Zum Prozess gegen Jürgen Emig:"Das machen doch alle"

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Die Verantwortlichen des Hessischen Rundfunks sind nach dem Urteilsspruch gegen ihren korrupten Ex-Sportchef fein raus: Sie haben nichts gewusst und nichts geahnt.

Hans Leyendecker

Jürgen Emig ist selbst in den Sumpf geritten. Habgier, Maßlosigkeit, Selbst-überschätzung haben ihn dazu gebracht, sein Pferd immer heftiger anzutreiben. Immer mehr. Immer schneller. Mehr als eine halbe Million Euro aus Schleichwer-bung und als Schmiergeld steckte er in die eigene Tasche. Er kassierte heimlich Bares dafür, dass Sportereignisse ins Fernsehen kamen, die sonst so nicht im Fernsehen zu sehen gewesen wären.

Muss alleine büßen: Ex-HR-Sportchef Jürgen Emig. (Foto: Foto: dpa)

Das Pferd ritt er zuschanden; es ist hin. Ganz egal, ob Emig mit einer etwaigen Revision Erfolg haben sollte und vielleicht den Gang ins Gefängnis doch noch vermeiden kann: Der ehemalige Abteilungsleiter Sport-Fernsehen des Hes-sischen Rundfunks war korrupt.

Die kriminologische Forschung definiert Korruption etwas weitschweifig als "Missbrauch eines öffentlichen Amtes, einer Funktion in der Wirtschaft oder eines politischen Mandats - zugunsten eines anderen, auf dessen Veranlassung oder aus Eigeninitiative, zur Erlangung eines Vorteils für sich oder für einen Dritten". Korruption ist also der Missbrauch eines öffentlichen Amtes zu privaten Zwecken. Die Gießener Professorin Britta Bannenberg hat vor einer Weile 101 Urteile in Korruptionsfällen gesichtet, um den typischen Corrupti zu finden: Er sieht Emig sehr ähnlich.

Die meisten Täter waren älter als 40 Jahre. Sehr "ehrgeizig, berufsorientiert". Sie hätten, schrieb Frau Bannenberg, "grundsätzlich legale Wertvorstellungen" und wollten dennoch illegal abkassieren.

Die Mehrheit der Täter sei eher sozial angepasst und integriert. In den von Frau Bannenberg gesichteten Urteilen finden sich typische Begründungen für den gewöhnlichen Betrug: "Ich spare dem Staat/der Firma Geld, da kann ich auch für mich zusätzlich etwas annehmen". "Ich kümmere mich unter hohem Einsatz um die Durchführung von Projekten, da will ich auch verdienen wie die Privaten". "Das macht doch jeder, wenn er kann, ich schade doch keinem".

Emig hat immer wieder darauf hingewiesen, dass er dem Sender viele Millionen Zusatzeinnahmen verschafft habe. Eine Frage tauchte in dem Verfahren immer wieder auf, um dann gleich wieder zu verschwinden: Wer hat ihm das Pferd ei-gentlich zur Verfügung gestellt? War er mit einer Tarnkappe unterwegs, hat nie-mand gewusst, was er machte?

Pragmatiker der Macht

Die Verantwortlichen des Hessischen Rundfunks tun gern so, als habe ein Kri-mineller den Gaul aus dem Stall gestohlen und sei dann losgeritten. Keiner habe etwas wissen können. Das ist, wie der Prozess auch zeigte, ziemlicher Unsinn: Es gab früh Hinweise, dass Emig die Hand aufhielt. Sie wurden hartnäckig ignoriert. Die Kontrolle durch den Sender funktionierte nicht. Die Revision war entweder lustlos oder überfordert. So was gibt es, viele Branchen erleben ihre Katastrophen und haben danach ihre Probleme mit dem Balken im eigenen Auge.

Aber warum muss ein öffentlich-rechtlicher Sender, der im Jahr etwa 464 Millionen Euro zur Verfügung hat, die zum allergrößten Teil aus Gebühren finanziert werden, sich Übertragungen von Ereignissen, die er senden möchte, bezahlen lassen? Wäre Emig der Held des Senders gewesen, wenn er nur akquiriert und nichts für sich abgezwackt hätte?

Und muss dem Zuschauer nicht mitgeteilt werden, dass er das, was er sieht, nur deshalb sieht, weil ein Externer die Übertragung ganz im Stillen finanziert hat? Und wie ist solche Akquise, bei der Schleichwerbung systemimmanent ist, mit der journalistischen Unabhängigkeit zu vereinbaren, die zumindest für die öffent-lich-rechtlichen Sender gelten sollte?

Dazu ist in diesem Prozess nicht viel gesagt worden. Intendant Helmut Reitze stritt als Zeuge jede Verantwortung ab. Nichts gewusst, nichts geahnt, hereingelegt. Politische Verantwortung aber kann auch Haftung für Versäumnisse bei der Kontrolle meinen: "Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungwidrig", heißt es im Paragrafen 130 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. Unter Punkt 2 steht: "Betrieb oder Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist auch das öffentli-che Unternehmen".

Pragmatiker der Macht lächeln solche Hinweise weg. Cosi fan tutte - so machen es alle.

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