Dauerbrenner Jeans:Der Stoff, aus dem die Jugend ist

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Immer wieder auf dem Laufsteg: Jeans. Früher galten sie als Protest gegen das Establishment - heute tragen sie alle, die sich gegen das Altwerden sträuben.

Magda Webering

Letztes Wochenende, bei den Mailänder Modeschauen für Herbst/Winter 2008/9, machte das Luxuslabel Bottega Veneta Furore: Designer Tomas Maier präsentierte in seiner Kollektion für den eleganten Mann von Welt: ausgerechnet die Baggy-Jeans. Eine Hose, die normalerweise so tief getragen wird, dass sie niemanden im Unklaren lässt, wo der Rücken aufhört und der Po-Schlitz anfängt - zu sehen insbesondere bei Hip-Hoppern. Nicht so bei Tomas Maier. Gerade, extrem weit geschnitten, mit überlangem Bein und einem engen, fast schon in der Taille sitzenden Bund. Zur Bottega-Veneta-Baggy-Jeans tragen modisch versierte Herren "Charlie-Chaplin"-Proportionen: weißes Hemd, Strick-Cardigan oder eine maßgeschneiderte Anzugweste, darüber Wollsakko oder Smokingjacke.

Die Baggy-Jeans auf dem Laufsteg von Bottega Veneta erhitzt die Gemüter der Mode-Liebhaber (Foto: dpa)

Neue Jeans? Die gibt´s doch seit über hundert Jahren

Die Jeans ist wieder da - wenn sie denn je weg war -, und Denim zum hundertsten Mal der Lieblingsstoff der Designer. Und zum hundertsten Mal applaudierten die Herren Journalisten und Modeeinkäufer, als ob sie das Blau am Modehorizont zum allerersten Mal erblickt hätten.

Ein paar Tage später, noch immer Mailand, aber nun im Showroom von Prada. Eine Prada-Dame fragt das versammelte Publikum, ob denn bekannt sei, dass Prada auch Jeans macht? Allgemeines Kopfschütteln, nein, ist nicht bekannt, interessant, ja, oh, sehr interessant! Und eh man sich wundern kann, werden in unzähligen Modellen und unzähligen Waschungen Jeans vorgeführt. Warum das alles? Die Lady klärt auf: Prada-Jeans soll es in vier verschiedenen Passformen geben, die dauerhaft im Sortiment bleiben werden. Wer also in einen dieser vier Schnitte passen sollte, hat Glück gehabt, und wird sein Leben lang nicht mehr nach einer anderen Jeansform suchen müssen. Immerhin soll die Prada-Jeans nicht mehr als 200 Euro kosten, was im Vergleich zu anderen Designerstücken fast ein Schnäppchen ist.

Preis und Passform mal beiseite: Was finden die Designer seit Jahrzehnten immer wieder an diesem (aktuell wieder blau gefärbten) Stoff? Objektiv betrachtet, ist er grob, unglamourös und wenig geschmeidig, ja manche Innennaht scheuert auf der Haut und hinterlässt für Minuten tiefe Kerben. Und trotzdem hat es ein so schlichtes Material noch nie so weit gebracht. Wie hat es Ulrich Plenzdorf in "Die neuen Leiden des jungen W." noch gleich formuliert: "Kann sich einer ein Leben ohne Jeans vorstellen? Jeans sind eine Einstellung und keine Hose."

Lesen sie weiter, wie die Jeans entstand und was sie so berühmt gemacht hat.

Die Erfolgsgeschichte einer Arbeitshose

Trockenzustand sehnsüchtig erwartet: die Lieblingsjeans (Foto: Foto: Getty Images)

Am Anfang war der blaue Stoff, der später zum Symbol für Jugend und Freiheit wurde, nicht mehr als ein einfaches, aber verdammt praktisches und widerstandsfähiges Material. Als der nach San Francisco ausgewanderte gebürtige Franke Levi Strauss im Jahr 1873 eine robuste Hose für die Pioniere des amerikanischen Goldrausches entwickelte, dachte er an Männer bei der Arbeit. Das Ergebnis war ein unverwüstliches Beinkleid, gefertigt aus einem extrem haltbaren Baumwollstoff in Sergebindung, den Strauss aus der Baumwollmanufaktur Nîmes einführte. Aus diesem Serge de Nîmes wurde in den USA allmählich die Bezeichnung "Denim" - und 1890 war die erste Markenjeans der Welt, die Levi's mit der Produktionsnummer "501", geboren. Das signifikante rote Fähnchen am linken Rand der rechten Gesäßtasche allerdings wurde erst 1936 entwickelt.

