Zum Tod von Kurt Vonnegut:Der lachende Asteroid 25399

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Von der Selbstmörderfront in den Krieg und zurück: Der wundersame Autor großartiger Romane wie "Slapstick" ist im Alter von 84 Jahren gestorben.

Willi Winkler

Wenn der Japaner glaubt, es sei die Zeit zum Sterben gekommen, schließt er die Fenster und begeht Selbstmord. Der Amerikaner aber, so hat der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Paul Schrader einmal behauptet, öffne dann das Fenster und beginne andere zu erschießen.

Das ist natürlich ein sehr amerikazentrisches Weltbild und schon deshalb falsch, weil sich nicht wenige amerikanische Schriftsteller selber umgebracht haben, sei es mit Hilfe von Frauen, Alkohol oder, more classico, mit dem Gewehr.

Der Schriftsteller Kurt Vonnegut, der am Mittwoch im Alter von 84 Jahren gestorben ist, gehört in diese zerstörerische Tradition, denn er kommt aus einer Selbstmörderfamilie. Seine Mutter brachte sich um, als er noch ein Kind war. Sein Sohn Mark glitt als Erwachsener in eine tiefe Depression, aus der er sich allerdings wieder befreien konnte.

Vonnegut selber verlor sich nach dem Welterfolg seines Romans "Schlachthof Fünf" (1969) ebenfalls in einer lebensgefährlichen Depression und glaubte, nie wieder ein Buch schreiben zu können. 1984 unternahm er einen halbherzigen Versuch, sich mit Schlaftabletten das Leben zu nehmen. Danach entschloss er sich für den "stilvollen" Suizid durch chronisches filterloses Rauchen.

Ein letzter Witz mit perfektem Timing

Auch damit scheiterte er und starb einen recht unheroischen Tod nach Verletzungen, die er sich bei einem Sturz zugezogen hatte. Für den Autor von "Slapstick" (1976), einem der großen komischen Romane des vorigen Jahrhunderts, ein letzter Witz mit perfektem Timing.

Für Vonnegut war die Welt ein nicht besonders gut geführtes Irrenhaus, in dem er sich nur mit Mühe einrichten konnte. Wer im Irrenhaus lebt, kennt das Problem: Sind denn alle verrückt oder bin es nur ich? Vonnegut entschied sich dafür, der Welt durch bösartiges Schreiben den Schaden heimzuzahlen, den er durch sie erleiden musste.

1922 kam er im wenig schönen Indianapolis zur Welt (die Stadt hat das laufende Jahr etwas verspätet zum ,,Vonnegut-Jahr'' erklärt) und durchlief die schriftstellerübliche, vielfach scheiternde Karriere, ehe er durch seinen sechsten Roman reich und berühmt wurde,

Seine Abschlussarbeit ("Das Wechselspiel von Gut und Böse in einfachen Geschichten") an der Universität von Chicago wurde zu Recht als unakademisch abgelehnt; er wusste es einfach besser.

Die Welt von Gut und Böse war doch längst aus den Fugen und am besten von weit draußen, aus dem Weltraum, zu beobachten. Vonnegut brachte sich und seine Familie als Werbetexter durch, unterrichtete als Aushilfslehrer an der Schule und schickte seine Science-fiction-Geschichten wenig erfolgreich an die großen und kleinen Magazine.

In seinem ersten Roman "Player Piano" (Das höllische System, 1952) machte er sich schon über die bürokratische Welt der alles beherrschenden Großkonzerne lustig und war damit bereits als Negativling fertigkategorisiert. Vonnegut entwickelte sich zum typischen paperback writer, erfolgreich bei einer wachsenden Gefolgschaft, ohne dass man ihn zur Literatur oder auch nur zur handelsüblichen Bestsellerklasse gerechnet hätte.

Im Feuersturm von Dresden

Der Vietnamkrieg brachte den Durchbruch. "Slaughterhouse-Five" erschien 1969, als Richard Nixon an der Macht war, bereits der dritte amerikanische Präsident, der versprach, diesen Krieg zu beenden, nur um ihn noch weiter zu eskalieren.

