Füllige Models:Felsen in der Brandung

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Das Label "Elena Miro" schickt in Mailand Models mit Kleidergröße 40 bis 54 auf den Laufsteg.

Susanne Hermanski

Mailand - Eines Tages war es so weit. Kate Dillon, die als Model schon für die Titel von Vogue und Elle fotografiert worden war, hatte ganze zwei Wochen lang keinen Bissen gegessen: "Ich plagte mich neben der üblichen Selbstkasteiung vor den Schauen mit einer Magen-Darm-Infektion und konnte mich kaum auf den Beinen halten", erzählt sie. "Da sagte die Stylistin zu mir: ,Wow, Kate, du sieht großartig aus heute, so schön habe ich dich noch nie gesehen.'" Plötzlich sei ihr klar geworden, wie "krank" der ganze Modezirkus sei, sagt Kate. "Du fühlst dich sterbenselend und endlich finden sie dich perfekt". Also beschloss die damals 19-Jährige den Laufsteg hinter sich zu lassen und zu Hause in San Diego eine Therapie zu beginnen. Sie war anorektisch seit sie zwölf Jahre alt war.

Heute, mit 32, ist sie wieder im Modegeschäft - als sogenanntes Plus-Size- oder Full-Figure-Model. Sie trägt Kleidergröße 42 und ist der Star der Modenschau des Designerlabels Elena Miro - für Frauen mit Kleidergröße 40 bis 54. Diese eröffnete die "Milano Moda Donna" nun schon im dritten Jahr und Elena Miro ist die einzige Marke "für Anschluss-Größen", die neben den klangvollen Namen der italienischen Mode wie Gucci, Prada oder Versace bei den Schauen zugelassen ist.

Die aktuelle Diskussion um den Tod einiger Spitzenmodels und die Verantwortung der Modeindustrie für Millionen von magersuchtgefährdeten Teenagern hat die Schau zum Politikum gemacht.

Italiens Jugend- und Sportministerin Giovanna Melandri sitzt deshalb ebenfalls in der ersten Reihe der Gäste, von denen jeder satte 300 Gramm feinster Schokoladentäfelchen auf seinem Platz findet. Im Anschluss an das Defilee der durchaus sinnlichen Mädchen gibt Melandri eine Pressekonferenz. Sie verteidigt, dass man sich in Italien, dem Land der mediterranen Kurvenwunder à la Sophia Loren, nur auf die freiwillige Selbstkontrolle der Designer geeinigt hat - und nicht wie in Madrid ein klares Mindestgewicht für die auftretenden Models festlegt, das sich an deren Body-Mass-Index orientiert. Lediglich eines ist inzwischen bindend: Models, die jünger sind als 16 Jahre, dürfen in Mailand nicht mehr über den Laufsteg gehen.

"Im Grunde bräuchte man ein Gesundheitszeugnis mit psychologischem Gutachten für jedes einzelne Mädchen", erklärt Melandri, "nur dann wäre sicher, ob ein Model wirklich krank ist und ausgeschlossen werden muss." Es genüge ohnedies nicht, das Erscheinungsbild der Mode auf dem Laufsteg zu korrigieren: "Ich bekomme ständig Briefe von Teenagern, die klagen, wie deprimierend es sei, aus einem Geschäft zu gehen, und sich mit Kleidergröße 40 hoffnungslos zu dick zu fühlen. Deshalb fördern wir gezielt junge Modemacher, die bereit sind, auch Mode jenseits der klassischen 38 zu entwerfen."

Kate Dillon hält ebenfalls wenig von Zwangsregelungen für das Gewicht der Models: "Das trifft nicht den Kern", sagt sie, als sie hinter der Bühne auf ihren Auftritt wartet. "Es hat keinen Sinn, einem Mädchen zu sagen: Du darfst nicht magersüchtig sein! Man muss ihr Selbstbewusstsein stärken."

Ihre Kollegin Crystal Renn, Jahrgang 1986, gehört zu den Ikonen der Full-Figure-Models und wirkt wie ein Fels in der Brandung der hektischen Büglerinnen, Show-Manager, Visagisten und Masseure. Doch ihr Weg dahin war hart: Mit 14 wurde sie entdeckt - und erst einmal aufgefordert, fast 40 Prozent ihres Körpergewichts abzuspecken: Das junge Mädchen aus Florida folgte brav, nahm 35 Kilo in einem Jahr ab. Nur "mein Körper schrie förmlich auf", erzählt Crystal. Die Haare fielen ihr aus, die Haut wurde fleckig , sie hatte das Gefühl, "von innen zu zerbröckeln".

Also wechselte sie die Agentur und startete eine neue Karriere: Im vergangenen Sommer lief die Brünette mit den dominanten Augen als Gaultiers neue Muse in Paris, Ellen von Unwerth fotografierte sie für Harpers Bazaar. Dass es immer noch Magazine gibt, die auf der einen Seite Kate und sie als "wichtige Identifikationsfiguren für junge Frauen preisen und auf der nächsten Seite die neueste Abmagerungskur propagieren", sieht sie gelassen. "Die müssen eben versuchen, ihr Heft an so viele Leute wie möglich zu verkaufen. Aber das Bewusstsein ist im Wandel."

Leah Kelley, die an diesem Tag zum ersten Mal über einen Laufsteg geht, scheint bereits Nutznießerin dieses Wandels. Die 18-Jährige aus Sacramento hat sich aus eigenen Stücken bei einer Full-Size-Agentur in New York beworben und ist sofort genommen worden. Vor drei Wochen hat die Blondine mit dem Gesicht, das an Angelina Jolie erinnert, im Blaumann Größe 42 noch ihrem Freund in dessen Autowerkstatt geholfen. "Wenn Sie wollen, kann ich ihre Reifen wechseln", sagt sie und lacht. Im Model-Leben ist Leah gerade erst angekommen. Und wenn man von den Essgewohnheiten absieht, sagt Crystal Renn, unterschneide sich dieses kaum von dem "der dürren Models. Schließlich lieben wir das gleiche wie alle Mädchen: Reisen, Feiern, Jungs. Wir haben eben nur einen bisschen dickeren Hintern."

© SZ vom 23.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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