Der Stil der National-Elf:Tag und Nacht

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Bei offiziellen Terminen sehen die Helden unserer National-Elf aus wie gestandene Männer. Privat geht das Styling bisweilen daneben.

Miriam Stein

Es war einmal eine Gruppe von elf Männern. Die spielten gemeinsam Fußball für Deutschland. Diese Männer hatten kräftige behaarte Beine, voluminöse Frisuren, die ihre Häupter beim Köpfen polsterten, und Oberlippenbärte, die das Nuscheln in den Interviews erklärten. Auf dem Platz arbeiteten sie ehrlich und hart, und manchmal gewannen sie ein großes, internationales Turnier.

Diese Männer schwitzten und schimpften, rangelten und sprühten vor Teamgeist, stets vereint in Sieg oder Niederlage. Abseits vom Platz sahen sie aus wie der Grundschulhausmeister von nebenan. Ihre Zivilkleidung war zweitrangig, denn ein Weltmeister hatte damals nur im Trikot auf dem Rasen zu strahlen.

Die Zeiten haben sich geändert. Erfolg ist heute auch auf den Nebenschauplätzen des Stadions erotisch. "Fußballer sind die neuen Gladiatoren. Spieler wie Figo, Beckham oder Ronaldo verkörpern ein neues maskulines Idealbild. Sie verbinden Stärke, Sport und Eleganz", findet der Designer Armani.

Auch der deutsche Fußballer im 21. Jahrhundert sieht aus wie ein Star, die Erinnerungen an "Fußballermatte und Porno-Hobel" verblassen im globalen Glanz eines Ballacks oder Klinsmanns. "Ereignisse im Fußball tangieren dieser Tage alle Lebensbereiche - Politik, Wirtschaft, und natürlich auch Entertainment", kommentiert 11-Freunde-Redakteur Tim Jürgens die Veränderungen im Erscheinungsbild der Fußball-Nationalmannschaft. "Noch 1965 zapfte Willi Schulz Bier hinter der Theke.

Auch Gerd Müller schuftete halbtags, um sich zu seinem kargen Gehalt von 500 D-Mark plus Prämien, das niemals die Obergrenze von 1200 DM überschreiten durfte, etwas dazuzuverdienen. Entsprechend sahen die Typen auch aus", sagt Jürgens. Von ihrem streng festgelegten Lohn hätten sich die "Lizenzspieler" aus den Kindertagen des Profifußballs noch keine Armani-Anzüge leisten können.

Ein halbes Jahrhundert später erlaubt ein Profivertrag jungen Männern wie Kevin Kurányi, FC Schalke- 04-Stürmer und Nationalspieler, seinem Hobby ungehindert nachzugehen: Shoppen. "Für mich ist Aussehen sehr, sehr wichtig. Ich mag es, mich zu pflegen. Dazu gehört, dass ich meine Haare mache, wenn ich rausgehe, und dass ich was anhabe, das ich mag und das zu mir passt", sagte Kurányi im April der Zeitschrift Bunte.

Sogleich versah ein Redakteur das Bild, auf dem Kurányi eine Kappe mit burlingtonähnlichem Muster, passendem Schal und Holzfällerhemd trägt, mit den Worten "Kevin Kurányi - Der deutsche Beckham?"

Enormes Stilinteresse mit katastrophalen Ergebnissen

Für die jungen Fußballprofis scheint Stil ein Synonym für "teuer" und "kreischbunt". Bastian Schweinsteiger, in München am Ball, bezeichnet sich auf seiner Homepage als "legeren Typ" mit "Jeans und Hemd", außerdem sammelt er Turnschuhe und Schals. Neulich schockierte Schweini einen Fan, der sich in einem Internet-Forum Luft machte: "Seine ganzen Kumpels, wie er selber auch, waren als pseudo Hip-Hop- Gangster angezogen, mit fetten Ketten usw. Sein krass aufgesetzter Gangsta-Slang erweckt den Eindruck, dass er sich wirklich wie der King fühlt und ein paar Leute um sich sammelt, die ihm das Gefühl vermitteln sollen."

