Bunter Mode-Zirkus:Ein Bild von einem Kleid

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Michelle Obamas flammender Siegerdress ist das Kleid des Jahres. In der Frühjahr-Sommer-Saison 2009 treiben es die Couturiers aber noch viel bunter.

Anne Goebel

Herbst 2008, im Modespektakel läuft alles nach Plan. Die Schauen in New York, Mailand, Paris füttern die Branche der Unersättlichen mit dem, worauf sie Hunger hat: Rausch, Sensation, das ganz große Gefühl. Bewegend der afrikanische Totemchic von Louis Vuitton! Bei Prada spektakulärer Sturz eines Models von der hohen Sandale, Lagerfeld verneigt sich mit phantastischer Chanel-Kollektion vor Coco!

Es darf ein bisschen mehr sein: 2009 mag man es farbig, gern exotisch gemustert und ist äußerst vernarrt in Effekte. (Foto: Foto: AP)

Aber es hat alles nichts genützt. Der Modezirkus ist ein schönes Märchen, voller Zeichen und Wunder, wohingegen Michelle La-Vaughn Robinson, verheiratete Obama, eine sehr reale Person ist. Und diesmal hat die Realität die glanzvolleren Bilder geliefert. Kaum waren die Runways abgebaut, die Fotos von feenhaften Mannequins aus den Zeitungen verschwunden, betrat die Frau des künftigen Präsidenten der USA in einer Novembernacht die Bühne des Grant Park in Chicago.

Michelle Obama im flammend schwarz-roten Gewand der Siegerin: Das war der Laufsteg des Jahres. Kein Kleid ist von mehr Menschen gesehen worden und hat mehr Menschen bewegt als der "Victorydress" der neuen First Lady. Dass ihre Garderobe in diesem Augenblick eigentlich Nebensache war, dass die Kreation des amerikanischen Designers Narciso Rodriguez außerdem viel Tadel provozierte in der Presse und in den Blogs, tut nichts zur Sache. Das ist das Bild und das ist das Kleid, das bleiben wird vom Jahr 2008.

Für Rodriguez, Sohn kubanischer Einwanderer, hätte es kaum besser laufen können. Trotzdem ist nicht gesagt, dass sein Label dauerhaft profitiert - und auch nicht, dass Mrs. Obama die abgedroschenste aller Prophezeiungen erfüllt, nämlich eine Stilikone zu werden. Die Mode hat ihre eigenen Gesetze, und die Trends für das Jahr 2009 waren längst erfunden, als Amerika ein schwarzes Präsidentenpaar bekam.

Es darf ein bisschen mehr sein

Viel eher lautet die Frage, wie sich Luxusware angesichts einstürzender Märkte am besten in Stellung bringt. Und hier sieht es fast so aus, als hätten die Couturiers das üble Ausmaß der Krise geahnt - und den offensiven Weg gewählt. Da darf es ruhig von allem etwas mehr sein. Von Zurückhaltung und strengem Ernst war wenig zu sehen auf den Pariser Prêt-à-Porter-Schauen, in London, Mailand, bei der Fashion Week in New York.

Man mag es farbig, gern exotisch gemustert und ist äußerst vernarrt in Effekte. Das fängt beim Textil an, Kostbares wie Seide und Chiffon bauscht sich meterweise zu Tulpenröcken oder John Gallianos mehrstufig gerüschten Roben für Dior. Nina Ricci spielt mit Verzicht und Fülle, vorn lassen die Röcke das Knie sehen, hinten ergießen sich seidige Stoffbahnen und münden in Schleppen.

Hauptsache Oberfläche: Bei kaum einem Designer fehlen metallisch schimmernde Strukturen, Stella McCartney lässt Miniröcke wie Kettenhemden aussehen, Prada feiert den voluminös geknautschten Crinkle. Und bei Balenciaga haben die Stoff- Experimente praktischen Nutzen: Die futuristischen Kurzkleidchen aus glitzernden Hightech-Zutaten sind federleicht.

