Zadie Smith "Von der Schönheit":Das Gelb der Menschen

Lesezeit: 4 min

Mit viel Virtuosität zeigt Zadie Smith eine Welt, die sich in immer mehr Widersprüchen und Gegensätzen verstrickt. Am Ende geht selbst die Schönheit im Chaos auf.

Tobias Heyl

Howard Belsey, gescheitert in so ziemlich allen Rollen, in denen ein Mann scheitern kann, starrt auf eine Powerpoint-Präsentation. Sie zeigt ein Stück Haut, gemalt von Rembrandt, Detail eines Gemäldes seiner geliebten Hendrickje. Immer stärker vergrößert der Computer den Bildausschnitt, bis nur noch die einzelnen Pinselstriche zu erkennen sind. ,,Kalkiges Weiß, lebendiges Rosa, darunter venöses Blau und dieses allgegenwärtige, zutiefst menschliche Gelb, ein Hinweis auf das, was kommen würde.'' Kann ein liebeskranker Kunsthistoriker einsamer sein?

"Porträt der Hendrickje Stoffels" von Rembrandt aus dem Jahr 1660. (Foto: Foto: AP)

So traurig und so zart endet Zadie Smiths dritter Roman ,,Von der Schönheit'', ein süffiger, wunderbar komischer Gesellschaftsroman. Ort der Handlung ist die kleine und sehr weiße Universitätsstadt Wellington, die man sich irgendwo in der Gegend von Boston vorstellen muss.

Keine gemeinsamen Ideen und Werte, alles ist ein großes Chaos

Seit zehn Jahren ist Howard Belsey dort ohne greifbares Ergebnis damit beschäftigt, das Genie Rembrandts zu dekonstruieren - ein Job, der nicht eben fröhlich macht. Und seine Stimmung sinkt noch tiefer, als sein größter Konkurrent Monty Kipps an seine Universität berufen wird: Ein konservativer Gelehrter, der sich in den besten Traditionen seines Fachs geborgen fühlt und dafür mit einer mustergültigen Karriere belohnt wird.

Nun ist Belsey ein Weißer, (noch) verheiratet mit der dunkelhäutigen Kiki und vielleicht auch deshalb tief durchdrungen von allen Prinzipien liberalen Denkens und politischer Korrektheit. Kipps wiederum ist ein Schwarzer, und er verdächtigt jeden Versuch, gegen rassistische Diskriminierung mit politischen Mitteln vorzugehen, als besonders subtile Form der Diskriminierung.

Passen also schon die Kollegen Belsey und Kipps nicht in die übliche politische Ordnung, dann macht ein Blick auf ihre Familien die Sache noch komplizierter. Die Belsey-Kinder sind das Resultat jenes pädagogischen Laissez-Faire, das in den letzten zwanzig Jahren in den Kinderzimmern der westlichen Welt praktiziert wurde. Tochter Zora studiert und steht politisch links. Jerome muss seinen Eltern als glatter Reinfall erscheinen, denn er fühlt sich zu pietistischer Frömmigkeit berufen.

Levi schließlich jobbt mal hier, mal da, und daran wird sich wohl auch nichts mehr ändern. Bei den Kipps hat es immerhin Michael in der Finanzwelt zu etwas gebracht. Seine Schwester Victoria studiert noch. Was einmal aus ihr wird, ist noch nicht abzusehen. Sie als rattenscharf zu bezeichnen ist politisch vielleicht nicht korrekt, entspricht aber den Tatsachen.

Man sieht an dieser Aufzählung der Hauptfiguren, dass in Wellington die scheinbar unumstößlichen Regeln, nach denen Erfolg und Scheitern, Weltanschauungen und Religiosität in einer Gesellschaft verteilt sind, außer Kraft gesetzt sind. Die aufgeklärt-liberalen Belseys müssen sich mit einem streng religiösen Sohn herumschlagen, die strengen Eltern Kipps ahnen schlimmstenfalls, wie und wie oft es ihre Tochter mit den Männern treibt. Es gibt keine gemeinsamen Ideen und keine gemeinsamen Werte, die diese Menschen zusammenhalten, alles ist ein großes Chaos.