Lukas Podolski, auch auf der Gehaltsliste von Bayern, mag Jeans, Calvin-Klein-Unterhosen, Hip-Hop-Mützen. Hemden und bunte Shirts sind nicht sein Ding. Wer mag's ihm verübeln: Sein perfekt geformter Obliquus Externus Abdominis (äußerer schräger Brustmuskel) und geradezu lehrbuchmäßiger Rectus Abdominis (gerader Bauchmuskel) unter einem gloriosen Pectoralis Major (großer Brustmuskel) überstrahlen Kollege Schweinsteigers laut bedruckte Shirts. Was prangte da neulich auf Schweinis Brust? Chinesische Schriftzeichen? Die Göttin Shiva? Keltische Stammesmotive? Und waren das Strasssteine neben der Dornenkrone des Gekreuzigten?

Diesen Stil hat der Designer Christian Audigier in Häusern wie Diesel und Von Dutch populär gemacht. Audigier mischt auch beim Label Ed Hardy mit. Die Vintage-Tattoo-Kollektion des kalifornischen Labels hat es Fußballern besonders angetan: Schweini bekennt sich zu Ed Hardy, zu dessen frühen Fans auch David Beckham zählte.

Mode scheint ein Thema für die jungen Nationalspieler, doch der Einsatz der Markenprodukte wirkt bestenfalls unbeholfen. Abgeguckt bei männlichen Ikonen? Wohl kaum. "Die Erscheinung von Boygroups und Hip-Hop-Größen beeinflusst den Stil der jungen Fußballer in dieser Generation so wie früher ein Kommissar Schimanski", erklärt Tim Jürgens das enorme Stilinteresse mit teils katastrophalen Resultaten.

Auf der nächsten Seite: Geld allein macht noch keinen Stil...

"Talente werden mittlerweile ab 10, 12 Jahren auf ihre Karriere vorbereitet. Eine eigene Persönlichkeit auszubilden, bleibt da auf der Strecke. Die Jungs haben kaum noch Verbindung ins normale Leben. Das Prinzip Realschule und Bäckerlehre, wie noch bei Klinsmann, wird immer seltener." Für Jürgens ist Fußball so populär geworden, dass die Spieler selbstredend längst Popstars sind, "und wie Popstars wollen sie natürlich auch aussehen".

Kevin Kurányi: mit gepflegten Haaren und Bärtchen. Sein Aussehen ist ihm "sehr, sehr wichtig". (Foto: Foto: Reuters)

Die Vereinigung von Fußball und Mode nimmt seltsame Züge an: Werder-Spieler Torsten Frings hat letztes Jahr zusammen mit dem Label IC!Berlin seine erste eigene Sonnenbrille entworfen - rahmenlos, aus Chrom; in den Neunzigerjahren war sowas todschick. Name: XXII, Preis: 300 Euro. Die Zweiundzwanzig ist Frings Schicksalsnummer, Geburtstag, Tattoo und Trikotnummer.

Ein Nationalspieler bringt Anerkennung über ein ganzes Land. Daher muss er, wenn die Welt ihm vor den Fernsehern zuschaut, natürlich ordentlich aussehen. Bei der National-Elf kümmern sich Adidas und seit 2006 auch Strenesse um die Verpackung der Kraftpakete. Zehn Tage vor dem EM-Anpfiff findet ein Fitting für die neuen repräsentativen Outfits der Nationalmannschaft statt. Der Anspruch an das Gesamterscheinungsbild ist groß, schließlich spielen die deutschen Jungs weltklasse, wenn auch dieses Jahr nur in Europa. Die edlen Anzüge werden für jeden Spieler maßgeschneidert.

Für die Fotos wurde der kanadische Musiker und Fotograf Bryan Adams verpflichtet. Der kam Ende April nach München, um die Foto-Ausstellung "Männer zeigen Strenesse" im Haus der Kunst zu eröffnen; wenn einer wie Adams die Kamera in die Hand nimmt, dann muss der Rahmen stimmen. Die Resultate können sich sehen lassen: Auf minimalistischen Schwarzweißbildern wird das Starpotential eines jeden Spielers vor einem weißem Hintergrund in Szene gesetzt, mal casual in Jeans und Pullover, mal klassisch im schwarzen Anzug mit weißem Hemd. Podolski darf sogar ganz sich selber sein: Jeans mit Jackett, plus Brustpanzer au naturel.

