Wozu noch Journalisten?:Elend an der Bushaltestelle

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Wir brauchen Journalisten, weil sie Denkfaulheit bekämpfen. Das fiktive Gespräch eines arbeitslosen Journalisten mit Sokrates und Platon.

Maria Bernarde Benning

"Wozu noch Journalisten?", lautete die "Preisfrage" des Schreibwettbewerbs der Hamburger Akademie für Publizistik. 44 Autoren sandten Beiträge ein, wir dokumentieren die Artikel der drei Preisträger. Die Preise waren mit 2000, 1000 und 500 Euro dotiert. Die freie Journalistin Maria Bernarde Benning gewann mit ihrem fiktiven Gespräch eines arbeitslosen Journalisten mit Sokrates und Platon auf dem Arbeitsamt den zweiten Preis.

Statue des griechischen Philosophen Sokrates (470 - 399 vor Christus). (Foto: Foto: SV)

Ein sokratisches Gespräch im Job-Center

Zwei Arbeitsberater, Sokrates und Platon, teilen sich ein Büro.

Sokrates: 'Wozu noch Journalisten?' steht heute an. Ist ja zu erwarten, dass die jetzt massenweise kommen. Wir haben noch Zeit. Platon, bitte guck mal in Erlbruchs "Die große Frage". "Wozu noch Journalisten?"

Platon liest: "Um zu gehorchen", antwortet der Soldat. "Um die Meere zu befahren", sagt der Matrose. "Um das Leben zu lieben", der Tod. Platon blättert. Journalist kommt nicht vor.

Sokrates: Also selbst denken. Was würde der Journalist antworten?

Platon: Wahrscheinlich, dass er auf der Welt ist, um die Welt zu beschreiben.

Sokrates tippt: Und warum braucht die Welt das nicht mehr?

Platon: Die Leute machen das jetzt wohl selbst.

Sokrates tippt, murmelt: Wozu dann noch Journalisten?

Platon: Noch: Nicht mehr, aber noch nicht. Heilsgeschichtlicher Vorbehalt. Noch ist Dazwischen-Sein, weiß ich aus dem Studium.

Sokrates: Ich bin nicht fürs Schlaumeiern. Dazwischen ist Käse in der Stulle. Beim Studium, Platon, weißt du am Ende nur, dass du nichts weißt. Vertrau auf die Hebammen-Technik. Alle Menschen tragen das, was sie wissen wollen, immer schon in sich - wie die Schwangere das Kind. Man muss es nur rausholen, das Wissen.

Platon: Na, wozu dann noch Journalisten?"

Sokrates: Hm, ... diese Frage "wozu noch ...?" lässt als Antwort nur Lob zu. Die Tür geht auf, ein Journalist kommt rein und klagt: Da hab ich immer treu gedient und jetzt will die Herrschaft mich schlachten.

Sokrates: Da tut die Herrschaft gut daran. Wozu soll es Sie schon noch geben?

Journalist schnappt nach Luft.

Platon: Nehmen Sie's nicht persönlich. Geht vielen so. Berufe sterben aus. Erst der Setzer, jetzt der Journalist. Viele haben ihren Erlebensfall erlebt.

Journalist: Also, ich weiß nicht.

Platon: Dann bringe ich mal an, was ich weiß - aus Wikipedia.

Sokrates: Du mit deinem Wissens-Wahn.

Platon: Prä-Journalismus, Hoch-Journalismus, Spät-Journalismus. Der Übergang zum Post-Journalismus ist geprägt von Googleismus und Bloggismus. Alles prognosegemäß.

Sokrates: Platon, bitte! Denk an die Hebamme. Zum Journalisten gewandt: Keine Angst. Der erste Schritt ist gemacht: Sie sind im Job-Center. Damit liegen Sie schon in den Wehen. Jetzt kann das Kind kommen.

Journalist: Welches Kind? Ich bin Single und treibe mich nur auf der Singlebörse im Web herum.

Sokrates: Spaß beiseite. Wozu noch Journalisten? Was kann ein Journalist?

Journalist: Dabei sein, aber nicht dazu gehören.

Platon: Das ist kein Alleinstellungsmerkmal, sondern das Lebensgefühl einer ganzen Generation.

Sokrates: Kann er sonst noch was?

Journalist: Fakten zusammentragen und aufbereiten.

Platon: Copy - paste - kopieren - einfügen? Sie wollen nicht behaupten, das wäre was Besonderes, oder?

Journalist: Beobachten kann er.

