Elternsprüche:"Kaugummi verklebt den Magen!"

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Was ist dran an Weisheiten wie "Vom Schielen bleiben die Augen stehen" oder "Nicht mit vollem Bauch schwimmen"?

Violetta Simon

Ist es nicht gut zu wissen, was eigentlich dran ist an den Ermahnungen, mit denen einen die Eltern jahrelang gepiesackt haben? Ralph Caspers (seit 1999 tätig für "Die Sendung mit der Maus" und Moderator der Sendung "Wissen macht Ah!") ist den Sprüchen auf den Grund gegangen und hat seine Erkenntnisse in einem Buch veröffentlicht. sueddeutsche.de hat eine kleine Auswahl der Elternregeln aus dem Buch "Scheiße sagt man nicht!" - mit freundlicher Genehmingung des Rowohlt Verlags - zusammengestellt:

Sowas bleibt nur, wenn es bereits da war. (Foto: Foto: iStockphotos)

"Wenn man schielt, bleiben die Augen so stehen!" - stimmt nicht.

Das Gerücht mag entstanden sein, weil jemand zum Beispiel im Überschwang einer Geburtstagsparty schöne Fratzen schnitt - und sich die Eltern hinterher erinnerten: "Das Kind schielt seit der Feier zum dritten Geburtstag."

In allen derartigen Fällen haben Augenärzte aber feststellen können, dass der Strabismus (das Schielen) schon vorher bestand. Er fiel den Eltern nur halt zum ersten Mal beim wilden Wettschielen der überzuckerten Geburtstagsgäste auf.

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"Kaugummis verschlucken verklebt den Magen!" - stimmt nicht.

Nicht verdaulich, aber unschädlich: Kaugummi. (Foto: Foto: iStockphotos)

Einen Kaugummi zu verschlucken, ist absolut unbedenklich. Kaugummis bestehen aus Kaugummibase (dafür gibt es über 200 Rezepte), Zucker oder Süßstoff, Mais-Sirup, Aromastoffen und Zusätzen, welche die Kaumasse geschmeidig machen.

Sie sind zwar unverdaulich, aber Nichtverdauliches in kleinen Mengen verlässt den Magen durch den Darm und landet ganz einfach im Klo.

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"Mit vollem Magen darf man nicht schwimmen gehen!" - stimmt nicht ganz.

Mit vollem Bauch ist der Spaß am Schwimmen nur halb so groß. (Foto: Foto: iStockphotos)

Ist das Essen im Bauch etwa so schwer, dass man sinkt, als hätte man Steine im Magen? - Nein.

Oder drückt das Wasser den Magen so dermaßen zusammen, dass einem ganz schlecht wird? - Nein, auch nicht.

Es ist ganz einfach - nach dem Essen ist der Körper viel zu träge, um Höchstleistungen zu vollbringen. Er möchte sich viel lieber erst mal ausruhen und eine Weile vor sich hin verdauen.

Man kann also schon mit vollem Bauch schwimmen gehen, aber es ist ganz schön anstrengend für den Körper und wird deshalb auch nicht so richtig Spaß machen. Und besonders schnell wird man auch nicht gerade sein. (Das Gleiche gilt übrigens auch fürs Fahrradfahren und überhaupt für alles, außer Rumliegen.)

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"Der frühe Schlaf ist der gesündeste!" - stimmt. "Der Schlaf vor zwölf zählt doppelt!" - stimmt nicht.

Wann man müde wird, hängt vom Ticken der inneren Uhr ab. Sie steuert auch den Schlafrhythmus. Empfohlen werden mindestens fünf, aber auch bis zu elf Stunden Schlaf pro Nacht. In einem ersten Schlafzyklus von etwa vier bis fünf Stunden werden die Wachstumshormone ausgeschüttet, die für die Regeneration der Zellen sehr wichtig sind. In dieser Tiefschlafphase ist der Schlaf am erholsamsten. "Der frühe Schlaf ist der gesündeste" - das stimmt also.

Doch vor Mitternacht muss er nicht erfolgen. Man kann ja leicht nachrechnen: Um acht geht die Schule los, spätestens um sieben muss man aufstehen, bei satten zehn Stunden Schlaf kommt man da auf eine Bettzeit von neun Uhr abends, und der "frühe Schlaf" - die ersten vier Stunden - ziehen sich von neun bis ein Uhr nachts. Würde man "Der Schlaf vor zwölf zählt doppelt" wörtlich nehmen, käme man mit einer Schlafenszeit von acht Uhr abends bis Mitternacht beinahe aus. Klappt aber nicht.

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"Nicht mit nassen Haaren rausgehen, sonst erkältet man sich!" - stimmt nicht.

Schnupfen wird nicht durch Kälte verursacht, sondern durch Viren. Es ist allerdings so, dass Nässe auf der Haut oder Kopfhaut verdunstet und unseren Körper kühlt. Das ist wie Schwitzen, obwohl der Körper gerade gar nicht schwitzen will. Im Sommer kann es daher sogar angenehm erfrischend sein, mit nassen Haaren rauszugehen.

Was uns allerdings auch zu dem Körnchen Wahrheit bringt, das in dieser Regel steckt: Friert man stark, ist das anstrengend für den Körper. Und hustet einem dann die beste Freundin bei der Verabschiedung einmal kräftig ins Gesicht, wird man leichter krank als sonst. Also: Sich im Winter angemessen warm anzuziehen, ist schon richtig.