Berühmte Träger

Die Ur-Jeans wurde auch durch Marlon Brando, insbesondere aber durch James Dean weltberühmt, der sie in seinen drei Filmen trug. Ihr prominenter Träger, das Idol der Jugend, verlieh ihr außerdem das coolste Image, das ein Kleidungsstück zu dieser Zeit haben konnte. Jeans wurde zum Stoff, aus dem jugendliche Rebellion war. Es dauerte nicht lange, und Marken wie Lee, Wrangler und Mustang rückten nach. Doch keine konnte mit der 501 konkurrieren.

Mit dem Aufstieg der Hip-Hop-Kultur Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre lernte die Branche, dass man mit Jeans viel machen kann. Sie wurden übergroß gekauft und dann umgeschlagen oder hochgekrempelt, die Nähte wurden aufgetrennt, der Denim verdreht und dann wieder zusammengenäht. Nach dem Vorbild der Punks hat man Jeans ausgewaschen, gebleicht, gelöchert, mit Kugelschreibern und Rasierklingen malträtiert, und durch die Dekonstruktion gleichzeitig zum Alltagskunstwerk erhoben. Ja, der Jeans konnte man alles antun, und ihr doch nie wirklich etwas anhaben.

In dieser Zeit wurde der Markt mit unzähligen Jeansmarken überschwemmt. Auch Diesel und Replay kamen und produzierten die Looks, die auf der Straße geboren wurden. Zeitgleich feierte die erste ernstzunehmende Designerjeans ihr Debüt: Calvin Klein präsentierte 1979 eine Karottenjeans (vorgeführt von der jungen Brooke Shields), die bewirkte, dass Jeans nun schmaler und weiblicher wurden.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Jeans vom Symbol für Jugend zum Symbol für "jung bleiben" wird.

Vom Rebellen-Beinkleid zur Bürokluft

Mit jedem Jahrzehnt und jeder neuen Jugendbewegung ließ sich die Branche etwas Neues einfallen. Und die Jeans hat jeden Wandel gemeistert, denn der Stoff ist wandelbar, aber fast nicht kaputtzukriegen: Skateboarder etwa benötigten Ende der Achziger extraweite und stabile Hosen, um bei ihren waghalsigen Sprüngen nicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt zu werden, und bei Stürzen nicht allzu großen Schaden davonzutragen. Also zogen sie ihre Carhartt-Hosen bis in die Kniekehlen, quasi als Airbag.

Bis Anfang der neunziger Jahre blieb Denim der Jugend vorbehalten. Kaum auszudenken, dass damals jemand eine Jeans im Büro getragen hätte. Es haftete noch immer ein Rest von Dreck, Staub und Rebellion an ihnen.

Was auf den ersten Blick wie ein Argument gegen ein älteres Zielpublikum scheint, entpuppte sich als Chance. Denn was kann in Zeiten, in denen sich kaum einer dem Älterwerden stellt, besser verkauft werden als ein Stoff, der das ewig Jugendliche verströmt? Schnell war klar: Noch mehr Designerjeans mussten her, von Marken, die ein elegantes und avantgardistisches Lebensgefühl transportierten. Helmut Lang war so eine Marke, und seine Jeans wurden zum Erfolg: Als einer der ersten Designer schlug er vor, Jeans mit feinen Kaschmir-Pullovern und schmal geschnittenen, einreihigen Sakkos zu kombinieren. Bald lancierte auch Dolce&Gabbana Jeans, Armani gründete Armani Jeans - und plötzlich fand die betagte, gehobene Gesellschaft an dem Teil, das einst von Jugendlichen okkupiert war, Gefallen. So wurden Jeans für besondere Anlässe nicht mehr zerstört, sondern mit Swarovskisteinen besetzt, mit Farbe bemalt oder mit funkelnden Pailletten bestickt. Frauen trugen dazu hohe Schuhe, Männer Slipper oder Loafer.

