Zensur in China:Der große Bruder

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Wenn die Aufpasser kein Englisch verstehen, gehen auch harmlose Berichte über China derzeit in die Hose. Wie die Berichterstattung kurz vor Olympia massiv behindert wird, musste nicht nur ZDF-Korrespondent Johannes Hano schmerzlich erfahren.

Janis Vougioukas

Plötzlich wurde das Bild schwarz. Mitten in der Live-Übertragung im ZDF-Morgenmagazin hatten die chinesischen Zensoren die Satellitenleitung zur ZDF-Zentrale in Mainz unterbrochen. Drei Wochen liegt der Vorfall inzwischen zurück, doch ZDF-Korrespondent Johannes Hano weiß bis heute nicht, was an dem Tag genau passierte.

Kleinere Schwierigkeiten bei Ausübung des Jobs: ZDF-Korrespondent Johannes Hano auf der Großen Mauer. (Foto: Foto: ZDF/Roth)

Es sollte ein völlig harmloser Bericht über die Große Mauer werden, Chinas Stolz und Wahrzeichen. Die Sendung war ordnungsgemäß bei den chinesischen Behörden angemeldet worden, die Genehmigung hatte sieben Monate gedauert.

Rund 30 Sicherheitsleute hatten die Mauer weiträumig abgesperrt und die Wachtürme auf der Mauer besetzt. Die Zufahrtsstraßen waren geschlossen worden, die Bauern in der Nachbarschaft hatten ihre Felder verlassen müssen.

Und Hano stand mit dem amerikanischen Experten David Spindler auf der Mauer und hatte gerade seine erste Frage gestellt - da sprangen drei chinesische Aufpasser mit ausgestreckten Armen vor die Kamera. Man konnte noch für ein paar Sekunden den irritierten Hano sehen, er sagte in die Kamera: "Wir wissen nicht, was hier los ist", dann war das Bild weg.

Internationales Einweihungsfest für ein runderneuertes Land

"Offenbar konnten sich die Chinesen nicht vorstellen, dass ein Amerikaner tatsächlich über die Große Mauer spricht. Die chinesischen Aufpasser verstanden die englischen Antworten des Interviewpartners nicht und hatten Angst, dass etwas in die Hose geht", sagte Hano später.

Nach knapp einer halben Stunde hitziger Telefonverhandlungen mit dem Pekinger Außenministerium durfte das ZDF-Team seine Reportage fortsetzen. Doch eine offizielle Erklärung gab es bis heute nicht.

Am 8. August beginnen in Peking die Olympischen Sommerspiele. Das ganze Land hat viele Jahre auf dieses Datum hingearbeitet. Und von Anfang an ging es um viel mehr als nur um den Sport: Die Olympischen Spiele sollten das internationale Einweihungsfest für ein runderneuertes Land werden, der globale Tag der offenen Tür für ein selbstbewusstes und stolzes, neues China.

Als die Vollversammlung des Internationalen Olympischen Komitees im Juli 2001 entschied, die Sommerspiele 2008 nach Peking zu vergeben, war gleich klar: Die Olympischen Spiele würden auch das größte Medienereignis der Welt werden.

Journalisten werden zu Schönrednern

30.000 Journalisten werden in Peking erwartet. Die Europäische Rundfunkunion EBU soll rund 450 Millionen Dollar für die Übertragungsrechte ausgegeben haben. Das amerikanische Fernsehnetzwerk NBC soll sogar fast 900 Millionen Dollar in die Spiele investiert haben und will rund eine Milliarde durch Werbeeinnahmen erlösen.

China hatte bei seiner Olympiabewerbung eine "völlige Freiheit" in der Berichterstattung versprochen. Doch zwei Wochen vor der Eröffnungszeremonie ist die Vorfreude der Sportreporter dem Frust gewichen. "Die Fernsehsender werden nicht so berichten können, wie sie es gewohnt sind", heißt es diplomatisch aus IOC-Kreisen.

"Ich habe meine Zentrale gewarnt, ihre Erwartungen runterzuschrauben", sagt eine englische Fernsehjournalistin. Und Walter Johansen, Olympiateamchef von ARD und ZDF, meint: "Wir gehen davon aus, dass unsere Berichterstattung nicht beeinträchtigt wird, und dass in Deutschland ankommt, was wir dorthin senden wollen." Es klingt wie eine vage Hoffnung.

