Dessous mit Kate Moss:Ein Hauch Frivolität im Alltag

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Früher musste ein BH nur sitzen, fanden deutsche Frauen. Nun wollen sie darunter chic wie Französinnen und Italienerinnen sein. Kate Moss führt solche Modelle vor.

Anne Goebel

Dorothy Parker, die scharfzüngigste aller New Yorker Stilkritikerinnen, hat es auf den Punkt gebracht: "Brevity is the soul of lingerie." Dass in äußerster Knappheit das Wesen von Dessous liegt, stimmt in jeder Hinsicht. Die Trägerin wird die Wäschestücke in bestimmten Situationen nicht besonders lange anbehalten. Die Paßform ist, zweitens, sowieso knapp bemessen. Und drittens sorgt der launenhafte Zeitgeist für rasant wechselnde Moden auf dem Markt der Miederwaren.

Heiße Dessous gibt es auch in diesem Jahr (Foto: Foto: valisere modern)

Mal sind Slips und BHs von unterkühlter Schlichtheit, plötzlich ist Spitze in mädchenhaften Bonbonfarben gefragt, dann wieder münden Filme wie "Moulin Rouge" oder "Marie Antoinette" postwendend im Revival der Corsage mit leise verruchter Schnür-Erotik.

Das Flatterhafte gehört zu Dessous - so wie unverwüstliche Schnittformen zum soliden Mythos Bluejeans gehören. Richtig schöne Wäsche ist: federleicht, überflüssig, sehr teuer. Und morgen womöglich passé. Gerade sind die Kreationen der englischen Marke "Agent Provocateur" in sämtlichen Hochglanzgazetten vertreten. Was zum einen daran liegt, dass sich Kate Moss trendfördernd in den Strumpfhaltern und Satinknickers aus Soho räkelt. Zum anderen gibt es eine neue Entwicklung in den heimischen Wäscheabteilungen: Deutsche Frauen trauen sich langsam mehr.

Wenn die Seide raschelt

"Gute Qualität, wärmt schön": So hört sich die zufriedene deutsche Durchschnittskundin beim Unterwäschekauf an, sagt Nicole Lücke, Redaktionsleiterin des Fachmagazins "Linie international". Schon die Begriffe Schlüpfer oder Büstenhalter klingen eher nach Ausrüstung als nach seidenraschelndem Frou-Frou. "Die Deutschen sehen das immer noch ziemlich pragmatisch und hinken nach", sagt Lücke.

Trendforscher haben ermittelt, dass es deutliche Unterschiede gibt zu den europäischen Nachbarinnen. Natürlich existiert hierzulande ein Markt für hochwertige Dessous, aber die Mehrzahl der Frauen will, dass Wäsche ordentlich sitzt - dass sie möglicherweise sexy aussieht, kommt erst an zweiter Stelle. Bevorzugte Farben: Schwarz, Weiß, Haut. Liebstes Modell: "Ein BH für alles", sagt Nicole Lücke. Glatte Oberfläche, keine Konturen sichtbar, ein Allrounder für Büro und Abendkleid.

Italienerinnen wählen lieber zu jedem Outfit das passende Darunter. Und eine Französin kauft im Laufe ihres Lebens doppelt so viele und ganz andere BHs als eine Deutsche - weil sie weniger am Sitz interessiert ist, sondern an modischen Details, am Spiel mit Formen, Transparenzen. Und wenn sich ein Streifen Spitze unterm Textil abzeichnet, findet das Madame nicht unpraktisch, sondern anziehend. Monsieur wahrscheinlich auch.

Im Trend: transparente BH-Körbchen

Inzwischen greifen immer mehr deutsche Kundinnen zu gewagteren Modellen - Beispiel: transparente BH-Körbchen. Die sind in Spanien Clou jeder Kollektion des Star-Designers Andres Sarda und sind hierzulande zögernd im Kommen. Die neue Entwicklung hat mit der medienkompatiblen Liaison Dessous plus Supermodel zu tun.

Wenn sich omnipräsente Schönheiten wie Heidi Klum in Push Ups und aufreizenden Posen zeigen, befördert das offenbar beherztere Einkäufe. Strahlemädchen Heidi aus Bergisch-Gladbach ist in knapper Kluft berühmt geworden: Das Titelfoto auf der Bademodenausgabe der amerikanischen Zeitschrift "Sports Illustrated" brachte ihr Ende der Neunziger den internationalen Durchbruch.

Die gegenseitige Vermarktung von Mannequin und Marke produziert regelmäßig Erfolgsgeschichten. Eva Padberg aus Thüringen wird 2001 ziemlich bekannt in Manhattan, als sie für die Firma Palmers auf fünf mal zehn Meter großen Plakaten ihre bestrapsten Beine zeigt - Verkehrskollaps inklusive.

