Youtube-Party in USA:Varieté der Weltverbesserer

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YouTube feiert sich in seiner ersten Live-Gala in San Francisco selbst, mit Katy Perry, einem Küchenmixer und dem Friedensnobelpreis für Videoblogger.

Christian Kortmann

Hätte man vor wenigen Jahren auch nicht geahnt, dass die Zukunft der Abendunterhaltung in einem kitteltragenden Laboranten, der Gegenstände in einem Küchenmixer püriert, sowie einem Mann in Darth-Vader-Kostüm besteht, der ihm Fast-Food und einen Kehrbesen zum Zerkleinern anreicht.

Live und in Echtzeit: Die YouTube-Gala läuft immer noch im Internet. (Foto: Screenshot: YouTube)

Doch genau das war eine der typischen Szenen der Samstagnacht, als die Internetvideoplattform YouTube sich im Fort Mason Center in San Francisco selbst feierte. Es standen eben jene Künstler auf der Bühne in Form eines riesigen "Play"-Pfeiles, die zunächst als skurrile Randerscheinungen im Internet wahrgenommen worden waren, sich dann jedoch im Aufmerksamkeitswettkampf bei YouTube durchgesetzt hatten.

Nun stiegen sie von der Guckkastenbühne des Flashplayers hinab in die Bühnenrealität und bewiesen, dass dies selbst auf den ersten Blick keine abwegige Idee dar. Schließlich ist YouTube der größte Talentschuppen aller Zeiten, man hat alles im Repertoire, was ein Medienzirkus braucht: DJs, Sänger, verrückte Wissenschaftler, Selbstdarsteller, Asphaltkunstturner, Sarah-Palin-Parodistinnen und Tänzer sowieso.

Moderiert wurde der Abend von Videobloggern wie Lisa Nova und Michael Buckley. Diese digitalen Dampfplauderer machten das besser als von Zufall und Agentengeschick auf Galabühnen gespülte Schauspielerinnen. Und von der unfassbar präsenten Ansagerstimme des "Chocolate Rain"-Sängers Tay Zonday lässt man sich einfach gerne hypnotisieren. Der Kulturbetrieb hat die YouTube-Solisten noch nicht abgeschliffen. Sie bleiben eigenwillig, kennen keine Genreerwartungen, die es zu erfüllen gilt.

Globale Entertainment-Gala der Zukunft

Konzert, Party und die Essenz einer Kultur hatte man versprochen, einen Querschnitt dessen, was in der Welt der Clips erfolgreich ist, ob es nun von der Musikindustrie gepuscht oder aus dem Wohnzimmer des Amateurs in die Videocharts geklettert ist. Die Show wurde also anders als Oscars oder MTV-Awards nicht von überwiegend dem gleichen kulturindustriellen Komplex entstammenden Künstlern bestritten.

Ebenfalls neu an dieser globalen Entertainment-Gala der Zukunft war der Übertragungsweg: "Ladies and gentlemen, turn on your computers!", begrüßte Sängerin Katy Perry das Publikum. Denn die Show war (und ist immer noch: youtube.com/live) nur im Internet zu sehen, live und in Echtzeit. Als User ist man sein eigener Regisseur und kann zwischen drei Kameraperspektiven wählen: Bühne, Backstage, Publikum.

Bis jetzt stand YouTube für den individuellen Zugriff der Nutzer auf gespeicherte Clip-Bruchstücke. Die Live-Premiere war der Versuch einer Zusammenführung des nach Partikularinteressen atomisierten Publikums zu einem Zeitpunkt an einem Ort (oder zumindest vor dem Computer), die erstmalige Materialisierung der Crowd, der begeisterten Masse, die zu jeder Unterhaltungskultur dazu gehört, bei YouTube bislang aber nur in den millionenfachen Abspielvorgängen der Clips präsent war. Der Crowd, die dann nur ein größerer Haufen war, wurden 120 straffe Showminuten geboten, ohne Werbeunterbrechung, dafür mit souverän integriertem Produktplacement.

Kurzweilig war die Show vor allem wegen ihres Varietécharakters. Die Nummern waren neu und dennoch sichere Publikumslieblinge, da im Netz erprobt. In den besten Momenten zeigte sich, wie eine Erneuerung des Glamours von den Graswurzeln an aussehen könnte. So spielte der Rockgitarrist Joe Satriani zusammen mit dem bei YouTube zu Ruhm gekommenen Gitarristen Jeong-Hyun Lim und einem "Guitar Hero"-Spieler, der im Computer die Instrumentenbeherrschung nur simulierte. Bemerkenswert, wie hier Primärkultur und Fankultur homogen verschmolzen und etwas Neues entstand: Dem Showgeschäft tut solch eine Frischzellenkur sehr gut.

Die Stärke der Basis hat auch eine politische Dimension. Spätestens der diesjährige US-Wahlkampf zeigte, dass bei YouTube nicht nur Künstler, sondern auch Politikstars gemacht werden. Deshalb durfte Sänger Will.I.Am in San Francisco nicht fehlen, dessen "Yes We Can"-Musikvideo Barack Obamas tärkstes Argument in Clipform war.

Friedensnobelpreis des Videobloggens

Der eigenen Bedeutung bewusst, zauberte man einen "YouTube Visionary Award" aus dem Hut, der wohl als Friedensnobelpreis des Videobloggens zu verstehen ist. Er ging an Königin Rania von Jordanien, die in ihrem YouTube-Kanal für Toleranz zwischen Arabien und der westlichen Welt wirbt. Bevor das Varieté allzu gravitätisch und staatstragend wurde, bedankte sie sich für den Preis in einer ironischen Videobotschaft: "Ich mache diese Videos nur, weil Kamele nicht auf Skateboards passen." Lustige Tiervideos wären erfolgversprechender als politische Botschaften, wenn man es in die Clip-Charts schaffen will.

Bei allem Spaß traf Rania von Jordanien damit einen wunden Punkt. Denn leider, und das schmälerte die Entertainment-Erneuerungskraft im Ansatz, wurden ausdrücklich nicht die besten, sondern die quantitativ erfolgreichsten YouTube-Künstler gezeigt. So könnte auch diese Show den Weg aller irdischen Galas in Richtung Volkstümlichkeit einschlagen. Immer wieder wurde in den Anmoderationen die Zahl der Abspielvorgänge eines Clips genannt, als sei diese per se signifikant für die Qualität. Dieses Auswahlverfahren berücksichtigt nicht, dass manche Clips durch bezahlte, externe Verlinkungen gefördert werden, während andere im übergroßen Angebot untergehen wie eine Flaschenpost mit undichtem Korken.

Das Problem besteht darin, dass YouTube selbst nicht genau weiß, was sich im Angebot befindet. Momentan werden pro Minute 13 Stunden neues Filmmaterial hochgeladen. Wer sollte diese Bildermenge systematisch sichten und die Schätze heben? Deshalb entscheidet hauptsächlich die Gunst der User, ob etwas gelungen oder irrelevant ist. So war die Show in San Francisco ein präzises Abbild der Vorlieben des von den Nutzern dominierten Web 2.0: ein exaltierter Kessel Buntes mit einer großen Geste Wohlfühl-Weltverbesserungspolitik.

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