Die Erkältungsviren selbst lieben es übrigens lustigerweise warm (wie in der Nase), nicht kalt: In der Antarktis gibt es so gut wie keine Erkältungen, weil die Viren in der kalten Luft dort nicht überleben können.

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"Nicht den Joghurtdeckel ablecken!" - stimmt nicht.

Solange man sich dabei nicht in die Zunge schneidet - warum nicht? (Foto: Foto: iStockphotos)

Der Mensch scheidet 99 Prozent des Aluminiums, das er zu sich nimmt, über die Nieren wieder aus. Außerdem nehmen wir viel mehr Aluminium über die Nahrung auf als aus Joghurtdeckeln, selbst wenn man sie sehr gründlich sauber leckt.

Es gibt also nur einen einzigen Grund, den Joghurtdeckel nicht abzulecken: Weil ganz ungeschickte Kandidaten es tatsächlich schaffen, sich mit dem Rand in die Zunge zu schneiden.

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"Kaffee und Cola sind nichts für Kinder, weil da Koffein drin ist!" - stimmt nicht ganz.

Geringe Mengen Koffein - ein Glas Cola zum Beispiel - sind kein Problem. Was viele nicht wissen, ist, dass Koffein nicht nur in Cola und Kaffee (den wegen seines bitteren Geschmacks ja sowieso kaum ein Kind mag) stecken, sondern auch in Tee, Schokolade, Kakao, Energy Drinks und Energiebonbons.

Versuche mit Spinnen ergaben, dass die unter Koffein ihre Fäden nur noch wild durch die Gegend spannen, statt ein anständiges Netz zu bauen. Es kann also gut sein, dass man zwar etwas wacher wird von Cola, sich aber nicht unbedingt besser konzentrieren kann.

Manche Leute - Kinder wie Erwachsene - können nach Cola schlechter einschlafen, bei anderen ist es egal. Manche werden nervös und zittrig von Koffein, andere nicht. Da die Wirkung auch vom Körpergewicht abhängt, ist klar: Kinder und Jugendliche vertragen auf alle Fälle weniger Koffein als Erwachsene.

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"Nicht den Rotz in der Nase hochziehen!" - stimmt nicht.

Ist appetitlicher, aber bei Schnupfen nicht immer zu empfehlen: kräftig schneuzen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Hochziehen mag sich eklig anhören, ist aber super, das sagen sogar Wissenschaftler. Sie haben herausgefunden, dass beim Schnäuzen der Druck in den Nasenhöhlen um das Zehnfache ansteigt. Und dadurch werden große Mengen krank machender Viren in die Stirnhöhle gepresst, wo sie nichts zu suchen haben.

Außerdem ist diese Regel schon deswegen kein großer Wurf, weil man den Schleim sowieso gar nicht hochzieht, sondern bloß nach hinten in den Rachenraum schnieft. Dann kann man ihn wahlweise hinunterschlucken oder ausspucken. Letzteres sieht vor allem bei Cowboys und Bauarbeitern sehr professionell aus, Eltern gefällt es allerdings nur selten.

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"Nicht ins Schwimmbecken pinkeln!" - stimmt nicht.

Nicht jeder pinkelt heimlich in öffentliche Gewässer ... (Foto: Foto: iStockphotos)

Urin an sich ist beim gesunden Menschen steril, erst in der Harnröhre werden Keime hineingestrudelt: Ins Schwimmbecken zu pinkeln, ist vielleicht eklig, aber nicht gefährlich. Ohnehin fasst die Harnblase nur etwa 150 bis 500 Milliliter Flüssigkeit. Wenn man zum Beispiel eine Flasche Cola ins Schwimmbad kippt, hat sich innerhalb weniger Minuten die Flüssigkeit verteilt, und von der schwarzen Farbe ist nichts mehr zu sehen. Genauso ist es mit Urin.

Das Wasser in öffentlichen Schwimmbädern enthält außerdem Chlor, einen Stoff, der Keime abtötet, und wird über eine Umwälzanlage gereinigt. Die Normwerte für die Wasserqualität dort sind sehr streng. Selbst im Kinderbecken droht also keine Gefahr. Man glaubt nur, dass es aus reinem Pipi bestünde, weil es so pipiwarm ist.

Also: keine Gefahr, Wasser marsch!

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"Sport hilft gegen Muskelkater!" - stimmt nicht.

Wenn's zieht und zwickt, hilft sorgfältiges Dehnen. (Foto: Foto: iStockphotos)

Wer die Muskeln weiter beansprucht, nimmt den Schmerz während der Bewegung zwar eventuell weniger wahr. "Aber wenn man vom Fahrrad absteigt, ist der Muskelkater wieder da", betont Hans-Joachim Appell, Professor für Funktionale Anatomie an der Sporthochschule Köln. Bisher haben Wissenschaftler noch kein Mittel gefunden, das die Dauer des Muskelkaters verkürzt.

Das Einzige, was möglicherweise Linderung verschafft, so Appell, sind Wärme oder Saunagänge. Die Annahme, Muskelkater zeige an, wie gut man trainiert habe (und wer keine Schmerzen leide, werde auch nicht besser), ist inzwischen ebenfalls überholt.

Die Textauszüge wurden dem Buch "Scheiße sagt man nicht!" von Ralph Casper entnommen. Copyright © 2007 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, 224 S, € 8,95 / sFr 16,80, zahlr. s/w Abb., Tb, ISBN 978-3-499-62212-0.

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