Frauen und ihre Handtaschen:Befreit Euch von dem Taschen-Joch!

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Von wegen Kaufspaß - jede Saison sollen wir noch eine dazukaufen. Das funktionierte jahrelang, hat aber nun ein Ende. Auch für unsere Autorin.

Wäis Kiani

New York, September 2006. Die wichtigste Chefredakteurin der Welt, die in jüngster Zeit etwas inflationär besprochene Anna Wintour von der amerikanischen Vogue, und ihr Fashion Director Andre Leon Talley sitzen in der ersten Reihe der Carolina Herrera-Show. Sie würdigen die Welt um sie herum keines Blickes, es ist also alles wie immer um diese Zeit.

Von wegen Freude am Kaufen - der Stress beginnt jedes Jahr von neuem. (Foto: Foto: dpa)

Das Einzige, was auffällt, ist, dass Wintour nach der Show einfach aufsteht und auf ihren perfekten Beinen hinausgeht, während ihr Begleiter sich erst seine große Louis Vuitton-Schultertasche um den massigen Körper schwingen muss. Nach allem, was Wintour uns angetan und angeraten hat, hält sie sich selbst fein raus und geht einfach: ohne!

Taschen, Taschen, Taschen, Taschen, Taschen verkaufen

Wer sich, wie ich, aus weltanschaulichen Gründen an Anna Wintour kein Beispiel nehmen möchte, den kann man an eine andere stilbildende Lady verweisen. Das ist Carine Roitfeld, Chefredakteurin der französischen Vogue, und wirklich anerkannt lückenlos cool. Auch sie wurde in den vergangenen Jahren nicht ein Mal mit einer Handtasche gesehen.

Vor fast genau einem Jahr gab sie dem Daily Telegraph ein Interview mit einer brisanten Aussage, zumal für die Chefredakteurin eines der wichtigsten Modemagazine der Welt: "Ich habe", sagte sie, "meine Hände immer noch lieber in den Hosentaschen, als damit eine Tasche zu halten. Alles, worum es heute geht, ist Taschen, Taschen, Taschen, Taschen, Taschen verkaufen. Ich hasse Taschen."

Roitfeld verlässt das Haus nur mit ihrem Handy und einer Kreditkarte. Schlau. Mehr braucht man auch nicht, oder? Naja, normale Menschen, die ihre Autos selber fahren, brauchen vielleicht noch einen Schlüssel. Alles andere, zum Beispiel gigantische Schminkbeutel, ein Itchy-und-Scratchy-Schlüsselanhänger mit zwanzig Schlüsseln oder ein angebissener Apfel: alles nur erfundenes Zeug. Mit irgendwas muss man ja den Hype, der seit ein paar Jahren von schlauen Redakteurinnen (siehe oben) und geldgeilen Modekonzernen in unsere Gehirne gepresst wird, füllen.

Die Mär, die man uns Frauen erzählt

Aber was ist das überhaupt, diese It-Bag, werden jetzt kluge, trendresistente Menschen fragen. Nun, eine It-Bag ist, man traut es sich kaum auszusprechen, eine Handtasche, ohne die sich ein weiteres Leben nicht mehr lohnt. Ohne die man angeblich keinen Einlass in gewisse Kreise bekommt, geschweige denn von denen registriert wird.

Dank einer It-Bag und dem sie umgebenden Nimbus wird man auch mit einer drei Jahre alten Bootcut-Jeans zwischen lauter superengen Hedi-Slimane-Röhrenhosen vom Türsteher hineingewunken, denn die richtige Handtasche ist die Einlasskarte in den erlauchten Style-Himmel, und da wollte man doch schon immer hin ... so lautet die Mär.

Ja. Solche Dinge werden uns Frauen erzählt, und was machen wir? Wir glauben sie, millionenfach und auf der ganzen Welt. Weil es die Redakteurinnen immer und immer wieder in die Hefte schreiben, und weil prominente Frauen von jeder neuen Tasche sofort eine geschenkt bekommen und sich damit fotografieren lassen. Ist so ein Bild von einer Lindsey Lohan mit einer Soundso-Tasche erst mal um die Welt, schreien alle: Wääh, die muss ich auch haben! Und laufen los in die Läden.

Der große Run fing 1997 an, mit der "Baguette" von Fendi. Ein schmales Täschchen mit einem kurzen Henkel. Perfekt, um es sich zickig unter den Arm zu klemmen auf dem Weg zum wichtigsten Catwalk der Welt: der Damentoilette. Das Schönste an der Baguette: Sie war anfangs, außer bei Fendi in Mailand, nirgends erhältlich.

