Esskultur:Wolfram Siebeck über: Deutsche

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Ein Interview mit Deutschlands bekanntestem Gourmet-Kritiker, der unablässig gegen die Grobschlächtigkeit der deutschen Esskultur kämpft.

Arno Makowsky

Herr Siebeck, haben Sie in diesem Sommer auch für Deutschland gejubelt? Nein, ich bin kein Mensch, der sich für Siege interessiert, außerdem bin ich unsportlich. Einige Spiele der Fußball-WM habe ich mir trotzdem angesehen, und ich bewundere die Leistung, wenn einer einen genauen Pass über 30 Meter schlägt. Mehr aber nicht.

Wolfram Siebeck, geboren 1928 in Duisburg, gilt als der deutsche Gourmetkritiker schlechthin. In seinen Kolumnen, Restaurantkritiken und Büchern kämpft er seit Jahrzehnten gegen die Grobschlächtigkeit der deutschen Esskultur und setzt sich für die verfeinerte Küche ein, wie sie in Frankreich gepflegt wird. Ursprünglich als Graphiker und Maler von Reklameschildern ausgebildet, schrieb Siebeck in den sechziger Jahren für die Zeitschrift "Twen" seine ersten kulinarischen Artikel, später arbeitete er für viele weitere Magazine und das Fernsehen. Seine Kolumnen in der "Zeit" und im "Feinschmecker" haben zahllose Fans in der Gourmetszene. (Foto: Foto: Daniel Biskup/Boehmedia.de)

Gar kein Patriotismus bei der Hymne? Nein, sicher nicht. Ich gehöre der Flakhelfer-Generation an, und mit uns ist in dieser Richtung nichts mehr zu machen. Wir sind immunisiert worden gegen Ideologien und patriotische Gefühle. Und gegen Befehle, die Dinge verlangen, die nicht natürlich sind. Das geht schon beim frühen Aufstehen los. Mir darf niemand vorschreiben, wann ich aufstehe. Deshalb wollte ich in meinem Leben auch nie festangestellt sein. Das geht so weit, dass ich mich bewusst von Städten fernhalte, in denen die Verlage sitzen, für die ich arbeite.

Haben Kochen und Essen etwas mit Politik zu tun? Selbstverständlich. Sie haben mit dem Erkennen von Qualität zu tun. Das geht ja nur, indem man kritisch ist gegenüber allem, was nicht gut ist. Das ist genau die Attitüde, die ein demokratischer Mensch haben muss. Die Politiker müllen einen zu mit Sprüchen, und wenn man nicht aufpasst, wird man stumpfsinnig und lässt sich alles gefallen. Beim Kochen ist es auch so. Keiner kann sich doch darauf herausreden, dass sein Metzger schlecht wäre, dass es keine guten Sachen mehr gäbe. Es gibt sie schon. Man muss sie nur suchen und darf sich nicht mit jedem Mist abspeisen lassen.

Wenn man Ihren kulturkritischen Äußerungen folgt, mangelt es uns Deutschen genau an dieser Haltung: Die Deutschen lassen sich alles vorsetzen und haben kein Bewusstsein für Qualität. Vor allem sind sie notorisch geizig. Elf Prozent ihres Einkommens geben sie für Lebensmittel aus, das ist beispiellos wenig. Über deutsche Köche und deutsche Gastronomie wird viel geschrieben, aber im Alltag merkt man davon nichts. Die Spitzenköche reüssieren, aber unten tut sich kaum etwas. Das passt zur deutschen Geschichte. Revolutionen von unten sind nicht unsere Sache.

Wenn der Deutsche ins Restaurant geht, dann meistens zum Italiener, Griechen oder Thailänder. Die Menschen spüren eben, dass ausländische Küchen reizvoller sind. Das fing in den fünfziger Jahren an, mit den ersten Balkan-Grills. Gefüllte Paprika und Cevapcici und all das. Später kamen dann die Italiener. Die sind auf der Nudelwelle dahergeschwommen, das war eine Art Tsunami. Die Deutschen wollten in ihrer Infantilität nicht kauen. Sondern nur lutschen. Wie Babys.