Wenige Tage später geht es im Lässig-Look von Strenesse ins Trainingslager nach Mallorca. Die Blousons und passenden Bügelfalten-Hosen in Grau flirten mit dem Stil amerikanischer Work-Wear. Auf der Gangway gibt es ein Gruppenfoto, die Herren winken fröhlich in die Kamera. In einen jungen Mann mit zu Stacheln geformten, blond gestreifen Haaren namens Marko Marin verliebt sich das Land auf Anhieb.

Eine Frisur namens "Klobürste"

Mit 19 Jahren ist er der Wildfang beim Aufsteiger Borussia Mönchengladbach. Und schon erhofft sich Deutschland, Zeuge einer weiteren Fußball-Supernova zu werden - Marin als neuer Odonkor der EM 2008?

Aber das Schicksal spielt nicht mit. Regen strömt vom Himmel. Nicht alle Anwärter auf Deutschlands Nationalmannschaft machen beim Basketball-Training eine gute Figur - und Marko Marin ist mit seinen 1 Meter 70 einfach zu klein. Die Weißrussland-Challenge: auch nur halbgut gelöst. Der Anblick erinnert ein wenig an Heidi Klums prollige Sendung, in der ambitionierte weibliche Berufseinsteiger um ihren Traumjob kämpfen. Für Marko Marin hat es am Ende leider nicht gereicht; ob er zum Trost wenigstens die Designer-Outfits behalten darf?

Verlassen die Fußballprofis die von Vereinen und DFB kontrollierten Zonen, werden aus den Helden der Arena Männer um die Zwanzig, die genug Geld haben, ihren gesellschaftlichen Status außerhalb des Platzes ebenfalls zur Schau zu tragen. Dummerweise macht Geld allein noch keinen Stil - und ohne Unterstützung von Strenesse und Adidas sehen die Jungs aus wie Provinzteenager. Diese scheint ihr Bild in der Öffentlichkeit aber nicht sonderlich zu interessieren - sie beweisen eher Durchhaltevermögen in Sachen Stillosigkeit.

Selbst die Tatsache, dass zur letzten WM ein englischer Klatschreporter Bastian Schweinsteiger aufgrund seiner Frisur als "Klobürste" bezeichnete, brachte keinerlei Veränderung. Herr Schweinsteiger experimentiert, ganz Fußballer-Klischee, immer noch mit seinen Haaren. "Mir ist ein Typ, der aussieht wie Schimanski und sich auf dem Platz krumm macht, lieber als einer, der gut aussieht und vor Eitelkeit das Tor vergisst", sagt Jürgens.

Julie Burchill, Kolumnistin im Guardian, schrieb schon im Jahr 2000, dass nichts unterhaltsamer sei, als gelegentlich einen Blick auf die Beckhams zu werfen, die ja gewissermaßen die Vorfahren aller Schweinis und Poldis sind. "Wie langweilig wäre eine Welt, in der es nur nette, stilsichere Paare wie Chris Martin und Gwyneth Paltrow gäbe?", fragt Julie Burchill.

"Mode hat mir schon immer Spaß gemacht. Mein Vorbild als Junge war der englische Fußballspieler Bryan Robson, als Typ habe ich immer Steve McQueen verehrt", sagte David Beckham der New York Times annlässlich der WM 2002. Mittlerweile hat er an Stilsicherheit zugelegt: Seit nunmehr sechs Jahren sucht "Becks" die repräsentativen Anzüge der englischen Fußball-Elf für große Turniere aus - zuletzt für die WM 2006 in Deutschland. Das zeigt: Geschmack ist nicht käuflich, aber er ist erlernbar. Es gibt noch Hoffnung für Schweini, Poldi und Co.

© SZ vom 07.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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