Emanzipation:Germany's Next Role-Model

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Schönheitstipps von Sonya Kraus, kollektive Brautbeschau mit Lilly Kerssenberg - Frauen, die sich für dumm verkaufen, sollte man sich schenken.

Violetta Simon

Lange, viel zu lange, sind Frauen auf dem Freiheits-Ticket gesegelt, das Alice Schwarzer und ihr Gefolge für sie gelöst hatten. Was von der Frauenbewegung der siebziger Jahre übrig blieb, läuft heute unter dem buttercremeweichen Begriff "Feminismus". In seinem Namen schockierte Eva Herman vor einer halben Ewigkeit mit der Forderung nach alten Werten, Charlotte Roche, Lady Bitch Ray und ein paar Gesinnungsgenossinnen setzten auf eher physische Inhalte. Bis auf eine Welle der Empörung und etwas Ekel haben aber auch sie kaum etwas bewegt.

Moderatorin Sonya Kraus setzt sich in Szene - und zeigt sich von ihrer Schokoladenseite. (Foto: Foto: Getty Images)

Nun aber, so scheint es, tut sich was. Zunächst Steinchen für Steinchen, allmählich jedoch einem Erdrutsch gleich, setzt sich eine feminine Masse in Bewegung, um ein neues Frauenbild zu schaffen. Und sie wabert unbeirrt in eine Richtung: vom Regen in die Traufe.

Allen voran Sonya Kraus, die in ihrem neuen Buch den weiblichen Körper als "Baustelle Body" bezeichnet. Um dieses Wrack in eine ansehnliche Konstruktion zu verwandeln, rät sie zu High Heels und Ausschnitt: "Gerade korpulente Mädels sollten unbedingt ihr Dekolleté betonen!" Das sei schließlich ihre "Schokoladenseite". Danke, Sonya. Wer hätte gedacht, dass es solcher Tipps bedarf, um unsere Generation um 50 Jahre zurückzuwerfen?

Doch die Moderatorin ist keine Alleintäterin - sie hat genügend Helferinnen. Lilly Kerssenberg zum Beispiel. Die alte, inzwischen wieder neue Partnerin von Boris Becker ist bereitwillig als Nachfolgerin von Beinahe-Zweitfrau Sandy Meyer-Wölden auf die Couch von Wetten-dass..?-Moderator Gottschalk gesprungen. Zuvor wurde die 32-Jährige in gänzlich neuem Styling der Fernsehöffentlichkeit präsentiert wie ein Stück Rinderbraten, pardon, Rinderfilet. Sie wurde nach links und rechts gedreht, mit fachmännisch-männlichem Blick begutachtet und mit Komplimenten für ihren ausgewogenen Wuchs bedacht - "Schlank und rank ist sie!"

Nun könnte man die Schultern zucken und sagen: Was soll's, Frauen, die sich in sogenannten Familienshows auf ihr Äußeres reduzieren lassen, müssen sich nicht wundern, wenn keiner nach ihren inneren Werten fragt. Die Sache ist nur: Sie wundern sich auch gar nicht! Sie beabsichtigen es.

Wie sagte Gottschalk zu Boris: "Dass du auf innere Werte Wert legst, wissen wir." Und auch, was die äußeren betreffe - bewundernder Blick auf Lilly Kerssenbergs Erscheinung -, habe der ehemalige Tennis-Star "alles richtig gemacht". Lilly, die selbst von Gottschalk nicht einmal angesprochen worden war, hat sich artig gefreut. Und damit ebenfalls alles richtig gemacht.

Und das auf einem öffentlich-rechtlichen Sender zur besten Sendezeit. Da wünscht man sich fast die Darmbekennerin Charlotte Roche auf die Couch.

Wo wir doch gerade von Sendezeit sprechen, da dürfen wir natürlich nicht das altdeutsche Fräuleinwunder Heidi Klum vergessen, die mit dem Leitsatz "ansprechendes Äußeres vor Inhalt" richtig Geld gemacht hat. Unter anderem damit, dass sie junge Frauen (sie bezeichnet sie als "Mädels") öffentlich für ihre Oberschenkel niedermachte. Die Suche nach "Germany's Next Topmodel" hat Millionen Frauen gezeigt, wo es lang geht: erst auf die Waage, dann in die Öffentlichkeit. Nur wer bereit ist, zurückzugehen, kommt nach vorn.

Nicht minder furchtbar ist, dass es seit Jahren genügend Frauen gibt, die sich für solche zweifelhaften Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Sieht ganz danach aus, als beschränke sich die Frauenbewegung mit einhelligem Kopfnicken, dass die Frau von heute keine Emanzipation mehr benötige. Der Kampf scheint gewonnen, nun können wir uns erst mal entspannen. Haben wir uns aber wieder aufgeregt!

Diese Einstellung ist verhängnisvoll. Ein Irrtum. Denn damit steckt man auch schon wieder drin im Schlamassel. Zurück auf null, und die ganze Ackerei beginnt von vorn.

Zurück in die Steinzeit

Dank Frauen wie Sonya, Lilly und Heidi marschieren wir stramm in Richtung Steinzeit. So gesehen ist es vielleicht auch kein Wunder, dass viele Frauen in Deutschland immer noch wesentlich weniger verdienen als ihre männliche Kollegen. Doch darüber regen sich allenfalls noch ein paar Politikerinnen berufs- und gewohnheitsbedingt auf.

Mit dem, was die Beauty-Figuren in der Öffentlichkeit verkörpern, tun sie den Frauen von heute keinen Gefallen. Aber das war ganz offensichtlich auch nicht der Sinn der Sache. Denn immerhin ist es ja nicht so, dass sie sich für dumm verkaufen lassen. Das nehmen sie schon selber in die Hand. So viel Emanzipation muss dann doch sein.

Bleibt die Frage, wer den Karren jetzt wieder für uns aus dem Dreck zieht. Alice Schwarzer sicher nicht. Wenn sie bei Sinnen ist, wird sie sagen: Ihr hattet eure Chance. Ich gehe in Rente. Fragt doch Hillary, die macht auch das bestimmt noch.

Das ist es! Sie wird uns retten, mit einem Siegerlächeln auf den Lippen und dem Schlachtruf: "We can change!" Und höchstens für den Bruchteil einer Sekunde werden wir uns fragen: "Can we?"

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