Fernsehgeschichte:Sesamstraße? Nur für Erwachsene!

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Auf einer DVD mit alten Folgen der Sesamstraße findet sich die Warnung: "Entspricht nicht den Bedürfnissen von Vorschülern". Was bedeutet das nur?

Martin Zips

Manchmal trifft man als Mensch von Mitte 30 auf andere Menschen, die auch so Mitte 30 sind. Da redet man ein bisschen übers Wetter, dann über den vergangenen Urlaub und dann wird's schon schwierig, denn: Mit Mitte 30 ist der eine noch nicht verheiratet, der andere aber schon wieder geschieden, Nummer 3 ist schwul, Nummer 4 hat immer noch den 24-Nadeldrucker, Nummer 5 will für die Linkspartei in den Bundestag und Nummer 6 geht gerne kegeln. Um angesichts dieser Gemengelage ein unverkrampftes Gespräch hinzubekommen, gibt es einen Trick, der sich bereits bei Mitgliedern der Kriegsgeneration bewährt hat: Man redet von früher. Zum Beispiel vom Fernsehen, wie es früher einmal war. Früher war fast alles besser.

In den USA ist gerade eine neue DVD mit alten Folgen der Sesamstraße erschienen. Auf ihr prangt ein Warnhinweis: Die DVD sei "nicht für Vorschulkinder geeignet", heißt es. Diese Warnung haben nicht etwa ultrakatholische Kinderschützer angebracht, die auf der Suche nach neuen Feindbildern waren, nachdem Cheeseburger, Bierdosen und Zigaretten schon gegeißelt waren.

Der Hinweis, dass die Sesamstraße - entgegen der Idee ihrer Erfinder Jim Henson und Frank Oz - nichts für Fernsehanfänger sei, stammt von der Produzentin der DVD, Carol-Lynn Parente. Der New York Times erklärte Parente: Einen Typen wie das zynische Mülltonnenmonster Oskar könne man "heute nicht mehr bringen."

Nur noch für Erwachsene geeignet sei weiterhin eine Szene, in der das Krümelmonster versehentlich eine Pfeife verschlingt. Für Kinder sei dies kein gutes Vorbild. Und der gutherzige, aber verklemmte Büroklammernsammler Bert gilt den US-Medienmachern als zu griesgrämig für die Jüngsten. Daher der Warnhinweis auf der Hülle: "Diese Episoden sind für Erwachsene bestimmt und entsprechen eventuell nicht den Bedürfnissen von Vorschülern."

So etwas mag allen in die Jahre gekommenen Sesamstraße-Freunden Bauchschmerzen bereiten. Neu ist der Trend, verdiente Kindersendungen in Zweifel zu ziehen, nicht. Erst vor ein paar Monaten hatte in Polen die konservative Kinderbeauftragte Ewa Sowinska erklärt, es müsse überprüft werden, ob die Teletubbies nicht "unzulässige sexuelle Inhalte" propagierten. Zur Begründung hatte Sowinska angeführt, Tinky-Winky sei zwar offenkundig männlich, trage aber eine Handtasche mit sich herum. Ein Sexualwissenschaftler musste her, der bescheinigte, dass sich die sexuelle Ausrichtung der Teletubbies zumindest nicht zweifelsfrei bestimmen lasse.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Nicht nur die Zuschauer, auch die Stars werden älter...

Geht es nun auch den Bewohnern der mit zahlreichen Emmys ausgezeichneten Sesamstraße - die 1968 von amerikanischen Pädagogen und Psychologen entwickelt wurde, um Lerndefizite kulturell benachteiligter Kinder zu kompensieren - an den Kragen? Ist Super-Grobi, der anstelle eines Fahrradhelms das Visier eines Ritters am Kopf trägt, ein geeignetes Vorbild für unsere Kinder? Darf man über das sich langsam in die Überfettung fressende Krümelmonster lachen? Ist ein Frosch als Fernsehreporter nicht ein bisschen viel der Ironie?

Pediatrics, das offizielle Magazin der US-Akademie für Kinderheilkunde, hat gerade wieder festgestellt, dass die Sesamstrasse kleinen Kindern beim Erwerb ihres Allgemeinwissens hilft und ihre gesamte Wahrnehmung sowie imaginäre Vorstellungskraft positiv beeinflusst. Auch auf dem Kinderfilm- & Fernsehfestival in Erfurt ist die Sesamstraße kürzlich ausgezeichnet worden.

Doch die Sesamstraße gibt es nicht. Parodierten die Puppenspieler vor fast 40 Jahren noch Fernsehshows ("Das war Ihr Leben"), Rock- und Pop-Nummern (das Alphabet als Discokracher) und kleine menschliche Missverständnisse ("Ernie, ich kann nicht schlafen. Der Wasserhahn tropft." "Jetzt habe ich den Staubsauger angestellt, Bert. Hörst Du noch den Wasserhahn?"), so dominiert in den neuen US-Episoden der pädagogische Zeigefinger: Immer schön die Zähne putzen und auf richtige Körperpflege achten!

Auch die Stars verändern sich

In einer Folge, berichtet der zuständige NDR-Redakteur Holger Hermesmeyer, sprächen einige Handpuppen dem Krümelmonster ins Gewissen: Immer nur Kekse, das sei doch ungesund. Zum Kohlrabi-Monster sei Krümel aber noch nicht geworden. Die Sendung wäre doch "stinklangweilig, wenn alle Figuren nur lieb und brav wären", meint der vom alten Konzept überzeugte Hermesmeyer. Und selbst, wenn sich das amerikanische Original in eine andere Richtung entwickle, in der deutschen Ausgabe seien gerade die alten Episoden weiterhin wichtig. Gerade hier hätten die Figuren noch Ecken und Kanten.

Nicht nur die Zuschauer, auch ihre Stars werden älter und verändern sich. Die Rechte an Kermit dem Frosch wechselten in den vergangenen Jahren immer wieder den Besitzer. So droht eine beliebte Figur ihr Gesicht zu verlieren. Und ob "Die drei Fragezeichen" weiterhin "Die drei Fragezeichen" heißen dürfen oder ob Pumuckl heiraten darf, wird neuerdings vor Gerichten verhandelt. Als Mensch von Mitte 30 will man das so genau eigentlich gar nicht wissen. Immerhin scheint auch die derzeitige Generation an unangepassten Figuren wie sprechenden Schwämmen Gefallen zu finden. Mal abwarten, was aus denen wird.

© SZ vom 27.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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