Computertomographie:Verführt von der Macht der Bilder

Lesezeit: 4 min

Ärzte unterschätzen die Strahlenbelastung von Computertomographen - zu oft werden Patienten ohne guten Grund damit durchleuchtet.

Wiebke Rögener

Ärzte wissen gelegentlich nicht, was sie tun. Zumindest, wenn sie ihre Patienten zur Computertomographie (CT) überweisen, haben viele keine Vorstellung davon, mit welcher Strahlenbelastung eine solche Untersuchung verbunden ist. Daher können sie Nutzen und Risiko kaum angemessen abwägen. "Zwei von drei Kollegen, die uns Patienten zum CT schicken, halten die Strahlenbelastung für viel geringer, als sie tatsächlich ist", sagt der Radiologe Christoph Heyer vom Klinikum der Universität Bochum.

Vielen Ärzten und Patienten gefallen die Bilder so sehr, dass sie kaum noch an die Strahlenbelastung denken. (Foto: Foto: Siemens)

Heyer hat rund 120 Ärzte befragt, die durchschnittlich acht Jahre Berufserfahrung hatten, selbst aber keine Röntgenfachärzte waren. Nur ein Viertel der Befragten schätzte die Strahlendosis richtig ein, die computertomographische Aufnahmen des Herzens oder CT bei Kindern bedeuten. Dass ein Tomogramm des Brustkorbs den Patienten einer etwa hundert bis tausendmal so hohen Dosis an Strahlung aussetzt wie eine konventionelle Röntgenaufnahme, wussten nur 23 Prozent der Ärzte (Fortschritte auf dem Gebiet der Röntgenstrahlen, Bd.179, S.261, 2007).

In modernen Computertomographen umkreist eine Röntgenröhre den Patienten spiralförmig und macht dabei eine Vielzahl von Aufnahmen. Aus hunderttausenden von Datenpunkten errechnet der Computer dann gestochen scharfe, auf Wunsch dreidimensionale Schnittbilder. "Man kann mit dem Computertomographen tolle Bilder machen", sagt Heyer. "Die Verführungskraft dieser Methode ist groß." Die Zahl der CT-Untersuchungen in Deutschland steigt von Jahr zu Jahr. "Besorgniserregender aber ist, dass auch die durchschnittliche Strahlendosis pro Aufnahme immer höher wird", betont Heyer. Je mehr Einzelheiten ein Computertomograph abbilden könne, desto intensiver sei die Strahlung.

Werbung für CT-Aufnahmen

Private Diagnosezentren, die um zahlungskräftige Kundschaft werben, behaupten gern das Gegenteil: "Die Strahlenbelastung ist sehr gering und damit ungefährlich", verspricht etwa die Diagnoseklinik München ihren potentiellen Kunden, wenn sie im Internet schnelle CT-Aufnahmen von Herz, Darm oder Lunge anpreist - für Menschen ohne Beschwerden, die sich durchchecken lassen wollen. "Oft wird der Eindruck erweckt, als ob moderne CT-Geräte mit weniger Strahlung arbeiten", sagt Christoph Heyer. "Es wird herausgestellt, wie schnell die Untersuchung vorbei ist. Doch das ist irreführend. Zwar dauern die Aufnahmen nur noch wenige Sekunden, aber in dieser kurzen Zeit ist der Patient einer hohen Strahlendosis ausgesetzt."

"Die Ergebnisse der Bochumer Studie überraschen mich nicht", sagt Bernhard Lewerich, Geschäftsführer der Deutschen Röntgengesellschaft. "Sie bestätigen, was wir schon länger vermuten: Viele Nichtradiologen wissen nicht ausreichend, welche Strahlenexposition eine CT-Untersuchung mit sich bringt." Dieses Problem gebe es jedoch nicht nur in Deutschland. Der Rat der europäischen Union forderte die Mitgliedsstaaten daher bereits 1997 dazu auf, Empfehlungen für die medizinische Strahlenbelastung zu erstellen.

Seit dem vergangenen Herbst gibt es in Deutschland eine von Medizinern erstellte Broschüre der Strahlenschutzkommission. "Hier findet der überweisende Arzt zu nahezu allen Indikationen aufgelistet, welche Untersuchung er am ehesten anfordern sollte", sagt Lewerich. Dort steht auch, was unsinnig ist: Etwa eine Röntgenuntersuchung auf "degenerative Wirbelsäulenveränderungen" bei Menschen mittleren Alters. Dieser Befund sei "so 'normal' wie graue Haare", bemerken die Autoren.