Dabei versuchen Sie, Herr Siebeck, alles, um unser Volk zu Gourmets zu erziehen. Gibt es denn gar keine Erfolge? Doch, doch, es hat sich einiges getan. Man kann das äußerlich ablesen am Angebot der Produkte, die wir kaufen können. In den Großstädten gibt es zum Beispiel eine Überfülle an exotischen Gewürzen und Früchten. Und wer sich mit verschiedenen Currysorten ernsthaft befasst, der muss eine Vorstellung von feinem Essen haben. Das ist positiv. Aber leider gibt es auch die andere Seite. Viele Deutsche kochen heute überhaupt nicht mehr. Sie kaufen nur Fertigprodukte. Rein in die Mikrowelle, fertig. Das ist ein absoluter Einbruch in unserer kulturellen Entwicklung.

Wir leben also in so einer Art kulinarischer Zweidrittelgesellschaft? Wenn es wenigstens ein Drittel wäre, das sich ernsthaft mit Kochen und Essen beschäftigt! Leider sind es viel weniger. Sicher, die Leute schauen diese Kochsendungen an. Aber dabei lernen sie nichts dazu. Vielleicht kauft man sich mal einen neuen Quirl. Mehr Auswirkungen hat das nicht.

Schlimm. Klar ist das ernüchternd, auch für Leute wie mich. Aber zum Glück habe ich ja vor allem mit den Wenigen zu tun, die interessiert sind.

Was sind Ihre Fans für Leute? Junge und Alte. Die Jungen haben es von den Älteren gelernt und die Älteren von mir. Das sind natürlich keine Unterschichten, es sind gebildete Menschen, viele Mediziner, viele Lehrer. Leute , die sich für Dinge interessieren, die sich jenseits ihres Alltags abspielen.

Seit Ewigkeiten geißeln Sie die Genussfeindlichkeit der Deutschen. Hat sich auch daran nichts geändert? Nichts. Die Genussfeindlichkeit ist ein Bestandteil unseres Nationalcharakters. Das ist eine alte Tradition, die viel mit dem Protestantismus zu tun hat. Die Katholen haben ja immer etwas lustiger gelebt, etwas bunter, schon der Gottesdienst ist fröhlicher, und alles wird dir irgendwann mal vergeben. Aber bei Luther und seinen Nachfolgern heißt es: Alles, was Spaß macht, ist verboten. Spaß ist Sünde. Mit so einer Haltung kann man Macht ausüben. Deshalb ist sie auch in autoritären Gesellschaften verbreitet.

Und deshalb ist die Lebensfreude in katholischen Ländern größer? Natürlich. Da wird hemmungslos gefressen. Nehmen Sie mal den Balkan! Wie die dort feiern, die Großzügigkeit, das ist beglückend. Genauso in Italien. Bei uns alles undenkbar.

Woran liegt es, dass es keine deutsche Hochküche gibt, so wie die französische? Das liegt an der erwähnten Mentalität, aber auch an der geographischen Lage. Wir liegen in der Mitte Europas und werden vom Westen und vom Osten beeinflusst. Die wichtigsten kulinarischen Einflüsse kommen vom Westen, aus Frankreich: die Verfeinerung, die Modernisierung. Leider aber kommen auch Einflüsse vom Osten. Und da muss man sagen, dass im Osten immer schon viel schlechter gekocht wurde. Die polnische Küche hat noch nie was getaugt, die russische schon gar nicht.

