Eine Woche ohne ... Geld:Gast in einer unbekannten Welt

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Die Finanzkrise trifft uns alle, vielleicht werden wir bald pleite sein. Aber wie ist das eigentlich, kein Geld zu haben?

Jürgen Schmieder

Wir haben eine Finanzkrise. In dieser Minute wird unser Geld verbrannt. Verbrannt. Vor unseren Augen. Die Kurve der weltweiten Aktienindizes ähnelt einer Abfahrt bei der Tour de France, die Wirtschaft wird bis mindestens Ende 2009 stagnieren, Jobs sind in Gefahr. Irgendwann werden wir, also die meisten, nicht mehr viel Geld haben. Der Schriftsteller Kurt Tucholsky schrieb einmal: "Volkswirtschaft ist der Zeitpunkt, an dem die Leute anfangen, darüber nachzudenken, warum sie so wenig Geld haben." Nun ja, es sieht so aus, als wäre dieser Zeitpunkt nun gekommen.

Eine Woche ohne Geld: Man kommt sich vor wie ein Gast in einer anderen Welt. (Foto: Foto: Istock)

Eigentlich sollte dieses Experiment unter dem Motto einer neuen Serie stehen: "Abschalten, wir leben eine Woche ohne ..." Es sollten kleine Versuche gestartet werden, ob es denn möglich ist, eine Woche lang mal keine E-Mails zu checken, nicht in den Spiegel zu sehen, keine Schimpfwörter zu benutzen. Lustige Selbstversuche mit dem Ziel, aus dem eigenen Leben ein wenig Stress zu nehmen, zu relaxen - und einfach mal abzuschalten. So sollte auch die Woche ohne Geld werden, doch nun ist es zu einem Ausblick geworden, wie es tatsächlich in ein paar Monaten sein könnte.

In Vorlesungen der Betriebswirtschaft betonen Professoren gerne, dass mit steigendem Reichtum nicht zwangsläufig Zufriedenheit und Nutzen erhöht würden. Das bedeutet, dass der Mensch trotz einer Gehaltserhöhung immer noch neidisch auf Mitmenschen blickt - und immer mehr möchte. Im Umkehrschluss müsste das aber auch heißen, dass es einen nicht fertigmachen sollte, wenn man weniger hat. Bleibt die Frage: Wie ist es, wenn man eine Woche lang gar nichts hat?

Der Bankbeamte jedenfalls war erstaunt, als da jemand bei ihm anrief, der einmal nicht wissen wollte, ob sein Bausparer sicher sei oder die Rentenversicherung oder sein dynamischer Hedgefonds. Der Anrufer will nur, dass sein Konto gesperrt wird. Er vermutet zunächst eine unbezahlte Rechnung oder eine ungebührliche Forderung eines Klingeltonanbieters. Aber es ist möglich, das Konto wird gesperrt, die Kreditkarte von der Frau an einen sicheren Ort gebracht. Es sei noch gesagt, dass Miete und Strom bereits abgebucht waren, die Heizung jedoch abgestellt wurde.

Der Mann, der an der U-Bahn-Haltestelle die Zeitschrift Biss verkauft - die Publikation der Bürger in sozialen Schwierigkeiten -, ist von der Idee wenig begeistert: "Sie wohnen immer noch in einem warmen Haus und wissen, dass Sie bald wieder ein Auto fahren werden. Das wahre Gefühl werden Sie so nicht erfahren." Er sieht mich dabei an wie ein österreichischer Bergführer, der seiner Gruppe erklärt, dass sie eben nur Touristen hier sind und niemals Ahnung von den Bergen haben werden. Man ist einer, der die Touristen-Tour auf den Mount Everest macht und sich die Rucksäcke von einem Sherpa tragen lässt.

Wenn man ohne Geld lebt, erhalten Dinge plötzlich einen Wert, man betrachtet sie aufmerksamer. Eine Dose Thunfisch kostet 89 Cent, eine U-Bahn-Fahrt in München 2,20 Euro, der Eintritt in die Alte Pinokothek drei Euro. Man bleibt stehen und denkt darüber nach, wofür man Geld ausgibt, wie schnell man das tut und warum. Ist es wirklich den Spaß wert, beim Online-Pokern 20 Euro zu verzocken? Schmeckt der Billig-Thunfisch genauso gut wie der teure? Lohnt sich wirklich eine Taxifahrt, obwohl man nur fünf Minuten dadurch gewinnt? Das Leben verlangsamt sich auf unangenehme Weise.

Wie soll man die Praxisgebühr bezahlen, wenn man kein Geld in die Hand nehmen darf? Im Wartezimmer ist keiner bereit, zehn Euro zu spenden, auch die Sprechstundenhilfe zeigt sich erstaunlich herzlos - wo sie doch sonst immer so lieb fragt, wie es einem geht. Sie ist nur bereit, eine Rechnung auszustellen, die innerhalb von zwei Wochen bezahlt werden muss. Ansonsten gibt es keine Behandlung. Okay, krank werden darf man nicht wirklich, wenn man kein Geld hat.

In anderen Situationen ist der Erfolg größer: Erstaunlich viele Menschen sind bereit, einem Essen zu spendieren, im Zug kostenlos auf das Bayern-Ticket mitzunehmen oder gar den Eintritt in ein Museum zu bezahlen. Sieben Euro plus fünf Euro plus drei Euro: Insgesamt 15 Euro gespart - innerhalb einer Stunde. Man kommt sich zwar vor wie ein Schnorrer, aber immerhin gibt man kein Geld aus. Einmal will mir eine alte Frau sogar einen Zehn-Euro-Schein in die Jackentasche des Probanden stecken. Die Reaktion: "Nein danke, ich will auch kein Geld in Empfang nehmen." Sie ist verärgert und setzt den Blick auf, den österreichische Bergführer haben, wenn man ihnen sagt, dass die Berge eigentlich gar nicht so toll sind.

Geld prägt den Lebensstil

Der Philosoph Georg Simmel schrieb vor mehr als 100 Jahren in seinem Buch "Philosophie des Geldes": "Indem das Geld alle Mannigfaltigkeiten der Dinge gleichmäßig aufwiegt, alle qualitativen Unterschiede zwischen ihnen durch Unterschiede des Wieviel ausdrückt, indem das Geld, mit seiner Farblosigkeit und Indifferenz, sich zum Generalnenner aller Werte aufwirft, wird es der fürchterlichste Nivellierer, es höhlt den Kern der Dinge, ihre Eigenart, ihren spezifischen Wert, ihre Unvergleichbarkeit rettungslos aus." Geld prägt nicht nur das wirtschaftliche Leben, sondern den gesamten Stil des Lebens. Letztlich bestimmt es sogar, so Simmel, das Tempo des Lebens. Das stimmt.

Die Frage nach dem Wert einzelner Dinge stellt man sich auch nach der Woche. Man nimmt Geld bewusster wahr als vorher, man wirft damit nicht mehr um sich wie ein russischer Millionär im Skiurlaub. Gleichwohl ist man tatsächlich froh, nur Gast in dieser Welt ohne Geld gewesen zu sein. Das zeigt sich bei der nächsten Begegnung mit dem Biss-Verkäufer. Er sagt: "Na, sind Sie glücklich, wieder Scheine in der Tasche zu haben?" Ein Nicken genügt. Er lächelt.

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