Citybikes:Die Zukunft hat zwei Räder

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Noch nie gab es so viele Fahrräder in Deutschland: Zukunftsforscher sehen eine mobilere Gesellschaft voraus - angetrieben von Körperkraft.

Christian Penning

Die Globalisierung treibt bisweilen kuriose Blüten: Chinesen tauschen ihr Fahrrad gegen ein Auto. In Deutschland dagegen gab es noch nie so viele Räder wie jetzt: 68 Millionen Velozipede rollen laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV)durch Stadt und Land. Die Fahrradbranche meldet Umsatzsteigerungen von zehn bis 20 Prozent. Und Mattias Horx vom Zukunftsinstitut in Hamburg stellt fest: "Moderne Stadtbewohner gehen zu Fuß, fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit einem coolen Bike."

Wer sich aufs Fahrrad schwinge, liege in der Schnittmenge gleich mehrerer Trends: Gesundheit, Fitness, Umweltbewusstsein und Technik-Kult. Radfahren rangiert auf der Hitliste der beliebtesten Sportarten seit Jahren ganz oben. Doch schon jetzt werden Tourenräder, Mountainbikes und Rennräder nicht mehr nur in der Freizeit aus dem Keller geholt: So wie das Tragen von Outdoor-Klamotten im Alltag hip geworden ist, signalisiert auch das Fahren von Profi-Rädern auf dem Weg zur Arbeit Sportlichkeit und Tatkraft.

Die Vision der Zukunftsforscher: Statt im allradgetriebenen SUV vor dem Supermarkt vorzufahren und hinterher im Studio auf dem Spinning-Bike zu sitzen, werden immer Menschen beides gleichzeitig erledigen - mit neuen, chicen, technisch ausgefeilten Citybikes.

Wie richtig die Zukunftsforscher vermutlich liegen, zeigen Besuche auf den großen Fahrradmessen: Was für die Autobranche die Internationale Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt ist, das sind für die Fahrradbranche die Eurobike in Friedrichshafen und die IFMA in Köln. Auf beiden Messen feierte die gute alte Idee vom Fahrradfahren in der Stadt soeben ein großes Comeback.

Um die Evolution vom angestaubten Stadtrad zum trendigen Citybike voranzutreiben, treten die Fahrradhersteller in die Pedale, als gelte es, den doping-belasteten Profiradsport so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Angesagt ist ein cleverer und sanfter Mix aus Alltagsmobilität und Sport.

Kraft, Gesundheit und gute Laune

"Das Fahrrad ist für alle Berufstätigen ein leichter Einstieg in ein gesünderes Leben", sagt Pressesprecher Konrad Weyhmann von Fahrradkomponentenhersteller Shimano. Ein Viertel der Belegschaft seines Unternehmens nahm im Sommer an der bundesweiten Aktion "Mit dem Rad zur Arbeit" teil. Das Ergebnis: "Schon dreißig Minuten am Tag auf dem Fahrrad bringen Kraft, Gesundheit und gute Laune", so Weyhmann.

Die 37 Angestellten legten an 65 Arbeitstagen pro Mitarbeiter im Durchschnitt 710 Kilometer zurück. Netter Nebeneffekt: Sie sparten bei dieser Art Betriebssport insgesamt rund 3500 Liter Benzin und 4,33 Tonnen CO2-Emissionen.

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Radfahren spart Geld - direkt und indirekt

Obwohl das Wetter im Norden sicher nicht besser ist als in Deutschland, schwingen sich Skandinavier im Alltag bereits deutlich häufiger in den Fahrradsattel als Deutsche.

Eine mehrjährige Modellstudie in drei norwegischen Städten zeigt, dass 30 Minuten Radfahren pro Tag bei bis dahin inaktiven Personen eine jährliche Ersparnis von 3.000 bis 4.000 Euro an gesellschaftlichen Kosten bringt. Ein Großteil dafür entfällt auf das Gesundheitssystem.

Wer regelmäßig Rad fährt, kann sein gefühltes Lebensalter um zehn Jahre reduzieren. "Entspanntes Radfahren ist ein ausgezeichnetes und schonendes Training für Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel", stellt Professor Dr. Ingso Froböse von der Deutschen Sporthochschule in der Studie "cycling & health" fest. Radeln in die Arbeit, zum Einkaufen oder ins Konzert am Abend lässt fast unbemerkt die Pfunde schmelzen, stärkt die Abwehrkräfte und verbessert die Temperaturregulation. Das beugt Erkältungs- und Infektionskrankheiten vor.

Eine Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums ergab: Frauen, die mehr als drei Stunden pro Woche bei mittlerem Tempo radeln, verringern ihr Brustkrebsrisiko um 34 Prozent.

Zusätzlich zum Ausdauertraining absolvieren Radler im Sattel nebenbei sogar noch eine Gymnastikeinheit. Die richtige Körperposition auf dem Fahrrad vorausgesetzt, stimuliert das Treten die kleinen Muskeln an den Wirbelkörpern im Bereich der Lendenwirbelsäule und beugt so Bandscheibenvorfällen vor.

Für die Knorpel im Knie ist die zyklische Bewegung beim Treten schonender als die Schockbelastung bei Laufsportarten. Nebenbei werden auch noch Gleichgewicht und Koordinationsvermögen geschult.

Fahrradfahren macht froh

Und vielleicht lächeln die Deutschen ja auch wieder mehr, wenn sie sich öfter aufs Fahrrad schwingen. Denn das gleichmäßige Kurbeln entspannt und baut Stress ab. Nach 30 bis 40 Minuten im Sattel schüttet der Körper Glückshormone aus, die Endorphine.

Mit gutem Grund: Dänische Mediziner haben in einer Langzeitstudie nämlich festgestellt: Menschen, die regelmäßig drei Stunden pro Woche das Fahrrad als Verkehrsmittel benützen, senken damit ihre Sterblichkeit um 39 Prozent im Vergleich zu Bewegungsmuffeln, die sich nicht oder nur in ihrer Freizeit aktiv bewegen.

Trotz der Aussicht auf einen gesunden, wohl geformten Körper und einen hellen, glücklichen Geist gelingt die Wandlung von der Autofahrernation zu einem Heer radelnder Lohas nicht von heute auf morgen. Doch die Radhersteller geben Gas: Gerade hat der Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) die Kampagne "Pro Fahrrad - Radfahren bewegt" gestartet. "Mit der Kampagne wollen wir die Lust wecken, das Auto stehen zu lassen und häufiger auf das Fahrrad zu steigen", sagt ZIV-Geschäftsführer Rolf Lemberg.

Mit modernen Radkonzepten, die ähnlich attraktiv sein sollen wie der Traum vom vollklimatisierten Auto mit ABS, Abstandswarner und beheizten Ledersitzen, wollen die Fahrradhersteller den Umstieg auf Muskelkraft erleichtern.

Räder, die selbst in einem Atelier für Designer-Möbel glänzen würden, könnten die langsam anrollende Mobilitätsrevolution beschleunigen. Ebenso Antriebssysteme, bei denen man sich Hose und Finger nicht mehr an einer schmierigen Kette schmutzig macht.

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