Dem Geheimnis auf der Spur:Das verschwundene Grab

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Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen ließ Karls Gebeine in diesem prächtigen Schrein verwahren. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Die Gebeine Karls des Großen liegen im Aachener Dom in einem Schrein, doch die Grabstätte des Kaisers suchen Archäologen vergeblich.

Von Hans Holzhaider

Septimo, postquam decubuit, die, sacra communione percepta, decessit- er starb, nach Empfang der Heiligen Kommunion, am siebten Tag, nachdem die Krankheit ihn aufs Lager gestreckt hatte. So beschreibt Einhard, der fränkische Gelehrte, Leiter der Hofschule Karls des Großen, den Tod seines Herrn. Es war der 28. Januar Anno Domini 814. 47 Jahre lang hatte Karl über ein Reich geherrscht, das zuletzt von den Pyrenäen bis zur Ostseeküste, von der Bretagne bis ins heutige Ungarn reichte. Karl war, für seine Zeit, hochbetagt, 70 oder 72 Jahre alt - sein genaues Geburtsdatum steht nicht fest. Wie seit vielen Jahren hatte er den Winter in seiner Pfalz in Aachen verbracht. Er liebte die heißen Schwefelquellen, die er, der Legende nach, selbst unter den Ruinen der einstigen römischen Thermen wiederentdeckt hatte. Aber in jenem Winter halfen auch die heißen Bäder nichts mehr, auch nicht das Fasten, das sein Leibarzt ihm verordnet hatte. Das Atmen fiel ihm schwer, er hatte Schmerzen in der Brust - wahrscheinlich war es eine Rippenfellentzündung, die den Kaiser dahinraffte.

Vermutlich haben Mönche das Grab unkenntlich gemacht, um es vor den Normannen zu schützen

Der mächtigste Mann Europas war tot: Wurden Boten ausgesandt, um die Großen des Reichs zusammenzurufen? Kam vielleicht der Papst aus Rom, Leo II., der ihn 14 Jahre zuvor zum Kaiser gekrönt hatte? Wurde ein mächtiges Grabmal errichtet, aufwendige Trauerfeiern zelebriert?

Nichts dergleichen geschah. "Noch am gleichen Tag, an dem er starb", so berichtet sein Biograf Einhard, wurde Karl beigesetzt. "Zuerst wusste man nicht, wo man ihn bestatten sollte, da er selbst keine Anweisungen darüber hinterlassen hatte. Schließlich stimmten alle zu, dass er nur in der Kirche ehrenvoll beigesetzt werden könne, die er selbst aus Liebe zu Gott und unserem Herrn Jesus Christus und dessen Mutter, der Heiligen und ewigen Jungfrau, in Aachen auf eigene Kosten hat erbauen lassen."

Die Kirche, die der Kaiser zu Ehren der Jungfrau Maria errichten ließ, steht noch heute: ein achteckiger Kuppelbau, für den er Marmor aus Carrara und antike Säulen aus Ravenna über die Alpen transportieren ließ. Sie bildet das Kernstück des Aachener Doms. Nach dem Grab Karls des Großen haben Generationen von Archäologen bis heute vergebens gesucht.

Nach der eiligen Beisetzung habe man über dem Grab einen goldenen Bogen errichtet, schrieb Einhard, mit einem Bild des Kaisers, und der Inschrift: "In diesem Grab ruht der Körper Karls, des großen und rechtgläubigen Kaisers, der das Reich der Franken ruhmvoll vergrößert und 47 Jahre lang erfolgreich regiert hat." Aber als Otto der Große 186 Jahre später Karls Grab aufsuchen wollte, war da kein goldener Bogen mehr. Historiker vermuten, dass Mönche des Klosters Stavelot bei Lüttich das Grab unkenntlich gemacht hatten, um es vor den marodierenden Normannen zu schützen, die raubend und plündernd den Rhein aufwärts zogen. Erst nach dreitätiger Suche habe Otto das Grab gefunden, berichtet Otto von Lomello, der erste Schwertträger des Kaisers, in der Chronik von Navalese. Karl habe auf einem Hochsitz gesessen, als ob er lebe; eine Krone auf dem Haupt, ein Szepter in den Händen. "Von seinen Gliedern war bis dahin nichts durch Verwesung vernichtet, nur von seiner Nasenspitze fehlte ein kleines Stück, was der Kaiser durch Gold ergänzen ließ."

Eine ziemlich unglaubhafte Geschichte. Wie hätte Karls Gefolge in nur einem Tag den Körper einbalsamieren und eine Gruft für eine prunkvolle Sitzbestattung errichten sollen? Weitere 165 Jahre später, im Jahr 1165, ließ Friedrich Barbarossa das Grab, das er "kraft göttlicher Inspiration" wiederentdeckt hatte, abermals öffnen. Von einer goldenen Nasenspitze ist jetzt nicht mehr die Rede, nur von den Gebeinen, die in ein mit Elefanten verziertes Seidengewebe gehüllt waren. Er nahm die Gebeine aus dem Grab und barg sie in einem hölzernen Schrein auf dem Allerheiligenaltar der Marienkirche. Wieder 50 Jahre später bettete Friedrich II. Karls Gebeine ein letztes Mal um - in den prächtig vergoldeten Karlsschrein, der bis heute in der Chorhalle des Aachener Doms steht.

Die sterblichen Überreste Karls des Großen also hat man - aber das Grab? Wo ist das Grab? "In ea basilica", in der Aachener Marienkirche, wie Einhard behauptete, ist es jedenfalls nicht.

Das achteckige Kirchenschiff und der umlaufende Säulengang ruhen auf gemauerten Jochen. Unter diesen Jochen stießen Archäologen vor hundert Jahren auf die Überreste der römischen Thermen. Nirgends fand sich ein Hinweis auf eine Grabstätte des Kaisers. Von 2007 bis 2010 durften die Archäologen noch einmal im Untergrund der Marienkirche graben. Dombaumeister Helmut Maintz hatte Sorge, die vor hundert Jahren eingezogenen Eisenträger seien zu schwach für das Gewicht der Kirche. Aber von Karls Grab fand sich auch jetzt keine Spur. Auch die These des früheren Dombaumeisters Leo Hugot, Karl könnte in der westlichen Vorhalle des Doms beerdigt worden sein, ist widerlegt. Dort fand man zwar eine Grabstätte, aber die Backsteine, aus der sie gemauert ist, wurden lange nach Karls Zeit gebrannt. Unter diesem Backsteingrab liegt ein älteres Grab, in dem Keramik aus dem 13. Jahrhundert gefunden wurde. In diesem Grab kann Karl der Große nicht gelegen haben.

"Wenn ich es suchen müsste", sagt Andreas Schaub, der Aachener Stadtarchäologe, "würde ich im Domhof suchen, dem früheren Atrium. Aber es gibt keine Veranlassung, dort zu graben." Man buddelt heute nicht mehr aufs Geratewohl im Boden. Und wer weiß, ob man das Grab überhaupt erkennen würde. "Es wäre ja", sagt Andreas Schaub, "wahrscheinlich einfach nur ein Loch."

© SZ vom 18.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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