ZDF in der Krise?:Der amerikanische Freund

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Werbung, Seichtheit, Befangenheit: Chefredakteur Nikolaus Brender versucht, beim ZDF neue Standards zu definieren, und intern wird heftig gestritten. Ob dem Sender die Trendwende gelingt?

Christopher Keil und Hans Leyendecker

Immer wieder mal ringt das ZDF um das richtige Sendungsbewusstsein - allerdings wurde selten am Lerchenberg so heftig gestritten wie in diesen Tagen: Ist die Auslandsberichterstattung zu seicht, wer ist befangen oder dient mehr seinem Absender als dem Sender? Die Journalisten zoffen sich gewaltig.

Streitbarer Chefredakteur: Nikolaus Brender. (Foto: Foto: dpa)

Vor ein paar Monaten hatten angesehene Korrespondenten des ZDF wie Uwe Kröger (New York), Ruprecht Eser (London) oder Klaus Prömpers (Wien) öffentlich die Auslandsberichterstattung des Senders kritisiert, die angeblich immer oberflächlicher geworden sei. Das Zweite, so war im Fachblatt Gong zu lesen, habe sich boulevardesk entwickelt.

Die Reaktion war entsprechend: "Dreist" und "unverschämt" fand Elmar Theveßen, Chef der Hauptredaktion Aktuelles, die Kritik der Kollegen. Die Beanstandungen seien "so falsch, wie sie nur sein können". Der "Vorwurf der Verseichtung" sei "absurd".

Er stehe "an der Spitze von 250 Mitarbeitern, die jeden Tag zur Arbeit kommen, um die besten Informationssendungen jedes Genres im deutschen Fernsehen zu machen. Sie haben diese Art des Umgangs nicht verdient". Dass die Kritiker sich in einem Blatt wie Gong geäußert hätten, nehme er "Ihnen und Euch persönlich übel!"

Kritische Stimmen mehren sich

Theveßen, der selbst sechs Jahre lang Auslandskorrespondent war und auch stellvertretender Chefredakteur ist, hat im Sender an Einfluss gewonnen. Er ist Inspirator und Vormann von Task-Forces, die bei Themen wie Doping, Steuerskandal Liechtenstein oder Telekom-Affäre im Bereich des recherchierenden Journalismus auf Niveau kommen soll.

Andererseits hatten die drei Alten nur nachgelegt. Zuvor war Ulrich Tilgner, preisgekrönter ZDF-Nahost-Korrespondent, nach 26 Jahren verabschiedet worden und umgehend als Kritiker aufgefallen.

Diese Woche trat Tilgner, der jetzt für das Schweizer Fernsehen arbeitet, in einem Interview nach: Die Schweizer Außenpolitikredakteure seien "feinfühliger", während in Deutschland Kollegen "nur bedingt sachkundig" seien. Moderatoren wie Marietta Slomka, die neulich in Peking war, träten "immer häufiger auch vor Ort auf, aber nicht, um Erfahrungen zu sammeln, sondern um ihre Omnipräsenz zu verstärken".

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung stand und steht ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender, der selbst Auslandskorrespondent war. Die Zeit der "diplomatischen Korrespondenten" sei vorbei, meint er. Reporter, die das nicht verstünden, seien "stehen geblieben".

Und wo stehst Du?

Wo einer steht und wo er nicht stehen darf, ist Brenders derzeitiges Hauptthema. Distanz halten, als Anwalt der Bürger den Mächtigen auf die Finger gucken, sich selbst kundig machen, dann die Zuschauer informieren und ihre Urteilsfähigkeit stärken - das ist sein Credo.

Die wichtigsten Journalisten des Hauses wurden jüngst nach Mainz geladen, um über die hausinternen Regeln zu diskutieren. Unabhängigkeit verlangt Brender von seinen Leuten. Eine Arbeitsgruppe soll bei der Chefredaktion eingerichtet werden. Im Hausjargon heißt die Gruppe "Befangenheitskommission", mancher nennt sie auch spöttisch "Wahrheitskommission".

Brender verweist darauf, dass es Befangenheitsregeln seit Jahrzehnten bei Blättern wie der New York Times oder der Washington Post gebe. "Unabhängigkeit und Unbefangenheit", sagte er, seien gerade im heraufziehenden Bundestagswahlkampf 2009 "lebensnotwendig" fürs ZDF.

Die Fälle, die ihn umtreiben, sind nicht dramatisch, aber aus Sicht Brenders markieren sie das Problem. Ausgerechnet Kritiker Prömpers, der ZDF-Mann in Wien, tauchte bei einer Diskussion über den 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag als Diskutant auf.

Eine Beschränkung der Öffentlich-Rechtlichen grenze den Zugang zu umfassenden und ausgewogenen Informationen unnötig ein, hatte Prömpers erklärt. Das hätte auch Brender sagen können, aber Prömpers hatte sich nicht als ZDF-Mitarbeiter, sondern als Sprecher für Medienpolitik des Zentralkomitees der deutschen Katholiken geäußert.

Da war der Fall eines sehr freien ZDF-Mitarbeiters, der Reserveoffizier ist, im Pressestab der Bundeswehr in Afghanistan war und für das Heute-Journal einen Beitrag über die Bundeswehr in Afghanistan ablieferte. Oder der Fall der Moderatorin Maybrit Illner, die Journalistin und Lebensgefährtin des Telekom-Chefs René Obermann ist.