Karambolagen am Times Square und Piccadilly Circus in London hatte neun Jahre zuvor schon die bis dato unbekannte Blondine Eva Herzigova aus Tschechien provoziert, deren großformatig plakatiertes Dekollete ("Hello, boys") die Modellierungskunst von Wonderbra unter die Leute brachte.

Ein Fall für Hollywood

Kate Moss trägt heiße Dessous (Foto: Foto: screengrab)

Italienische Autofahrer lieferten sich halsbrecherische Aufholjagden, als 1995 eine gewisse Michelle Hunziker in praktisch textilfreier Rückansicht als "Ragazza dell'anno"' für den Wäscheproduzenten Roberta auf Lastwagenplanen prangte; das alljährlich mit Starmodellen besetzte Fotoshooting des Labels Victoria's Secret, von Hollywood hartnäckig vergöttert, ist sowieso immer gut für maximalen Medienalarm.

Und nun also Kate Moss, die für den lasziven Charme von "Agent provocateur' posiert. Zur Kollektion zählen Strasspeitschchen und Fesseln aus Satin; Nicole Kidman und Christina Aguilera gehören zur geneigten Kundschaft; und Gründerin Serena Rees erzählt gern die erfrischende Geschichte von den vielen Frauen, die ihr schreiben: "Wow, ich bin wegen deiner Wäsche schwanger geworden!"' Die PR-Maschinerie läuft, vergangenes Jahr wurden die ersten zwei Läden in Deutschland eröffnet.

Der Flirt mit dem Fetisch ist seit jeher ein Merkmal von Dessous, deren Grenze zur früher penibel separierten "Reizwäsche"' heute fließend ist. Nicht erst die geschäftstüchtigen Provokateure aus London spielen in ihren sündteuren Kreationen auf Attribute schwüler Boudoir-Phantasien an.

Eine sexy Inszenierung

Darum geht es ja: Aufwändige Wäsche soll sexy sein und ist nicht dazu da, den Körper zu bekleiden, sondern ihn zu inszenieren. Dass das mit halbseidener Käuflichkeit nichts zu tun hat, ist für Frauen in Frankreich oder Italien sonnenklar - hierzulande überwiegt, das zeigen die Verkaufszahlen, die artige Sorge, bloß nicht anzüglich zu wirken.

"Eine ganz andere Beziehung zur eigenen Weiblichkeit' nennt es Nicole Lücke, wenn Italienerinnen morgens selbstverständlich in hübschen Unterstücken das Haus verlassen, bei entsprechendem Konto gern von der landeseigenen Nobelmarke La Perla. "Die machen das ja nicht, weil sie davon ausgehen, sich mittags vor ihrem Chef auszuziehen." Vielmehr gehe es um Freude am eigenen Körper, um Bewusstsein für persönliche Vorzüge, die gern unterstrichen würden.

Dazu gehört das Spiel mit der Koketterie - die schon in den Namen der französischen Kultlabels steckt: "Princesse Tam Tam" zitiert einen delikaten Film mit Josephine Baker. "Fifi Chachnil" offeriert Negligés und Balkonette-Modelle, während Altmeisterin Chantal Thomass ihre Schnürstücke auf Fotostrecken gern als unterkühlt erotische Standbilder in Szene setzt.

Verkaufsschübe bekommt die vergleichsweise kleine Dessous-Branche von den großen Trends. Wenn die Laufstege "transparent" oder "ultrakurz" vorgeben wie in diesem Sommer, rückt die Wäsche ins Blickfeld. Dazu die fulminante Rückkehr der Corsage, einst verachtetes Sinnbild der Knebelung, vom neuen Feminismus als Zeichen für weibliches Selbstbewusstsein interpretiert, und der anhaltende Trend zum sogenannten Lingerie-Stil: Figurbetonte Wäschetops, geknöpfte Mieder bleiben 2007 in Mode - ein Hauch frivolité im Alltag, geschneidert für längere Tragezeit als Mrs. Parkers flüchtige "brevity".

Was nicht bedeutet, dass die Luxusware Dessous gänzlich entzaubert würde. Aber Frauen tragen sie nicht mehr bloß, um vom Partner schön gefunden zu werden. Früher, sagt Nicole Lücke, gab es zwei Gründe, warum Frauen Wäsche kauften: "Frisch verliebt oder Liebeskummer. Heute gibt es einen dritten: Um sich selbst zu gefallen." Was noch lange nicht heißt, dass der Reiz des Verborgenen und seiner eventuellen Enthüllung verloren geht. Dessous bleiben, was sie auf deutsch heißen: darunter. Wer sie zu sehen bekommt, bestimmt die Frau.

(SZ vom 29.1.07)

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