Lesen Sie auf der zweiten Seite über einen möglichen Boykott.

Doch inzwischen gehen alle Beteiligten davon aus, dass der plumpe Zensurversuch bei dem ZDF-Interview auf der Großen Mauer keine Ausnahme bleiben wird.

"Die Sicherheitsbestimmungen erreichen paranoides Niveau. Und für alle Medien ist normales, freies Arbeiten kaum noch möglich", sagt Guardian-Korrespondent Jonathan Watts, der auch Präsident des Pekinger Clubs der Auslandskorrespondenten ist.

Über 260 Fälle von Beeinträchtigung der Medienberichterstattung hat die Organisation seit Anfang vergangenen Jahres protokolliert. Immer wieder wurden Korrespondenten verhaftet, Recherchematerial wurde beschlagnahmt oder zerstört, es gab mehrere Fälle von direkter körperlicher Gewalt gegen ausländische Reporter. Auch die "heute-journal"-Moderatorin Marietta Slomka musste zuletzt erfahren, dass völlig freie Berichte nicht möglich sind.

Überwältigt vom Gegenwind

Watts glaubt, dass China ursprünglich durchaus freie Berichterstattung ermöglichen wollte. Seit Anfang 2007 dürfen Korrespondenten in China ohne vorherige Genehmigung der Regierung im Land reisen. "In anderen Ländern mag das selbstverständlich sein", sagt Watts, "doch für China war das ein großer Schritt."

Der Wendepunkt waren die Tibetproteste Mitte März. Die chinesische Regierung war überwältigt von dem Gegenwind und den Protesten, die der Olympischen Fackel bei ihrer Rundreise um die Welt begegneten. Seitdem ist die größte Sorge der chinesischen Regierung, dass Demonstrationen die Pekinger Propagandainszenierung stören könnten. Dutzende Neuregelungen haben die Arbeitsbedingungen der Olympiaberichterstatter seitdem weiter verschärft.

Livesendungen von symbolträchtigen Orten wie dem Platz des Himmlischen Friedens wurden vollständig untersagt. Erst nach einem achtstündigen Krisengespräch zwischen Fernsehmanagern, Olympiaoffiziellen und chinesischen Beamten gab es einen Kompromiss: zwischen 6 und 10 Uhr morgens und zwischen 21 bis 23 Uhr abends darf jetzt live vom Tiananmen-Platz gesendet werden.

Bei manchen Drehorten müssen Interviewpartner vorher genehmigt werden. Die chinesische Regierung würde Journalisten wohl am liebsten in die Stadien einsperren. Meist sind es gar nicht die konkreten Vorschriften, die den Olympiaberichterstattern die Arbeit erschweren, das Problem ist die verworrene chinesische Bürokratie: das System.

"Eine Art Massenaufmarsch wie unter Mao"

Dutzende Genehmigungen müssen eingeholt werden. Selbst Taxifahrer geben inzwischen keine Interviews mehr ohne die Zustimmung des Olympiavorbereitungskomitees, Benzin für die Übertragungswagen ist rationiert, und ausländische Führerscheine werden in China nicht anerkannt. Mitarbeiter bekommen keine Einreisegenehmigungen, der chinesische Zoll weigert sich, Fernsehausrüstung ins Land zu lassen, und kein chinesischer Beamte traut sich derzeit, auf eigene Verantwortung Entscheidungen zu treffen.

Völlig unklar ist, wie Chinas Aufpasser reagieren, wenn ein ausländischer Athlet sich plötzlich im Interview das T-Shirt von der Brust reißt und eine China-kritische Parole entblößt. Wird das Fernsehbild dann wieder schwarz?

Der Sportchef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens France Télévisions hat gedroht, die Spiele zu boykottieren, sollte Peking Fernsehbilder möglicher Demonstrationen zensieren. Ob das passiert, ist noch unklar. Doch ein Fernsehmann sagt: "Ganz sicher werden die Olympischen Spiele in Peking kein großer Spaß für Besucher und Teilnehmer, eher eine Art Massenaufmarsch wie unter Mao." Seinen Namen will er lieber nicht in der Zeitung lesen.

© SZ vom 24.07.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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