Abenteuer Arktis (15-17):Fast am Nordpol

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Wind, Sonne - und eisige Temperaturen: Unsere Reporterin hat fast den Nordpol erreicht. Eine große Wasserstelle sorgte allerdings für Probleme.

Birgit Lutz-Temsch

Sonntagvormittag: Es ist unglaublich kalt: minus 27 Grad, sonnig - aber es herrscht ein Wind von 8 Metern in der Sekunde, der die Temperatur noch viel kälter scheinen lässt. Zwischendurch gab es plötzlich eine große offene Wasserstelle. Das ist kein Zeichen für Klimawandel, sondern kommt trotz der Kälte immer wieder mal vor. Aber es hat uns drei Stunden gekostet, sie zu umgehen. Immerhin - wir sind fast da: 89° 58,5 Nord, 110° 20,4 West ist unsere Position und wir driften mit rund 500 m/h in Richtung Ost-Süd-Ost. In wenigen Stunden dürften wir am Pol sein.

Zelten im ewigen Eis: Am härtesten ist der Moment des Aufwachens. (Foto: Foto: Lutz-Temsch)

Samstagmittag: Als wir um zehn Uhr wieder starten, haben Wind und Drift nachgelassen, es hat allerdings eisige minus 29 Grad und das Eis ist wieder anspruchsvoller. Weil einige in unserem Team nicht ganz so fit sind, gehen wir langsamer. Das ist mir jedoch auch nicht ganz unrecht: Ich habe einen wahnsinnigen Husten und bin total erkältet.

Gut geht es mir trotzdem: Dieses Licht, diese Farben, das Wetter - die Bilder, die ich hier jede Minute vor Augen habe, entschädigen mich für alles. Auch dafür, dass ich meine Handschuhe keine Minute ausziehen kann, ohne mir Erfrierungen zu holen und dass wir wegen der Kälte immer nur fünf Minuten Pause machen. Mehr Pause geht nicht - sonst wird es zu kalt.

Freitagnachmittag, 14.30 Uhr: Wir sind eineinhalb Stunden Flug mit dem Helikopter geflogen, 170 Kilometer quer über den Nordpol und versuchen nun unser Glück von der anderen Seite. Unsere neuen Koordinaten: 89° 48,5 Nord und 129° 30,4 West. Bei einer Temperatur von minus 27 Grad und Sonne beginnen wir, über die Eisberge zu klettern. Die Drift hilft uns jetzt, wir gehen quasi mit ihr mit. So schaffen wir in vier Stunden zehn Kilometer.

Freitagmittag, 13 Uhr: Wir befinden und auf dem Breitengrad 88,39 und sind dabei, zum Nordpol aufzubrechen. Wir werden mit dem Hubschrauber losfliegen - der uns dann an der Stelle absetzt, von der aus es zu Fuß weitergehen soll. Es gibt nur ein Problem: Es gibt wahnsinnig schnelle Drifts.

Das führt dazu, dass eine Expeditionsgruppe gerade verzweifelt. Sie gehen tagsüber auf den Nordpol zu - und driften nachts wieder zurück. Mehr als einen Kilometer pro Stunde werden die Eisschollen abgetrieben. Aus diesem Grund bringt der Hubschrauber uns zur kanadischen Seite, dann laufen wir mit dem Drift.

Noch ein Satz zur Kälte: Heute Nacht war es noch kälter als Minus 30 Grad. Man darf bloß nie denken: "Das geht schon", und dann ohne Gesichtsmaske vor das Zelt gehen. Ein kleiner Fehler und schon gibt es Erfrierungen.

Jetzt aber geht es los - der Hubschrauber wartet bereits.

Mittwochmittag: Matty McNair und Rima Chai, zwei Frauen aus Singapur, werden mit einer Waffe ausgestattet, ehe sie den letzten Breitengrad auf Skiern zum Nordpol zurücklegen. Die beiden Frauen werden auf Skiern den letzten Breitengrad zum Nordpol zurücklegen; es ist möglich, dass sie auf Eisbären treffen. Etwa 20 Tage soll dieser Trip dauern, am Pol werden sie mit dem Hubschrauber abgeholt. Unser Start verzögert sich, weil ein Teilnehmer noch zu schwach ist. Teamleiter Viktor plant deshalb für die kommenden Tage Ski-Training im Eis.

Die Koordinaten: Das Camp von Barneo befand sich am Dienstagabend auf 88° 59′, am Mittwochmorgen ist das Eis bereits weiter gedriftet auf 88° 57′. Die Scholle, auf der sich das Camp befindet, bewegt sich also sehr schnell vom Pol weg, 400 bis 500 Meter pro Stunde Richtung Süden.

Am Nordpol: Die Marathonläufer hissen hektisch Fahnen - und stehen anschließend etwas orientierungslos herum. Das Eis sieht aus wie rund um Barneo, für die Läufer geht es aber ums Prinzip - sie wollen am Pol gewesen sein.

