Blackout bei "Wer wird Millionär":"Keine Frage der Intelligenz"

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Blackout bei der ersten Frage von "Wer wird Millionär". (Foto: RTL)

Auf die einfachste Frage bei Günther Jauch keine Antwort, und Millionen schauen zu: Eine Expertin erklärt, warum ein Blackout nichts Ungewöhnliches ist und wie man am besten darauf reagiert.

Von Violetta Simon

Erstmals in der Geschichte der RTL-Sendung "Wer wird Millionär?" ist eine Kandidatin an der 50-Euro-Frage gescheitert - keine Frage der Intelligenz, sondern eine Folge der Aufregung, sagt die Expertin Déirdre Mahkorn. Die Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie hat sich auf die Behandlung von Lampenfieber und Bühnenangst spezialisiert. Im Gespräch mit SZ erklärt die Kölnerin, wie man sich vor einem Blackout schützen kann - und wie man damit umgeht, wenn es trotzdem passiert.

SZ: Was brachte die Aachener Studentin bei "Wer wird Millionär" derart aus der Fassung?

Déirdre Mahkorn: Ein archaischer Mechanismus, getriggert durch eine bedrohliche Situation. Früher wäre er ausgelöst worden durch den Säbelzahntiger. In diesem Fall waren es die fremden Rahmenbedingungen im Fernsehstudio, der Zeitdruck, das Publikum und der Moderator. Die meisten Kandidaten üben jede Menge Quizfragen, doch oft wird ihnen erst im letzten Moment klar, wie einschüchternd so ein Studio während der Aufnahmen sein kann. Also schüttet der Körper Stresshormone aus und reagiert mit Angstsymptomen wie Herzrasen oder Schweißausbruch. Ein Blackout tritt ein, weil das Gehirn sich entscheidet, seine Aufmerksamkeit der Wucht dieser Symptome zu schenken.

Was genau passiert bei einem Blackout?

De facto handelt es sich um einen Aufmerksamkeitsverslust. Er entsteht, wenn das Gehirn sich zwischen rationalen und emotionalen Abläufen verzettelt und zunächst nicht entscheiden kann, worauf es sich fokussieren soll - als ob man auf 16 Bildschirme schaut, und auf jedem läuft ein anderer Film.

Wie fühlt sich das an, wenn man von Millionen Menschen beobachtet wird - und im entscheidenden Moment auf dem Schlauch steht?

Der Betroffene hat plötzlich den Eindruck, nichts mehr zu wissen und nicht mehr denken zu können. Dazu kommt der Zeitdruck - und die Befürchtung, sich jeden Moment schrecklich zu blamieren. In so einer Situation ist kein Platz mehr für die Möglichkeit, auch nur die einfachste Frage zu beantworten. Die meisten von uns dürften das bedrohliche Gefühl kennen, etwa von mündlichen Prüfungen oder wenn man eine Rede halten muss: Alles fokussiert sich auf mich, die anderen bewerten mich. Bei einer Quizsendung, die von Millionen Zuschauern gesehen wird, ist das sicher noch heftiger.

Passiert das auch Profis?

Andauernd. Ich arbeite nicht nur mit Schauspielern, Opernsängern und Radiojournalisten, die unter Lampenfieber oder sozialen Phobien leiden. Im Moment betreue ich mehrere Spitzenköche und Konditorenmeister, die fürchten, im entscheidenden Moment zu zittern und die Prüfung zu versemmeln. Es ist auch keine Frage der Intelligenz, ob man in so einer Situation versagt: Der Körper ist keine Maschine. Es sind biochemische Substanzen, die zu solchen Reaktionen führen.

Wie kann man verhindern, dass es zu einem Blackout kommt?

Indem man versucht, die Entscheidungsgewalt zu behalten und sich klar macht, was Priorität hat - wir bezeichnen diese Maßnahme in der Therapie als "Aufmerksamkeitsleitung". Die Person versucht, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu steuern und selbstbestimmt zu agieren. So gelingt es ihr, zu entscheiden, dass sie den Stresssymptomen keine Aufmerksamkeit schenkt. Hilfreich ist es auch, sich das "Real Life"-Setting zuvor vertraut zu machen oder etwas Vergleichbares zu inszenieren. Ich gehe deshalb mit Klienten auf die Bühne, wir besuchen ein Fußballstadion oder ein Fernsehstudio. So lernt das Gehirn: Ich kann immer präsentieren und ich lasse mich nicht einschränken in meinen Entscheidungen.

Wie reagiert man am besten, wenn man plötzlich nur noch Watte im Kopf hat und alle einen ansehen?

Manchen erscheint die Flucht nach vorn als naheliegendste Lösung, sie stehen auf und gehen. Hier liegt aber ein Denkfehler vor: Der Betroffene ist überzeugt davon, dass alle merken, wie schlecht es ihm gerade geht. Tatsächlich bekommt das Publikum das gar nicht so mit - bis die Person die Bühne verlässt (wie z.B. Hollywood-Regisseur Michael Bay, siehe Video). Das Wichtigste in so einem Fall ist: Hinnehmen, dass Fehler passieren können. Und sich innerlich von dem Vorfall distanzieren, ihn also nicht persönlich zu nehmen. So schafft man es, den Faux Pas mit Humor zu nehmen, das rettet einen.

Die Kandidatin kommentierte ihren Auftritt mit den Worten: "Schnell, aber schön und ich bin um eine Erfahrung reicher". Die richtige Einstellung?

Das war doch souverän! Eigentlich eine perfekte Reaktion, die auf Geistesgegenwärtigkeit schließen lässt. Auf keinen Fall sollte sie sich die Meinung negativer Kommentare zueigen machen und zulassen, dass sie zum Gespött der Nation wird - oder womöglich in eine depressive Krise gerät. Die junge Frau muss entscheiden, welche Bedeutsamkeit sie dem Ereignis zuordnet. Das gibt ihr die Freiheit, sich davon zu distanzieren. Wir sollten uns gut überlegen, wie viel Macht wir der Öffentlichkeit zugestehen - im Leben passieren deutlich bedeutsamere Dinge als die Teilnahme an einer Quizshow.

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