Überangebot und neue Konzepte

Mitten in diesem Überangebot gründete noch einer eine Jeansmarke. Der Holländer Jos van Tilburg besann sich 1989 auf die Grundidee der Jeans als "funktionales Produkt". Mit dem französischen Designer Pierre Morisette entwickelt er das Konzept, eine Jeans für den Massenmarkt zu entwerfen, und gründete kurz darauf die Marke G-Star. Der ursprünglichen Philosophie ist das Label noch heute treu: Während sehr modische Firmen wie Miss Sixty, Diesel oder Acne eine spezifische Zielgruppe mit spezifischen Trends anvisieren, fährt G-Star eine gegensätzliche Strategie. "Wir haben keine Richtlinie. Kein Image zu haben, das ist unser Image", sagt Jos van Tilburg. "Mit einem Image beschneidet man sich nur selbst." Damit geht Tilburg der Frage aus dem Weg, für wen G-Star-Jeans eigentlich bestimmt sind.

Doch trotz einer ungenau definierten Zielgruppe wächst G-Star von Jahr zu Jahr leise und stetig weiter. Und es wird klar, weshalb die Marke funktioniert: Sie führt den Urgedanken, der Jeans einst erfolgreich machte, fort. War Denim früher das Symbol der Jugend, hat heute jeder die Freiheit, Jeans zu tragen. Jeans sind für alle da, für Arbeiter und Manager, für Teenager und Pensionäre, Punks und Snobs, Damen und Herren - und ganz entscheidend: Jung und Alt. G-Star orientiert sich dabei nicht an popkulturellen Tendenzen, sondern an funktioneller Arbeitskleidung. Das spiegelt sich auch in der Kollektion wieder, die schlicht "Raw" heißt, also grob, original, unbearbeitet.

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Von der Arbeiterhose zum Luxusgut

Währenddessen zeichnet sich auf dem Jeansplaneten ein neues Phänomen ab. Nach der Ur-Jeans 501, der Designer-Jeans und der Jeans für jedermann wird die Trend-Jeans geboren, die mit einem Preis ab 300 Euro nicht ganz billig ist. Marken wie Paper, Nude und Habitual werden angefeuert, durch permanente Erwähnung in Magazinen wie InStyle. Tragen, was die Stars tragen, ist hier das Prinzip. Bis zu 500 Euro werden bezahlt, um eine Jeans wie Kate Moss oder Victoria Beckham zu besitzen. Die schlug aus dem Phänomen persönlichen Profit und lancierte eine eigene Jeansmarke. Mit Erfolg: Die "Victoria Beckham", mit einer aus goldfarbenen Nieten applizierten Krone auf der Gesäßtasche, war in Boutiqen wie dem Münchner Conceptstore Theresa schnell ausverkauft.

Trotz all dieser neuen Labels bleibt G-Star ruhig und die Kollektion raw. Keine Applikationen, keine Schnitte, die nicht massentauglich sind. Auch jede Kritik, G-Star sei uncool, verschlafen, unoriginell, prallt an den Gründern ab. "Wir bewahren unsere Identität", sagt Shubanka Ray, Brandmanager von G-Star. Das sieht man auch in der Kampagne: Während Diesel mit emotionalen und wirtschaftlichen Gratifikationen spielt, mit aufgedrehten Testimonials und dem Slogan "for a successful living" (für ein erfolgreiches Leben), stellt G-Star die Models vor einen weißen Hintergrund, damit nichts von dem Produkt ablenkt. Statt eines Slogans heißt es lediglich "G-Star Raw Denim". "Denim ist ein Massenprodukt", sagt Ray, "das es zu demokratisieren gilt. Das schaffen wir, indem wir gute Materialien verwenden und Produkte gut verarbeiten. Und nicht, indem wir versuchen, als Modemarke aufzutreten."

Der Klassiker und die Konkurrenz

Wirklich wahr ist das nicht. Denn zwei Mal im Jahr macht G-Star in New York eine Fashion Show - oder sollte man vielleicht besser sagen, eine Werkschau?

Die Jeans ist eben doch eine Mode wie jede andere. Mit der Ausnahme, dass sie es wie kein anderes Kleidungsstück vermag, eine Einstellung, ein Image, eine Wunschvorstellung zu transportieren, der Generationen bis ins hohe Alter nachzueifern versuchen: Jugendlichkeit, Agilität, Lässigkeit.

Von einer Marke hat man lange schon nichts mehr gehört. Dann im Herbst des vergangenen Jahres wurde plötzlich groß angekündigt, dass der britische Künstler Damien Hirst eine Levi's 501-Kollektion entwerfen werde. Die soll noch in diesem Monat in die Läden kommen: eine Jeans-Kollektion mit dem modisch recht überstrapazierten Totenkopfmuster aus Swarovski-Kristallen.

Das wäre zwar wirklich nicht nötig gewesen, ist aber vielleicht mal ein Zugeständnis ans Alter.

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