Die Antwort der japanischen Künstlerin Mai Ueda auf die Taschen-Hysterie: Die "Celine Mai Bag" ist wie eine Plastiktüte geschnitten. Aus feinem Leder in Bronze, Silber oder Gold. (Foto: Foto: Celine)

Von wegen Taschenneid

Es dauerte nur nicht sehr lange, die Baguette-Bag war immer noch schwer erhältlich, als plötzlich Kopien davon in den Fußgängerzonen mediterraner Hafenstädte auftauchten. Und plötzlich hatten Teenies, die aus den Sommerferien kamen, etwas unter dem Arm, das genau so aussah wie das, was sich ein erlauchter Kreis für mehr als tausend D-Mark geleistet hatte.

Das war damals nicht weiter schlimm, denn die zwei Gruppen waren so unterschiedlich, dass sie sich praktisch nie über den Weg liefen. Die Designer wiederum leiteten daraus die Formel für die erfolgreiche Tasche der Zukunft ab. Zum einen: Frauen haben kein Problem damit, dieselbe Tasche wie andere Frauen zu tragen, im Gegenteil; sofern die ihre gleicher ist. Zweitens, eine Tasche braucht einen Namen, so wie die Mutter aller It-Bags, die nach Grace benannte Kelly-Bag von Hermès.

Und sie muss teuer, aber nicht unerschwinglich sein (damit schied die Kelly mit einem Preis von 3000 Euro an aus) und möglichst schwer erhältlich. Und weil man ja reich werden und nicht nur das Bruttosozialprodukt Italiens oder Frankreichs durch das Taschengeld einiger verwöhnter Gören aufbessern wollte, wurde damals auch - schwupps - die Warteliste erfunden.

"Wie? Es gibt nur fünf Paddingtons, und alle sind reserviert?!"

Am Anfang war alles noch lustig: einfach die wichtigsten ausländischen Modemagazine lesen, Kate Moss' Schulter / Handgelenk im Auge behalten, immer einen Haufen Geld im Strumpf haben, und los geht's. So leicht war man damals noch für die kommenden sechs Monate im Rennen. Egal, wo man auftauchte, eine hauchte immer: Oh, du hast ja schon die Schni-Schna-Schnu! Die ist soooo schön! Was oft eine glatte Lüge oder Selbsttäuschung war.

Welch ein Glück, dachte ich vor ein paar Jahren, dass ich einen guten Draht zu den Girls im Chloe-Shop in München aufgebaut habe und mich nun auf die ellenlange Warteliste für eine "Paddington Bag" aus zerknittertem Leder setzen lassen kann. Monate später, als schon ganz London wegen dieser Tasche Psychopharmaka nehmen musste, niemand mehr daran glaubte, je eine zu besitzen, und ich alles schon lange vergessen hatte, bekam ich einen Anruf. Ground Control an Major Tom: Ihre Tasche ist da. Ach, winkte ich müde ab. Ich will doch keine (ich hatte mittlerweile zwei Monatsmieten in ein anderes Modell investiert, die "Silverado" aus knallgoldenem Schlangenleder).

"Wie?" sagte das Chloe-Girl schockiert, "Es gibt nur fünf Paddingtons, und alle sind reserviert, Sie bekommen die sonst nie mehr!" Oh nein, dachte ich und war wenige Minuten später vor Ort, bewaffnet mit meiner Kreditkarte. Bei Chloe sah es aus wie im Vorzimmer von Prof. Werner Mang, dem Lifting-Experten. Lauter Greisinnen mit langen, blonden Haaren und einer Paddington am Arm. Ich nahm auch eine. Sie war schwer und hing an mir wie etwas, das ich auf dem Flohmarkt entdeckt hatte. Ich bin kein Flohmarkttyp. Und gab sie zurück.

Auf der Heimfahrt fühlte ich mich schlecht, ich war schon wieder anders als die anderen. Doch irgendwas hatte nicht gestimmt. Was? Plötzlich wusste ich es! Ich hatte die Tasche nicht gewollt, weil ich sie umwerfend fand, sondern weil es mir eingehämmert worden war. Mein Geschmack und meine Bedürfnisse wurden fremdbestimmt. Ich hasse zerknittertes Leder, aber ich hatte vier Monate Wartelistenzeit gebraucht, um mir zu erlauben, es auch an einer It-Bag hässlich zu finden.

