen Sponsor zu finden. Die Absage empfindet sie noch heute als Kompliment. "Du verkaufst dich nicht", sagte der Manager.

Neben den Profis versuchen jedoch immer mehr Hobby-Extremsportler, den Bergen ihr persönliches Erlebnis abzuringen. "Viele sind über eine Fit-und-Fun-Bewegung reingerutscht und haben eigentlich gar nicht den Zugang zur Natur", beobachtet Barbara Hirschbichler. Der Bergsport sei Mode geworden. "Manchen Menschen reicht das eigene Leben als Erlebnis nicht mehr."

Die meisten begnügen sich damit, aus der Ferne Abenteuer zu erleben wie zum Beispiel den Kampf der Südtiroler Bergsteiger ums Überleben. Wer es selbst versuchen will, kauft sich dann gut trainiert einen Pauschal-Tripp bei einer der großen Agenturen, inklusive Träger und Sauerstoffgerät. "Spaß macht das keinem. Es ist hart, man friert und kriegt keine Luft. Die gute Erfahrung eines 8000ers hat man erst im Nachhinein", sagte die Bergsteigerin. In den Basislagern, werde der Sportler immer nur danach bewertet, welche Gipfel er schon abgehakt habe, sagt Barbara Hirschbichler. "Das eigene Tun wird nicht in Frage gestellt."

"Ich muss nicht um jeden Preis rauf", sagt sie. "Auch wenn ich ein Ziel nicht erreiche, stellt sich ein Glücksgefühl ein, wenn ich an meine körperlichen Grenzen gehe." Und sie kann diese Euphorie auch hier in den Berchtesgadener Alpen verspüren, wo sie nun wieder lebt und an ihrer Schule unterrichtet. Zum Beispiel wenn sie nachts mit der Stirnlampe und den Tourenskiern einen Berg hinaufsteigt.

"Ich mag immer da sein, wo es ganz staad ist." Das Naturerlebnis, die Schönheit einer Blumenwiese oder die Ästhetik der Berge spielen in ihrem Leben eine entscheidende Rolle. "Ich verspüre eine Leidenschaft, die mit Geld oder Anerkennung nichts zu tun hat. Das ist wie Liebe."

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