Der frühere "Zeit"-Chefredakteur Theo Sommer hat bei Ihrem 75. Geburtstag gesagt, Konrad Adenauer und Wolfram Siebeck hätten für die Westanbindung Deutschlands gesorgt . . . Ja, vielleicht hat er recht. Ich habe eben immer die Verfeinerung der Küche gepredigt, und damit habe ich nicht das gemeint, was aus dem Osten kommt. Glauben Sie mir, ich kann das beurteilen! Ich bin jahrzehntelang durch Europa gereist und habe alles überall probiert.

Theo Sommer hat aber auch gesagt, dass Sie dabei ungefähr den Gegenwert eines Atomkraftwerks verfressen haben . . . Das ist ein bisschen übertrieben. Das meiste habe ich allerdings aus eigener Tasche bezahlt und aus eigenem Interesse gemacht. Das gibt es heute ja nicht mehr, auch Kritik ist nicht gefragt. Die meisten Journalisten müssen alles toll finden, damit ihr Artikel das richtige Umfeld für die Anzeigenkunden bietet.

Fällt Ihnen auf Anhieb irgendetwas an der deutschen Küche ein, das man durchgehen lassen kann - ohne spezielle Verfeinerung? Der rheinische Sauerbraten! Auch Sauerkraut kann wunderbar sein, wenn es nicht teutonisch mit Schweinshaxen und solchem Zeug verschandelt wird. Königsberger Klopse. Und sogar die alpenländische Küche. In technischem Sinne ist das, was ihr Bayern da macht, zwar nicht toll. Aber es gibt dort diese Akzeptanz der Produkte, eine Natürlichkeit, das macht es sympathisch.

Wolfram Siebeck über Kochexzesse - nächste Seite!

Sie fahren offenbar eher auf Kochexzesse ab, wie sie der Spanier Ferran Adrià betreibt. Der serviert Gemüse als Gelees und füllt Suppen in Reagenzgläser. Mal ehrlich: Muss das wirklich sein? Ich kenne den Adrià sehr gut und mag ihn wegen der Unbedingtheit, mit der er seine elitäre, spinnerte Position durchsetzt. Das finde ich toll. Man muss mal in seinem Restaurant gewesen sein und ein Menü mit 30 Gängen gegessen haben - jeder Gang ist nur ein Löffel voll. Das ist eine avantgardistische Küche.

Das Lokal ist ein Jahr lang im Voraus ausgebucht, in der Welt der Partyhopper gehört ein Besuch zum Pflichtprogramm. Krankt die Feinschmeckerei nicht an diesem französeligen Schnösel-Image? Nein, nein! Wer Avantgardistisches macht, braucht die Neureichen und Parvenüs. Ohne die läuft nichts. Das ist in der Mode doch ganz genauso. Die Geburtshelfer für Kunst sind halt oft die Leute, vor denen es dem Künstler graust.

Was ist denn gerade der große Trend in der Gourmetszene? In Deutschland gibt es keinen Trend. Hier gibt es immer nur eine Mode, die wir uns abschauen von den Franzosen. Die deutsche Küche war noch nie so innovativ, dass von ihr etwas Neues ausgegangen wäre. Auch unsere besten Köche greifen nur Dinge auf. So wie die Japaner. Die tollen japanischen Kameras sind nur Imitationen deutscher Wertarbeit, die haben die Leica nachgemacht. Genauso machen es unsere Spitzenköche. Ihre Arbeit ist eine wunderbare Imitation französischer Wertarbeit.

Gut, und wo passiert wirklich etwas Neues, irgendwie Ausgeflipptes? In Kopenhagen. Das ist die nordische Gegenwelt zu Ferran Adriàs mediterraner Küche. Was die machen, das ist genauso revolutionär, genauso extravagant, aber ohne Verbindung zur Sonne des Südens. Sie bleiben nordisch kühl. Ich bin hingerissen davon. Das ist oberste Kategorie.

Was muss man sich konkret darunter vorstellen? Die zerkrümeln alles.