Die Halbwertzeit einer It-Bag beträgt zwei Monate

Seit Jahren machten wir uns statt über die Zwiespältigkeit eines freien Geistes Gedanken über Namen wie "D-Bag" (Chanel, 1999), "Multipocket" (Jil Sander, 2000), "Reporter Bag" (Tod's, 2001), "Papillon" (Louis Vuitton, 2002), "Lariat" (Balenciaga, 2002) bis hin zur "Muse" von Yves Saint Laurent, die diesen Sommer allerorten zu sehen war. Für mich ging die Verweigerung etwas unschön weiter, denn kaum hatte ich das Schlangenmonster fünfmal getragen, sprachen alle von der weltweit ausverkauften "Novak Bag" von Alexander McQueen.

Ich kaufte sie, trug sie dreimal, da machte sie schon keinen Sinn mehr, obwohl es die Letzte aus dem Mc Queen Shop an der Bond Street gewesen war. Es hatten sie ja schon alle gesehen, und ich wusste plötzlich nicht mehr, wozu ich sie brauchte. Kate Moss trug einen Nietenbeutel, Posh die Birkin Bag in allen Farben, No-Go-Labels wie Furla und Coccinelle gaben ihren bedeutungslosen Taschen Namen, und ich lag nachts wach und wusste: Wir sind am Ende der Fahnenstange.

Wenn ich meine Hand ausstrecke, greife ich ins Nichts. Die Halbwertzeit einer durchschnittlichen It-Bag beträgt mittlerweile zwei Monate. Uptown-Labels wie Bottega Veneta verschicken haufenweise Gratisexemplare an Moderedakteurinnen, damit die sie so lange hypen, bis sogar unschuldige Männer darauf hereinfallen und sich plötzlich aus Versehen ein Jackett kaufen, "Bodega" lesend, wo "Bottega" steht. Als Colleen McCullough, die Freundin des britischen Fußballers Wayne Rooney, während der WM mit einer Balenciaga Lariat in der Größe eines Puppenhauses in Baden-Baden auftauchte, wurde auch den Letzten klar, dass das nichts mehr mit Ästhetik oder Nutzen zu tun hatte.

Aktuelle Taschen sehen aus wie Außerirdische mit Warzenkrankheit

Wir sind nur mehr zahlende Passagiere eines gigantischen Marketingdampfers. Designer hauen Taschenmodelle wie Massenware raus, nicht aus Liebe zum Produkt, sondern weil ihre Konzerne das Geld nicht mit Mode, sondern mit Accessoires machen.

Die Taschen der aktuellen Saison sind "oversized" und sehen aus wie Außerirdische, die an einer Warzenkrankheit leiden. Gefüllt sind sie so schwer, dass man einen kräftigen Mann braucht, der sie für einen trägt. Mit anderen Worten: Der Ur-Sinn der Tasche - Freiheit - ist endgültig pervertiert, die britischen Stilmagazine sprechen nicht umsonst vom "Baglash". Zumal es, wie die amerikanische Vogue in ihrer neuen Ausgabe bemerkt, bereits immer neue Taschen für die Dinge in den Taschen, nämlich Ipods, Telefone, Geldbeutel, gibt - "ja sogar Taschen für die Taschen".

Eine kleine Zukunftsvision? Bald wird es Taschenträger geben. Schwergewichtsheber, die sich nur um It-Bags kümmern. Nur arme Leute werden ihre Taschen selbst tragen, während Reiche den Preis eines Kleinwagens hinlegen für etwas in der Größe eines Einkaufswagens, das verziert ist mit merkwürdigen Blumen, Schnallen oder Metalllogos. Derweil grübeln sie, welche Tasche die nächste sein soll.

Die alte kann man entweder in einem eigenen, großen Taschen-Archiv parken - so wie Nicky Hilton, die soeben dem People-Magazin verriet, dass sie selten eine Tasche zweimal trägt und niemals eine weggibt - und darauf hoffen, das sie mal wieder modern wird; wohl vergeblich, denn das Internet ist leider schon voller Paddington- und Cherry-Bags von Louis Vuitton.

Und wir, die Nicht-Millionäre, werden dann endlich wieder frei sein. Mit nichts als einem Handy und einer Kreditkarte in der Tasche.

© SZ vom 30.09.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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