Auch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) verweist seit Jahren darauf, dass die CT erheblich zur Strahlenbelastung der Bevölkerung beiträgt. Ein Erhebung in den Jahren 1996 bis 2003 ergab, dass Röntgenuntersuchungen in Deutschland zwar seltener wurden, die Dosis an Röntgenstrahlung insgesamt aber stieg. Computertomographien machten 2003 gut sechs Prozent aller Röntgenuntersuchungen aus, waren aber für mehr als 50 Prozent der medizinischen Röntgenstrahlung verantwortlich.

Besonders problematisch ist die hochauflösende Computertomographie des Herzens. Sie kann zeigen, wo Gefäße verkalkt sind oder wo es Engpässe in den Adern gibt. Das ist bei manchen Risikopatienten sinnvoll. Aber es taugt nicht als Vorsorgeuntersuchung für Menschen, die gar keine Symptome haben. Die Fachgesellschaft American College of Cardiology Foundation bewertete kürzlich die Herz-CT bei beschwerdefreien Menschen als "unangemessene Maßnahme", die das Risiko nicht rechtfertige.

Strahlendosis von 1000 Röntgenaufnahmen

"Es kommen dennoch immer häufiger gesunde Menschen, die eine CT-Aufnahme des Herzens als Vorsorgeuntersuchung machen lassen wollen", berichtet Heyer. "Die Schwelle ist viel niedriger als etwa bei einer Untersuchung mit einem Herzkatheter, weil sie subjektiv nicht so belastend ist." Doch den Patienten sei nicht bewusst, welcher Strahlenbelastung sie dabei ausgesetzt sind. "Sie ist so hoch wie bei 1000 normalen Röntgenaufnahmen. Das ist so, als ob Sie ein Jahr lang morgens, mittags und abends zum Röntgen gingen."

Im Rahmen so genannter Gesundheitschecks wird diese Untersuchung der privat zahlenden Kundschaft dennoch gerne angedient. So hält die Diagnoseklinik München schon einen erhöhten Cholesterinspiegel für einen hinreichenden Grund für eine Herz-CT. Die "virtuelle Darmspiegelung" mittels Röntgenstrahlen bietet sie ebenso als Vorsorgeuntersuchung an wie die Lungen-CT als "Raucher-Check".

Vor einem solchen "Screening im Wellnessbereich" warnt das BfS. "Von CT-Aufnahmen im Rahmen sogenannter Manager-Check-Ups und ähnlicher Untersuchungen ohne klaren medizinischen Anlass raten wir dringend ab", sagt BfS-Sprecher Florian Emrich. "Die Röntgenverordnung schreibt vor, dass es für jede Röntgenaufnahme - also auch für die CT - eine Abwägung von Nutzen und Risiko geben muss. Das ist bei solchen Gesundheitchecks nicht der Fall." Auch Heyer zweifelt, ob sich alle seine Kollegen immer streng an die Vorgabe der Röntgenverordnung halten: "Da spielen auch finanzielle Aspekte eine Rolle - so ein Gerät muss ja ausgelastet sein, um sich zu rechnen."

Ungesunde Vorsorgeuntersuchungen

Von der CT als Reihenuntersuchung hält Heyer nichts: "Jedes Jahr ein Ganzkörper-CT, nur um mal zu gucken, ob da auch nichts ist - das ist aus strahlenhygienischer Sicht eine Katastrophe. Damit kann man viel Geld machen, aber niemand hat bisher bewiesen, dass die Patienten irgendeinen Nutzen davon haben." So führen CT-Vorsorgeuntersuchungen der Lunge zum Beispiel nicht dazu, dass weniger Menschen an Lungenkrebs sterben (SZ, 7.3.2007).

Besonders bei Kindern müsse man genau abwägen, ob der Nutzen das Risiko der CT-Untersuchung rechtfertigt. "Es kommt vor, dass uns Patienten zum CT überwiesen werden, bei denen wir diese Untersuchung dann ablehnen", berichtet Heyer aus dem Klinikum der Ruhr-Universität Bochum. "Wenn etwa nach einer überstandenen Lungenentzündung bloß die offensichtliche Genesung bestätigt werden soll, rechtfertigt das die Strahlenbelastung nicht."

Ob sich seine Position durchsetzt, kann Heyer noch nicht belegen. Er beobachtet einerseits, dass das Problembewusstsein bei den Ärzten wächst. "Das zeigte sich nicht zuletzt in der hohen Bereitschaft, an unserer Studie teilzunehmen: Von 124 angeschriebenen Kollegen schickten 119 den ausgefüllten Fragebogen zurück."

Das sei eine ganz ungewöhnlich große Beteiligung. Andererseits habe der europäischen Radiologiekongress, der Anfang März in Wien stattfand, vor allem die Suggestivkraft der schönen Bilder belegt. "Es gab Tausende von Beiträgen zu den vielen neuen technischen Möglichkeiten, aber nur verschwindend wenige zum Problem der Strahlenbelastung."

© SZ vom 5. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: