Auswüchse der Sportartikel-Industrie:Da haut dir der Schuh nicht mehr ab

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Programmierte Suchtgefahr: Der Nike-Laufschuh, der iPod und das Web haben sich zu einem perfekten Überwachungssystem für Sportler vernetzt

Alex Rühle

Manchmal flackert noch ein systemkritisches Restgemurmel auf: Laufen ist das genuin Andere, die zweckfreie Selbstverschwendung; eigentlich ging es doch immer darum, dem Alltagsirrsinn aus Konsum, Maloche und Effizienz davonzulaufen. Und jetzt laufe ich jeden Abend begeistert einer Sportartikelfirma in die Arme. Nike, Nike - sind das nicht die, die indonesische Kinder die Schuhsohlen zusammenkleben lassen? Und sind Nike und Apple zusammen nicht das Allerverlogenste, operieren mit dem Mythos von der tabubrechenden Macht der Gegenkultur, und sind dabei fettester Mainstream.

Früher war Laufen Gegengift und Erdung. Heute setzt man sich nach dem Laufen sofort an den Rechner und prüft seine Daten. (Foto: Foto: Nike)

Aber all das sind lächerliche Schaukämpfe vor mir selber. Nike und Apple haben mich drangekriegt - mit einem kleinen Microchip, den ich freiwillig in meinem Laufschuh platziert habe.

Früher war Laufen Gegengift und Erdung. Der ganze Tag am Rechner, die Welt nur als Google und Vorstellung, der eigene Körper wird durch den Büroalltag geschleppt wie eine vollgestopfte Plastiktüte. Da fühlt sich Laufen manchmal an, als würde man überhaupt erst zurückkehren ins eigene Fleisch.

Jetzt gehe ich nach dem Laufen als erstes an den Schreibtisch, fahr den Rechner hoch und schau mir da an, wie mein Lauf war. Ja, ich geb's zu, ich lasse mir von einer Schuhfirma sagen, wie gut ich bin. Und vor ein paar Tagen bin ich ein paar hundert Meter nach dem Loslaufen umgedreht, weil ich merkte, dass ich den Chip vergessen hatte. Der Lauf gilt ja ohne Chip gar nicht.

Die Sportartikelhersteller, wissend darum, dass es längst nicht mehr darum geht, die besten Produkte sondern die mächtigsten Images zu produzieren, überbieten einander in ihren Werbefeldzügen in albernen technischen Protzereien: Erzählt Nike, dass sie für ein neues Modell auf Antiknautscherkenntnisse aus der Formel-Eins-Forschung zurückgreifen, kontert Adidas mit dem "winzigen Stellmotor in der Mittelsohle."

Und während Nike mit der Forschungsstelle der Kölner Sporthochschule zusammenarbeitet, zerlegt Adidas im eigenen Forschungszentrum jeden Laufschritt in Tausende von Einzelbildern. So beharkt man sich, und als einfacher Wald-und Isarläufer denkt man bei solche Werbung nur: Ihr Angeberund Konsumfetischisten...

Aber dann kam dieser Apple-Chip. Sobald man ihn in die Sohle steckt, wird der Schuh zum Datenträger: Während des Laufs sendet der Chip Signale an den iPod. Der registriert, wie weit man läuft, in welcher Zeit, wie schnell und wie viel Kalorien man verbrennt. Wer will, kann sich vom iPod anfeuern lassen, er ist dann der Personaltrainer.

Anders aber als ein analoger Personaltrainer, der neben einem herläuft und rumbrüllt, man schaffe das schon, alles sei super, sagt im iPod eine Stimme neutral wie eine elektronische Straßenbahnhaltestellenansage: "Noch. Zehn. Minuten." Oder: "Fünf. Kilometer. Gelaufen." Zuhause schließt man den iPod an den Rechner an, und lässt seine Daten ins Netz laufen.

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:Marathonziele rund um den Globus

Der Laufmarkt boomt - und mit ihm auch Laufreisen. Die Ziele werden dabei immer exotischer. Es gibt bald keinen Ort mehr auf der Welt, an dem noch kein Marathon gelaufen wurde. Eine kleine Marathonreise.