Victoria sorgt dafür, dass dieses Chaos nicht zur Ruhe kommt. Ihre Lust und ihre unwiderstehliche Wirkung auf Männer lässt die Herren Belsey - zuerst den zögernden Sohn, dann den höchst bereitwilligen Vater - vergessen, dass sie zum verhassten Kipps-Clan gehört.

Zadie Smith, Von der Schönheit, Roman. Aus dem Englischen von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006. 512 S., 22,90 Euro. (Foto: Foto: Kiepenheuer & Witsch)

Später lässt sie sich mit einem Rapper ein, um den es an der Fakultät großen Streit gab, weil ihm dann die Stelle eines Hip-Hop-Archivars zugeschanzt wurde. Vater Kipps sieht so etwas natürlich gar nicht gern. Wo Victoria gerade nicht zur Stelle ist, durchbrechen die Damen Kipps und Belsey die Fronten und treffen sich im Geheimen, zu Tee und Apfelkuchen. Warum sollten die kleinlichen Streitereien ihrer Männer sie daran hindern?

Je weiter man in diesem Roman vorankommt, desto mehr staunt man über die Virtuosität, mit der Zadie Smith um den Konflikt der Belseys und Kipps weitere Erzählstränge wickelt, bis am Ende ein ungemein plastisches und detailfreudiges Bild des Planeten Wellington entstanden ist, bis in den Jargon kleiner Nebenfiguren präzise und liebevoll gezeichnet.

Das Betriebsklima in einem großen Elektronikmarkt interessiert sie genauso wie die ermüdenden Gremiensitzungen an der Universität, die steifen Dinners ebenso wie eine lange Nacht im Kreise pubertierender Dichter. Das sind eben die Bühnen, auf denen sie sich ihre Figuren durch Familien-, Liebes- und Berufsintrigen kämpfen müssen. Aber am Ende erwartet alle ein ähnliches Schicksal: Ihre tapfer verteidigten Prinzipien und Ideale, ja, auch ihre großen Gefühle erweisen sich als wenig haltbar. Bis zur Durchschnittlichkeit blamiert, verlassen sie den Schauplatz.

Abschied von der Hoffnung auf immer bessere Zeiten

In sehr komischen Szenen zeigt dieser Roman, dass, wenn es sie denn jemals gab, die Zeiten vorbei sind, in denen uns unsere politischen, moralischen und sonstigen Präferenzen in die Wiege gelegt wurden. Für die neokonservative Position kann sich auch ein Schwarzer entscheiden, der seine Herkunft bewusst verleugnet und kein Problem damit hat, ein Verhältnis mit einer Studentin einzugehen, die er nachträglich aus seinem Seminar feuert. Dabei hätte es seiner eigenen Tochter genauso ergehen können. Denn Victoria holt sich die Männer, die sie braucht, um sich nach Gebrauch wieder von ihnen zu verabschieden.

In diesem Chaos der nunmehr zweifelhaften Überzeugungen und Gefühle findet Smith das Material für einen Gesellschaftsroman, der, wörtlich verstanden, einer der letzten seiner Gattung sein müsste. Die einst sicher geglaubten Ordnungen existieren nicht mehr, vielleicht weil sie auf dem Irrtum basierten, die Gesellschaft bewege sich, wie langsam und umständlich auch immer, von Generation zu Generation auf bessere Zeiten zu.

Stattdessen aber schlägt sie Haken oder bewegt sich im Kreis oder legt auch einmal den Rückwärtsgang ein. Diese Bewegungen zeichnet der Roman nach. Ihr Werk, schreibt Zadie Smith zu Beginn, sei E.M. Forsters Roman ,,Wiedersehen in Howard's End'' verpflichtet, dessen Grundkonstruktion sie fast hundert Jahre später nach Wellington verlegt habe.

Der Abschied von der Hoffnung auf immer bessere Zeiten macht vielleicht nicht glücklicher, wirkt aber ungemein befreiend. Davon vermitteln Smiths Figuren schon einmal eine Ahnung. Mal mehr, mal weniger freiwillig üben sie sich in der Kunst der Desillusionierung. Sie werfen immer mehr Ballast ab, werden immer leichter. Und wenn man den Titel dieses Romans nicht ganz falsch versteht, werden sie dabei irgendwie auch ein bisschen schöner. Soviel Pathos sollte noch erlaubt sein.

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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