Austernbänke:Eine neue französische Krankheit

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Das Gourmet-Land Frankreich hat ein Problem: Eine rätselhafte Seuche rafft die Austern-Bestände dahin.

Johannes Willms

Nach einer alten Faustregel sollten Austern nur in Monaten verzehrt werden, deren Namen ein "r" enthält. Mit anderen Worten: Zwischen Mai und August, also während der wärmeren Monate des Jahres, war es früher angeraten, auf den Genuss dieser von zwei felsenharten Schalen geschützten Mollusken zu verzichten. Diese Regel ist dank moderner Transportmethoden nicht mehr gültig, weshalb es längst üblich ist, dass Austern selbst an küstenfernen Orten das ganze Jahr über serviert werden.

Die Austern sind von einer rätselhaften tödlichen Krankheit befallen. (Foto: Foto: Istock)

Jetzt könnte es aber, zumindest im Gourmet-Land Frankreich, zu Problemen beim Nachschub kommen, denn die einjährigen Jungaustern, die erst im Winter 2010 geerntet werden sollen, sind von einer rätselhaften tödlichen Krankheit befallen. Zwischen 40 und 100 Prozent der Jungausternbestände sind nach Angaben der rund 20.000 französischen Austernproduzenten bereits dahingerafft worden.

Bei den zweijährigen Austern beläuft sich die Ausfallquote auf rund 15 Prozent, deutlich höher als die normale Sterberate, die mit acht Prozent beziffert wird. Befallen von der rätselhaften Seuche sind nur die französischen Austernbänke im Atlantik und im Mittelmeer mit Ausnahme des Bassin d'Arcachon in der Mündung der Gironde in Südwestfrankreich, nicht aber die kleineren Austernbänke bei den der Normandie vorgelagerten englischen Kanalinseln.

Hinsichtlich der Ursachen dieser neuen "französischen Krankheit" ergehen sich die Experten bislang noch in Mutmaßungen. Die einen erklären das Phänomen mit giftigen Algen, die sich dank der höheren Wassertemperatur in den Ozeanen besonders stark vermehrt hätten. Andere verweisen auf die ungewöhnlich große Zunahme von Plankton, dem Hauptnahrungsmittel der Austern, die sich daran buchstäblich überfressen und an Verdauungsstörungen verenden. Am plausibelsten erscheint indes die Vermutung, dass die Jungaustern einem dem Herpes verwandten OHS-V1 Virus in Kombination mit dem Bakterium Vibrio splendidus zum Opfer fallen, beide eine notorische Gefahr für die Austernbestände.

Dass diese Erreger in diesem Jahr besonders aggressiv sind, wird mit dem milden Winter und dem regenreichen Frühjahr in Zusammenhang gebracht. Nicht ausgeschlossen aber auch, dass der allzu dichte Besatz der Austernbänke, der von der linken Bauerngewerkschaft Confédération Paysanne kritisiert wird, eine wesentliche Ursache für die Vermehrung von Viren und Bakterien ist.

Was auch immer die Ursache des Austernsterbens ist, den "ostréiculteurs", die pro Jahr rund 130.000 Tonnen der schmackhaften Mollusken produzieren, droht eine wirtschaftliche Katastrophe. Der französische Landwirtschaftsminister Michel Barnier verließ eine Tagung der Welthandelsorganisation, um Austernproduzenten an der französischen Atlantikküste den Beistand der Regierung in Paris zu versichern.

Er kann gleich nach Nizza weiterreisen, denn dort herrscht anderes Ungemach: eine Plage von Feuerquallen bislang ungekannten Ausmaßes, die das Baden im Meer zwischen Cannes und Nizza weitgehend unmöglich macht. Die Ursache ist bekannt: die Überfischung der Tunfischbestände, die sich vor allem von diesen Quallen ernähren.

Wenigstens eine gute Nachricht gibt es aber doch für die Feinschmecker: Die dreijährigen Austern, die in diesem Jahr vor allem zu Weihnachten und Silvester tonnenweise geschlürft werden, sind nach Auskunft von Experten fleischiger und gesünder denn je.

© SZ vom 26.07.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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