Umso schwerer wiegt der Schmuck. Untertassengroße Kreolen, Ketten sind grundsätzlich extralarge und wollen majestätisch getragen sein - das setzt sichere Schritte voraus auf aberwitzig hohen Schuhplateaus. Andererseits, wenn der Spaziergang in die Achtziger führt, ist ein energischer Gang sowieso unentbehrlich. Nur wer rasant daherkommt, setzt seinen kantigen Oberkörper optimal in Szene. Ja, die Schulterpolster sind zurück. Jacken, die aussehen, als seien sie mit Abschussrampen für Pershing-II-Raketen unterlegt, machen den Designern offenbar viel Spaß.

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Ob Fendi, Alexander Mc- Queen, Christian Lacroix oder Etro, die Models zeigten Kastenlook. Schöne Grüße aus den Achtzigern senden außerdem: der Overall (Giorgio Armani), die Elvistolle, die Bikerjacke. Der Unterschied zum Original: Damals mussten steinharte Powerfrauen wie Grace Jones unbedingt androgyn auftreten, um die friedfertigen Hippiemädchen zahm aussehen zu lassen. Heute ist die männliche Schulterpartie ein Versatzstück, das bedenkenlos kombiniert wird mit weiblicher Verkleidungskunst.

Das Kleid, das Michelle Obama am Wahlabend trug, war erst der Anfang. Künftig wird es ziemlich bunt. (Foto: Foto: Reuters)

Drapieren, schnüren, raffen, halb verhüllen, halb öffnen - Corsagen und überbreite Gürtel bei Missoni oder Salvatore Ferragamo, viel Gefieder, Spitze, Fransen und transparente Entwürfe im Boudoirstil mischen eine Prise frivole Folies Bergère in die Powerkollektionen. Kraftstrotzend sind auch die Farben. Alle Schattierungen von Grün, knallig wie Limetten, geheimnisvoll wie Dschungeldickicht, Varianten von Orange und kaltem Blau sowie das bereits vor 25 Jahren von trotzigen Mädchen wie Madonna und Cyndi Lauper vergötterte Pink.

Sehnsucht nach Vergangenheit

Wem der Sinn nach Klarheit steht: Gedämpfte Farbpaletten gab es in Mailand zu sehen, reines Weiß von Kopf bis Fuß in New York. Oder man hält sich an die Zwei-Komponenten Kollektion von Karl Lagerfeld für Chanel. Schwarz-Weiß in allen Spielarten, mit allen Raffinessen, züchtige Blusenvariationen mit hart glänzendem Lack kombiniert sind nicht ganz so züchtig: "Chanel goes back home", hat die Modepäpstin Suzy Menkes in der International Herald Tribune Lagerfelds Hommage an Coco Chanel interpretiert.

Heimkehr, Sehnsucht nach der Vergangenheit - solche Fluchten sind ziemlich verständlich, wenn draußen die Dividenden wegbrechen und manche Couture-Kundin mit dazu. Überhaupt ist Eskapismus ein großes Thema. Gucci präsentierte die Linie "Exotica".

Reisefertig für die Luxusklasse sind Chanel mit Kleidern im veredelten Westernlook, Hermès und Givenchy (Goucho-Romantik) sowie Dior und Louis Vuitton, die in gefeierten Afrikaspektakeln den Trend zum Edel-Ethno auf die Spitze treiben: Alligatorenleder, Raubkatzendrucke, baumelndes Geisterbeschwörungszubehör an Handtäschchen, Highheels in Form von bauchigen Fruchtbarkeitsgöttinnen. Schillernder kann man Fernweh nicht in Szene setzen.

Wer lieber gemütlich zu Hause bleibt: Angeblich soll der Schlafanzug straßentauglich werden. Zwei im Weißen Haus könnte diese Nachricht interessieren. Die Präsidententöchter Sasha und Malia feiern, so ist zu hören, gerne Pyjamapartys.

© SZ vom 23.12.2008/bre - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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