Als die Telekom-Affäre begann, forderte Brender eine Talkshow zum Thema Bespitzelung. Die Redaktion hatte andere Pläne, die Lage eskalierte intern. Brender wollte die Sendung. Illner war, zunächst, dagegen. Warum? Brender schlug vor, dass ein anderer, etwa der Leiter des Hauptstadtstudios, Peter Frey, oder Bettina Schausten, Leiterin der Innenpolitik, die heikle Talkshow leiten könne, er hätte es auch selbst gemacht, aber dann lud Illner eine Runde ein - und moderierte selbst.

Im Ergebnis stand die schlechteste Quote im ersten Halbjahr. Es war kein tolles Gespräch. Auffällig war außerdem, dass Talkshows anderer Redaktionen und Sender den brisanten Fall liegengelassen hatten.

Für Brender ging es ums Prinzip: Hochprofessionell hätte er es gefunden, wenn Illner selbst das Thema vorgeschlagen und einen anderen auf ihren Platz gebeten hätte. Zelebrierte Unabhängigkeit. Andererseits hätte dann eine Diskussion begonnen, wann Frau Illner noch befangen sei. Die Dame und ihre Redaktion jedenfalls waren nicht begeistert über den Chefredakteur.

PR für Unicef? "Ist ehrenhaft"

Wann ist einer befangen? Der Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Frey fragte bei der Sitzung in Mainz etwas provokativ, ob er denn noch unbefangen den SPD-Chef Kurt Beck interviewen könne. Der sitze im Verwaltungsrat des ZDF und entscheide somit auch über seinen, Freys, Vertrag.

Heute-Moderator Steffen Seibert merkte an, er sei im Beirat von Unicef. Geht das? Brender hält solches Engagement, wie er in der Runde anmerkte, für "ehrenhaft". Dennoch müssten Fernsehgesichter häufiger "Nein" sagen, wenn Interessengruppen mit ihnen werben wollten.

Falls jemand als Botschafter einer Organisation auftrete, müsse ihm der Interessenkonflikt klar sein. Engagement und Beruf dürften nicht kollidieren. Es dürfe "keine Grenzüberschreitungen" geben.

Ist es also richtig, dass Peter Hahne, zweiter Mann im Hauptststudio, in der Bild am Sonntag eine Kolumne hat? Brender: "Warum nicht?" Und was ist mit Johannes B. Kerner, der für Air Berlin warb? Er hatte zwar vorher die Verantwortlichen informiert und "kein Mensch sah darin ein Problem", sagte Kerner. Aber Brender befand: "Ein Journalist wirbt nicht."

Kerner erklärte in einem Interview, er habe sich aus diesem Bereich des Senders etwas mehr Rückhalt erwartet. Keine Namen. Jeder wusste, wen er meinte: Brender. Kerner ist ein kompliziertes Beispiel. Für Brenders Abteilung wirkt er als mit Preisen bedachter Fußball- und Olympia-Moderator, im weiten Sinne also journalistisch. Für Belluts Bereich ist er der Show-Kerner.

Vertragsverwirrung

Immerhin sind jetzt Werbeaktivitäten genehmigungspflichtig. Vielleicht sorgt auch die unterschiedliche Behandlung des Themas Werbung für Konflikte. In der von Programmdirektor Thomas Bellut geleiteten Unterhaltung des ZDF sind Werbeverträge, sofern sie angemeldet werden, unter Umständen erlaubt. Wo das ZDF Informationen liefert, sind sie tabu. So konnte Heute-Journal-Moderator Claus Kleber nicht für eine Spiegel-Anzeigenkampagne eingesetzt werden, obwohl er das Geld gespendet hätte.

Kerner posiert sehr bald mit neuen Fotos für Air Berlin, und diese Fotos sind Teil des alten, noch nicht genehmigungspflichtigen Vertrages. "Manche Verträge gehen lebenslang", hat Brender im kleinen Kreis gespottet. Der Vertrag von Kerner mit Air Berlin endet im Februar 2009. Einer Verlängerung würde Programmdirektor Bellut vermutlich nicht mehr ohne weiteres zustimmen, obwohl er mit Kerners Werbeaktiväten für Wurst keine Probleme hat.

Der Unterschied sei, erklärt ein Beteiligter, dass Kerner den Air-Berlin-Chef Hunold in seiner ZDF-Talkshow auftreten ließ - wenn auch vor Abschluss des Vertrages mit der Fluglinie.

Wenn wirklich amerikanische Maßstäbe beim Sender gesetzt würden, müsste vermutlich selbst der Chefredakteur neue Regeln lernen. Sein Kollege Leonard Downie Jr. von der Washington Post tritt nicht im Fernsehen auf, geht zu keiner Party und liest selbst die Meinungsartikel im eigenen Blatt nicht - um seine Objektivität nicht zu gefährden.

Bei einem der früheren Lokalchefs der Chicago Tribune stand auf dem Schreibtisch ein Schild mit dem Spruch: "Wenn Deine Mutter sagt, sie liebt dich, überprüfe es". Das ZDF hat da noch einen weiten Weg vor sich.

© SZ vom 12./13.07.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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