Zu viel des Guten:Zu viel des Guten

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Die unerhörte Ballung von Klassik-Open-Airs in der Stadt

Von Rita Argauer, München

Konkurrenz wird wirtschaftlich als treibende Kraft gesehen. Muss man sich gegen einen Mitbewerber durchsetzen, spornt das vermeintlich an und treibt die Qualität nach oben - so die spätkapitalistische Idealvorstellung. Manchmal kann Konkurrenz aber auch lähmen. Wenn etwa die Qualität der Konkurrenten schon auf recht hohem Niveau ist und die Entscheidung für eine Seite rein praktisch unmöglich wird. Bei Konkurrenzveranstaltungen ist das sehr oft der Fall. Deren oft einziger und nicht sonderlich erfreulicher Effekt ist Entscheidungsnot. Denn da geht es nicht mehr um Qualitätsverbesserung, da geht es schlicht darum, dass gleichzeitig zwei Dinge stattfinden, die sehenswert sind. Und es fördert weder Qualität noch den Spaß an der Sache, wenn beide Veranstaltungen weniger Publikum haben, als sie haben könnten.

In München müsste man sich - wenn man sich zu den Klassik-Open-Air-Fans zählt - am kommenden Wochenende sogar dreiteilen. Klassik am Odeonsplatz präsentiert an zwei Tagen das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und die Münchner Philharmoniker inklusive hochrangiger Solisten. Das Gärtnerplatztheater lädt samt seinem Orchester etwas bodenständiger, aber qualitativ nicht minder schön am Sonntag zum Gärtnerplatz-Open-Air. Und im Brunnenhof der Residenz tritt am Samstag der Pianist Joseph Moog auf. Schuld an dieser Ballung ist eigentlich niemand: Der Termin für Klassik am Odeonsplatz wurde etwa schon vor drei Jahren festgelegt, vom Gärtnerplatz-Open-Air habe man da noch nichts gewusst. Außerdem gab es in diesem Jahr an den wenigen Sommerwochenenden noch eine ganz andere Konkurrenz: die Fußball-EM.

So bleibt nicht viel übrig, als sich auf eine Form von Musik einzulassen, die Ende der Neunzigerjahre eine letzte Hochzeit hatte: das Mash-up, die Holzhammer-Methode der Musikverbindung. Wüst werden dabei Pop-Songs zusammenklatscht, um möglichst viel Refrain-Anteil herauszuschlagen. Beim Klassik-Open-Air-Overkill-Wochenende dürfte sich das an gewissen Orten in der Innenstadt dann wie folgt anhören: In der Residenzstraße, also zwischen Feldherrnhalle und Brunnenhof, wird am Samstag Debussys fein-klirrende "L'Isle Joyeuse" aus dem Brunnenhof mit dem Beat von Ravels "Boléro" unterlegt, den die Münchner Philharmoniker auf dem Odeonsplatz spielen. Und tags darauf dürften sich die BR-Symphoniker samt BR-Chor gerade in den Anfangstönen von Schumanns "Nachtlied" befinden, wenn die schwedische A-Cappella-Gruppe The Real Group aus dem Brunnenhof der Chor-Stimme auf dem Odeonsplatz quasi als Backing-Vocals ihre Vokal-Versionen von Mozart bis Michael Jackson anbietet.

Das Gärtnerplatz-Open-Air ist - was die Reichweite des Schalls betrifft - außer Konkurrenz. Doch programmatisch passiert dort am Sonntag die stilistische Vereinigung des Odeonsplatz-Brunnenhof-Mash-ups: Opern-Arien, etwa Mathias Hausmann mit "Fin ch'han dal vino" aus dem "Don Giovanni" treffen auf Operetten-Schlager und Musical-Klassiker. Also, besser man fällt eine Entscheidung - der musikalische Genussfaktor dürfte dann höher liegen. Und wer weder auf Gärtnerplatzorchester noch auf die BR-Symphoniker verzichten möchte, dem bleibt noch eine Matinee. Denn das Gärtnerplatzorchester spielt am Sonntagvormittag zudem noch eines seiner Barock-Kammerkonzerte im Stadtmuseum, bevor man sich nachmittags dessen Soundcheck auf dem Platz anhören könnte, um dann weiter an den Odeonsplatz zu ziehen.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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