Die Macht der Community

Wer sich den Chip erstmal gekauft hat, ist verloren: Durchschnittlich dreimal die Woche loggen sich die Nike-Läufer ein, dreimal die Woche sieht Nike also, was der Käufer so macht. Ohne dass die Firma irgendetwas tun müsste. Das werbestrategisch Beste daran: Man besucht diese Seite nicht, während man bürograu vor sich hinlebt, sondern in dem emotionell angeschickerten Zustand, den Sportler als "Runner's High" bezeichnen. Man schaut also immer dann auf dieser kommerziellen Seite vorbei, wenn die Hormone einander gerade in saumseliger Feierabendlaune zuprosten. Systemkritik? Mann, geh Adorno lesen, ich will meine Laufdaten sehen!

In Deutschland haben sich 24 000 Nutzer angemeldet, weltweit sind es weit mehr als eine halbe Million. Man wird dazu animiert, im Netz ein Ziel zu formulieren und eine Art Verpflichtung. Wer sein Ziel erreicht, kommt in die Hall of Fame, wer scheitert, in die Hall of Shame: Am Ende dieser kurzen Spots wird man aufgefordert: "Komm in die Galerie. Fördere Deine Sucht!"

Nun hat sich ja allgemein die Macht der Communities herumgesprochen. Viele Firmen haben linkische Corporate Blogs als Austauschforen geschaffen. Aber wer geht denn freiwillig auf die Homepage einer Firma, um deren Produkte zu diskutieren? Wie viel raffinierter ist es, dass einem die Seite das liebste Hobby archiviert. Und kann es bessere Marktforschung geben, als sich diese Laufcommunity und ihre momentan laufenden 2600 Wettbewerbe anzuschauen?

In diesen Wettbewerben kann man gegeneinander fünf Meilen laufen. Oder sehen, wer innerhalb eines Monats die meisten Kilometer gerannt ist. Familien, die über die Welt verteilt sind, laufen gegen- oder füreinander, momentan gibt es beispielsweise den "100 Kilometer Run for Mom's Birthday". Nach einigen Tagen postet einer der Teilnehmer den schönen Satz: "Hey Mom, wie wär's damit: wer als erster 50 Kilometer hat, zahlt dem anderen eine Pediküre? Die Zehen brauchen etwas Liebe nach der ganzen Arbeit."

Nach dem Finale der Fußball-WM in Frankreich gab es das Gerücht, dass der völlig indisponierte Ronaldo nur auflief, weil Sponsor Nike Druck gemacht hatte. Einer der Verantwortlichen soll über den Vertrag mit Ronaldo gesagt haben, die Firma wolle nicht nur den Fußballer, "sondern den ganzen Menschen".

Hier ist er endlich, der ganze Mensch. Samt Pediküreproblemen, Lauftagebuch und Bewegungsmelder. Die Leute malen ja auch noch minutiös auf, wo sie gerade langgelaufen sind. Nike weiß also immer, wo wir sind. Huxley hatte keinen blassen Schimmer, wie schön die neue Welt werden würde. Das Ganze dürfte eine der erfolgreichsten Kampagnen der Werbegeschichte sein.

Während andere Sportbekleidungshersteller schwer unter der Rezession leiden, explodieren bei Nike seit einigen Monaten die Verkaufszahlen. Auf der Homepage dreht sich ein Kilometerzähler, der alle registrierten Kilometer zählt, jede Woche schneller, momentan läuft die weltweite Community 140 Kilometer in der Minute. In der Werbebranche überschlagen sich die Gerüchte, welche Sportarten Nike als nächste vernetzen will.

Und es gibt längst eine Art Zulieferindustrie: Man kann sich Sounds herunterladen, die angeblich Spitzensportler wie Lance Armstrong und Paula Radcliffe für ihr Training verwenden. Der DJ Steve Boyett aus Los Angeles stellt in seinem Podcast "Podrunner" eigene Mixes zusammen, bei denen alle Stücke in ein und demselben Rhythmus durchlaufen. Leider sind die Tracks technoide Soundmassaker für den Willen zur Macht, sie erinnern an Woody Allen im Punkkonzert, der zu seiner Freundin sagt:

"Lass uns abhauen, wenn sie aufhören zu spielen, nehmen sie sicher Geiseln." Andererseits passt die Brachialmusik zu den Sprüchen, mit denen Nike alle Teilnehmer auffordert, miteinander ins Gespräch zu kommen: "Sag ihnen, dass sie so schnell laufen können, wie sie wollen, sie werden trotzdem nur deinen Staub schlucken."

© SZ vom 11.4.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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