Morgens im Expeditionszelt: Es ist die erste Testnacht im Zelt ohne Heizung oder Ofen. Es ist saukalt. Draußen hat es nach wie vor 29 Grad minus. Das Aufwachen ist ein harter Moment. Ein Moment, in dem man sich fragt: "Was mache ich hier eigentlich? Will ich das wirklich?" Man muss sich zusammenreißen und den Ofen schnell in Gang bringen, um die Temperatur im Zelt auf den Gefrierpunkt zu heben. Ohne Handschuhe und nur mit Fleecepullover bekleidet kann man sich nur wenige Minuten bewegen. Schnell kühlt der Körper so extrem aus, dass es schmerzt und ewig dauert, bis man wieder beweglich und einsatzbereit ist.

Dienstag, 20 Uhr: Wir wachen auf und kochen noch einmal vor der Nacht im Mannschaftszelt.

Dienstag, 16 Uhr: Der absolut schönste Moment, den ich hier bisher erlebt habe: Der Benzinkocher beginnt das Zelt zu erwärmen. Das erste Teewasser aus Schnee ist zubereitet und der Daunenschlafsack wärmt den Körper. Endlich die Augen zumachen und schlafen. Schnell einschlafen sollte man, denn der Benzinkocher wird während des Schlafens natürlich ausgemacht, das Zelt kühlt extrem schnell wieder aus.

Dienstag, 13 Uhr: Wir haben immer noch nicht geschlafen. Endlich fangen wir an unser Zelt aufzustellen. Wenn man immer im Kalten ist, kommt irgendwann der Punkt, an dem man nicht mehr kann und nur noch ins Warme will.

Zurück im Camp: Barneo ist nach wie vor ein Behelfscamp, weshalb sich die Verpflegung etwas schwierig gestaltet. Auf der Suche nach Essbarem lande ich im Zelt der Piloten. Dort bollert in der Mitte ein Ofen. An den Füßen herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt, der Kopf ist in warme 25 Grad gehüllt. Die Piloten stellen eine riesige Pfanne Makkaroni auf den Tisch. Alle langen hungrig zu. Wir sind unter gastfreundlichen Russen - da wird keine Mahlzeit ohne mindestens drei Wodka beendet. Aber es gibt auch sonst Grund zum Feiern: Die Russen haben die Landebahn im Eis konstruiert - ein echtes Kunststück!

10 Uhr morgens, Barneo: Die Marathonläufer stolpern noch immer durchs Eis. Es liegen bis zu 20 Zentimeter Schnee, der Untergrund ist extrem uneben aufgrund der Eispressungen, es herrschen fast minus 30 Grad. Einige Sportler wirken verzweifelt. Einer verlangt nach seiner Mutter. Andere wollen nur noch weinen. Sie umgibt am Ende des Laufes ein regelrechter Eispanzer. Am Ende aber winkt vielen von ihnen der "Grand Slam" - das heißt, sie sind auf allen sieben Kontinenten plus am Nordpol einen Marathon gelaufen.

Mittlerweile kommt eine weitere große Maschine aus Longyearbyen an. An Bord: Skitourengeher mit dem Ziel Nordpol. Wir fliegen die Gruppe weiter ins Eis an den Ausgangspunkt ihrer Tour. Ein sehr spannender Moment: Der Hubschrauber fliegt dicht über dem Eis, wir lassen die Schlitten runter, die Expeditionsteilnehmer springen hinterher. Der Hubschrauber entfernt sich schnell, die Zurückgelassenen schrumpfen im Nu zu winzigen Punkten im Nichts. In ein paar Tage werde ich an ihrer Stelle sein.

5.30 Uhr, Barneo: In der Zwischenzeit hat der Organisator den Marathon-Parcours abgesteckt. Die Marathoniken, 22 Läufer, ziehen sich geschlossen im Mannschaftszelt um. Der Startschuss zum eisigsten aller Marathonläufe fällt.

In Barneo: Das Eis-Camp besteht bislang aus zwei großen Zelten. Der Flug aus Longyearbyen hat eine Gruppe von Marathon-Läufern zu ihrer eisigen Laufstrecke gebracht. Aus dem Flugzeug heraus geht es unmittelbar weiter zum Nordpol. Der Flug mit dem Heli beträgt ungefähr 45 Minuten, weil die Eisdrift das Camp bereits sehr weit vom ursprünglichen Ausgangspunkt abgetrieben hat.

Dienstagmorgen, 2 Uhr: Ankunft in Barneo. Die Landebahn nahe des Eiscamps ist extrem kurz, doch der Pilot bremst so stark, dass das Flugzeug gerade mal die Hälfte der Bahn benötigt, um zum Stehen zu kommen. Die Außentemperatur beträgt minus 29 Grad Celsius. Die Sonne taucht die Landschaft in eisblaues Licht.

Montagabend, 23 Uhr: Abflug aus dem Basislager Longyearbyen, Ziel: Barneo. Das Eis, über das wir fliegen, ist eine kompakte weiße Fläche, mit sichtbaren Eispressungen durchzogen. Es gibt kaum offene Wasserflächen oder -straßen wie im Sommer.

Unsere Autorin wird bei ihrer Rückkehr aus der Arktis ausführlich über den Marathon und weitere Erlebnisse aus dem Eis berichten.

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