Der Feuersturm in Dresden, von dem Vonnegut berichtete, schien sich jeden Abend live zu wiederholen, wenn das Fernsehen zeigte, wie die amerikanischen Bomber den vietnamesischen Dschungel kahl sprühten und die widerständigen Menschen mit Napalm verbrannten. Der wenig tapfere Soldat Vonnegut war 1944 in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten und erlebte mit, wie im Februar 1945 alliierte Bomber Dresden zerstörten. Er wurde beim Beseitigen der Toten eingesetzt und sah mit eigenen Augen, wie die Leichen aus Seuchenschutzgründen mit dem Flammenwerfer eingeäschert wurden.

Wer da nicht verrückt wurde, der hatte keinen Verstand zu verlieren. Anders als in dem Vernichtungskitsch, wie ihn der deutsche Historiker Jörg Friedrich in seinem Buch "Brand" zur Freude seiner entschuldungsbedürftigen Leser feilbietet, nennt der gnadenlose amerikanische Satiriker den Dresdner Brand zwar ein "Kunstwerk", kann ihm aber nichts Schönes abgewinnen.

Mit einer Lakonie, für die Ernst Jünger sofort seinen Lieblingskäfer hergegeben hätte, berichtet Vonnegut von diesem doppelten Feuertod, um dann den Bogen zur Gegenwart zu schlagen: "Jeden Tag meldet mir meine Regierung die Zahl der Leichen, die dank der Militärwissenschaft in Vietnam zustande kamen. So ist das." Passenderweise gehört "Schlachthof Fünf" zu den Büchern, die an amerikanischen Schulen am häufigsten auf den Index gelangten; eine besonders eifrige Elternschaft hat die Botschaft dieses "Kinderkreuzzugs" (wie der Roman mit seinem zweiten Titel heißt) am besten verstanden und ließ es gleich verbrennen.

Das Kriegsopfer Kurt Vonnegut konnte nicht aufhören, sich über den Irrsinn in der Welt zu amüsieren. In "Gott segne Sie, Mr. Rosewater" (1965) oder "Galgenvogel" (1979) zeigte sich Vonnegut als der bedenkenlose Humorist, der Mark Twain gern gewesen wäre.

In einer seiner letzten Arbeiten verwahrte sich der Veteran gegen den Vorwurf, ein wehrkraftzersetzender Defätist zu sein: "Unsere Chefs sind machttrunkene Schimpansen. Ihre Moral ist wie der Leib der Soldaten in lauter Teile zerschossen. Diese Soldaten werden, anders als ich damals, so behandelt wie das Spielzeug, das ein reiches Kind von seinen Eltern zu Weihnachten bekommen hat."

Ein Autohändler im All

Wie Norman Mailer ("Die Nackten und die Toten") und Joseph Heller ("Catch-22") bleibt auch Vonnegut vor allem mit seinem Kriegs- oder Antikriegsroman in Erinnerung.

Es war bei allen dreien das große Abenteuer ihrer Jugend, und sie alle kehrten schwer beschädigt daraus zurück. Vonneguts Buch ist ein weiterer Beweis für die durchschlagende Wirkungslosigkeit großer Literatur; nicht nur kann sich "jedes Arschloch damit identifizieren", wie Peter Handke einmal sagte, es lernt auch niemand etwas daraus.

In einem Anfall von Verzweiflung, die selbst seinen Humor überstieg, wünschte sich Vonnegut zuletzt den verbrecherischen Richard Nixon zurück, weil der wenigstens nicht so kenntnisfrei und ahnungslos gewesen sei wie der verantwortungslose Kriegsherr George W. Bush.

Für die großen defätistischen Männer der amerikanischen Kriegsgeneration, für Norman Mailer, Joseph Heller und Vonnegut, wird leider nie ein Heldendenkmal aufgerichtet werden. Nicht einmal das Monument des unbekannten Deserteurs gibt es, an dem man ihrer in aller Form gedenken könnte.

In den Fünfzigern versuchte sich Vonnegut ebenso kurz wie erfolglos als Autohändler und glaubte tatsächlich, er könne seinen Landsleuten Saabs verkaufen. (Aber kann er das ernst gemeint haben?) Vonnegut war sich sicher, dieses kommerzielles Scheitern sei schuld daran, dass er nie nach Stockholm reisen durfte, um dort den Nobelpreis in Empfang zu nehmen. Aber seit vor acht Jahren C. W. Juels den Asteroiden 25399 entdeckt und ihm den Namen Vonnegut gegeben hat, ist dieser wundersame Autor im Himmel und kreist bis in alle Ewigkeit durchs All. Nein, danke der Nachfrage, nein, mehr kann man als Schriftsteller kaum erreichen.

© SZ vom 13. April 2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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