Britische Anti-Alkohol-Kampagne:Ekel, pädagogisch wertvoll

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Im Kampf gegen das Komasaufen setzt die britische Regierung jetzt auf drastische Bilder: Neue TV-Spots zeigen Jugendliche, die sich munter selbst bepinkeln, verletzen und mit Erbrochenem beschmieren.

Kati Thielitz

Der junge Mann uriniert auf seine Lederschuhe, schüttet sich Soße übers Hemd, reißt sich einen Ring vom Ohr und stößt seinen Kopf an der Schranktür. Mit blutender Nase verlässt er das Haus - lächelnd. Auf geht's in den Club. Dann erscheint ein Schriftzug: "Du würdest keinen Abend auf diese Art beginnen. Warum also ihn so beenden?"

Binge Boy gegen das Komasaufen: Drastische TV-Spots sollen Jugendliche vor übermäßigem Alkoholkonsum bewahren (Foto: Screenshot: suddeutsche.de)

Der Spot läuft seit zwei Wochen im britischen Fernsehen - bisher auf den Sendern ITV1 und ITV2 sowie auf Musik- und Sportkanälen. Unter "Home Office: Binge Boy" ist er außerdem im Internet-Videoportal YouTube abrufbar. Er ist Teil einer großen Anti-Alkohol-Kampagne, mit der die britische Regierung das sogenannte "Binge Drinking", also das Komasaufen, bekämpfen will. Ziel sei es, die Folgen übermäßigen Alkoholkonsums ins Bewusstsein zu rufen, so Innenministerin Jacqui Smith.

Die vier Millionen Pfund (rund fünf Millionen Euro) teure Kampagne wurde von der Londoner Agentur VCCP entworfen und soll junge Leute zwischen 18 und 24 Jahren ansprechen. Im Mittelpunkt stehen daher sympathische Vertreter dieser Generation, sie treten in Fernseh- und Radiospots auf, sind auf Anzeigen in Magazinen wie Glamour oder Cosmopolitan zu sehen und natürlich auch im Internet. Mit größter Selbstverständlichkeit verletzen und bepinkeln sie sich selbst oder schmieren sich Erbrochenes in die Haare. Schock und Ekel als nationale Erziehungsstrategie. My Lord.

"Grenzwertig" und "kontrovers" nennt Matt Wilson diese Spots. Wilson ist Sprecher der Advertising Standards Authority (ASA), die in England ähnlich wie der deutsche Werberat eine Kontrollinstanz für Werbung ist. Acht Klagen sind bisher bei der ASA gegen die Spots eingegangen - vielleicht, mutmaßt Wilson, hat sich der Großteil der britischen Mediengesellschaft schon an Blut und Ekel gewöhnt.

Früher bediente Werbung die Sehnsüchte des Publikums, inzwischen wird sie immer häufiger auch zur Abschreckung eingesetzt: In Italien hat der ehemalige Benetton-Fotograf Oliviero Toscani im Herbst 2007 mit seinen No-Anorexia-Plakaten für Aufsehen gesorgt. Sie zeigten nackt die 31 Kilogramm leichte, also extrem abgemagerte Französin Isabelle Caro. Und in Deutschland wirbt das Bundesverkehrsministerium mit übergroßen Todesanzeigen an Autobahnen - um die Raser zu bremsen.

Klaus Goldhammer, Geschäftsführer der Berliner Agentur Goldmedia, erklärt diese Entwicklung mit der Überflutung durch Werbung: "Vergangenes Jahr liefen rund 3,9 Millionen Werbespots im deutschen Fernsehen." Um nicht in der Masse unterzugehen, müsse man sich als Agentur etwas einfallen lassen, um die Botschaft herausragend zu gestalten. Goldhammer: "Schönheit und bezaubernde Argumente reichen nicht mehr."

Eine, die an die pädagogische Wirkung der Schockspots glaubt, ist die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing (SPD). Sie sagt: "Die Jugendlichen finden sich in der Erfahrung wieder. Nur damit erreicht man sie - alles andere prallt ab." Weil die Spots eine vorbeugende Haltung einnähmen, ohne den Zeigefinger zu erheben, könnten sie - Bätzing zufolge - sogar Vorbild für eine deutsche Kampagne sein. Immerhin sei Komasaufen auch unter deutschen Jugendlichen immer beliebter: Allein die Zahl der alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen Zehn- bis 20-Jähriger habe sich seit 2000 mehr als verdoppelt - von 9500 auf 19500 im Jahr 2007.

Auf YouTube wurden die das Komasaufen bloßstellenden Spots derzeit circa 10000 Mal aufgerufen. Und sie werden kommentiert - zuweilen mit den Worten: "fantastic song".

© SZ vom 28.06.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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