Zerkrümeln . . . Ja, genau. Zuerst nehmen die also ein Fischfilet oder eine Entenbrust. Das wird rosa pochiert oder gebraten und drunter kommt eine Schicht von kleinen Würfelchen, Äpfeln oder Gemüse. Und obendrauf kommen noch mal Krümel. Frittiertes Brot oder sowas, besonders aromatisiert, das wird darüber gestreut. Es ist einfach wahnsinnig. Und die bei uns übliche Dekoration lassen sie weg. Diese deutsche Marotte, hier drei Fäden Schnittlauch, da ein Sträußchen Brokkoli, das gibt's dort nicht. Das ist ein wichtiger Schritt vorwärts. Bei uns bauen die Köche immer noch Türme auf, da wird jeder Konditor blass! Das kann man ins Museum stellen. Was für ein Schwachsinn!

Verändern gesellschaftliche Entwicklungen eigentlich auch die deutsche Küche? Früher war der mediterrane Stil das höchste, weil die Leute im Urlaub nach Italien gefahren sind - inzwischen fliegen die Menschen nach Bali und Vietnam . . . Das darf man nicht überbewerten. Ich glaub' ja nicht, dass die Leute davon profitieren. Menschen, die nach Bali fahren, sind keine Genussmenschen. Vielleicht nehmen ein paar Köche solche Anregungen auf.

Die ekligste Erscheinung in letzter Zeit sind die Gammelfleisch-Skandale. Hängt das auch mit mangelndem Qualitätsbewusstsein zusammen? Eher weniger. Das ist eine Frage der Kriminalität, die es überall gibt. Insgesamt stelle ich, zumindest im oberen Segment, bei uns eine Tendenz zu besseren Lebensmitteln fest. Immer mehr Kleinbauern haben nur 30 Hühner und bemühen sich um Qualität. Und in der Gastronomie erleben wir einen Generationswechsel. Zum Beispiel im Schwarzwald. Da kann man unendlich schlecht essen. Aber ein paar Junge machen es jetzt besser, es gibt beispielsweise viele gute Käsehersteller. Aber noch mal: Das kommt von oben. Es wird von der anspruchsvollen Gastronomie vermittelt, nicht vom Volk. Alles, was mit Kulinarik zu tun hat, bleibt in Deutschland im Bereich des Elitären.

Herr Siebeck, dieses Interview hier erscheint in der Weihnachtsausgabe des SZ WOCHENENDE. Sie müssen jetzt unbedingt ein deutsches Festtagsgericht abseits des Gänsebratens empfehlen! Etwas Deutsches mit Tradition? Da nehme ich einen Rehrücken, weil wir viel Wald und damit viel Wild haben. Deutschland ist inzwischen das waldreichste Land Europas, haben Sie das gewusst? Der Rehrücken ist ganz einfach. Und ich bin dagegen, zu Hause die Haute Cuisine nachzuahmen, das Bürgerliche passt da viel besser.

Der Rehrücken . . . Ja, den legt man eigentlich nur in die Pfanne und brät ihn rosa. Und dann streut man rote Pfefferkörner darüber, die mit Schokolade überzogen sind. Dann schmilzt die Schokolade.

Rehrücken mit Schokolade. Klingt enorm bürgerlich. Das ist ein spanisches Produkt, bekommt man überall. Und wissen Sie, was Sie dazu machen? Quittenpüree, mit Zitrone aufgemotzt. Und ein Tartar vom Rosenkohl. Dazu könnten Sie dann . . .

Herr Siebeck, waren Sie eigentlich schon mal bei McDonald's? Nein. Einmal sollte ich einen Hamburger essen, das hat sich ein Fotograf ausgedacht. Da habe ich einmal reingebissen und das Ding dann weggeschmissen.

Wahrscheinlich ist das aber eines der beliebtesten Gerichte der Deutschen. Jaja. Die Leute fressen das Zeug, bis sie platzen. Man kann nur hoffen, dass die dann auch wirklich platzen.

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