Platon: Tja. Das wäre vielleicht was. Ich muss Ihnen aber sagen, dass sich das Agora-TV nicht durch Beobachtung auszeichnet. Ideologie und Interpretation first, heißt es da. Beobachten und beschreiben, was man sieht, kommt zu kurz.

Sokrates: Ich gucke nie Fernsehen. Fühle mich damit überfahren. Tiere verlieren im Straßenverkehr ja häufig auch nicht nur ihr Leben, sondern ihre dritte Dimension. So...

Platon: Sokrates. Ich dachte, du wolltest Hebamme sein. Jetzt kriegst du selbst Kinder.

Sokrates kichert: Warum arbeiten Sie nicht frei, Herr Journalist?

Journalist: Habe mir dabei das Genick gebrochen finanziell... hatte einen Gebrauchtwagenhandel.

Sokrates: Autos?

Journalist: Ja, hab' auf intellektuellen Gebrauchtwagenhandel gesetzt statt auf Neuwagen. Ich sehe was, was du auch siehst - solche denkfaulen Produkte habe ich angeboten. Für so was zahlt keiner mehr.

Platon: Zu Recht. Journalisten, die berühmt werden, weil sie die Berühmten berühmen, haben nicht wirklich ein interessantes Produkt im Portfolio.

Sokrates: Wie gut, dass wir eine intellektuelle Abwrackprämie ausschütten dürfen. Erledigt also. Sie sollten jetzt Ihre Stärken in den Blick nehmen, Herr Journalist.

Journalist: Meine Stärken? Die Leser bleiben weg. Also Stärken, ich weiß nicht ..

Platon: Früher war der Lehnstuhlreisende der Prototyp des Lesers, heute sind alle auf Achse.

Sokrates: Dann ist der Lehnstuhl frei. Schulen wir den Journalisten zum Leser um. Weitere Maßnahmen?

Platon: Name-Dropping-Verbot, Celebrity-Stop.

Sokrates tippt: Ce ..le ..bri - ty. Herr Journalist, welche Eigenschaften haben denn alle Journalisten?

Journalist: Jeder will sich einen Namen machen.

Platon: Oh. Das ist gut. Wer eitel ist, bringt sich nicht um.

Sokrates: Stimmt nicht, Platon! Odysseus etwa hätte, nachdem er den Kyklopen besiegte, einfach davon segeln können. Aber er wollte nicht "Niemand" bleiben und verriet seinen Namen. Dadurch setzte er sein Leben aufs Spiel.

Platon: Sich profilieren um jeden Preis ist nicht teamfähig.

Sokrates tippt: Team-Training braucht der Journalist. Ist er ein Mann?

Journalist runzelt die Stirn. Hä?..

Platon: Morbus Männlich - ein Nachteil bei der Vermittelbarkeit. Ein Mann denkt mit dem Schwanz, will immer an die Macht wie der Hund an den Knochen. Dem Jahrbuch Journalismus 09 zufolge ist der Journalist immer noch männlich. Der Markt will Weibliches.

Journalist: Soll ich mich geschlechtsumwandeln?

Platon: Sie können die Information ja erst mal sacken lassen. Umgang mit Information ist doch Ihr Spezialgebiet.

Journalist: Das ist richtig. Ich sage den Volontären immer: Wir arbeiten wie die Improvisationslehrer. Wie Lee Strasberg, der mit Schauspielern die Szene "Warten an der Bushaltestelle" übte. Den Zuschauern sagte Strasberg, die Szene spiele im KZ, im Vorraum einer Gaskammer. So etwas macht auch der Journalist: Fakten einbetten. Das Publikum von Strasberg war damals übrigens tief bewegt. Viele weinten. Obwohl die Schauspieler etwas völlig Harmloses darstellten, hatte jeder das ultimativ Schreckliche gesehen - mit eigenen Augen. Auch ein Journalist definiert Kontext und Bedeutung. Sokrates: So etwas kann der Journalist? Na, da sage ich jetzt aber klipp und klar, so etwas sollte er nicht können. Das zerstört Vertrauen.

Platon: Sokrates, das finde ich jetzt nicht Hebammen-mäßig.

Sokrates: Schon gut ... Können Sie sich an journalistische Ideale erinnern, die Sie mal hatten?

Journalist richtet sich auf (wie der Todgeweihte im Thriller): Früher ... ich wollte mal stille Tage im Klischee mit Lärm erfüllen. Die sichere Papierebene aus Besserwisserei verlassen.

Sokrates: Ja, ja, weiter so. Und heute? Können Journalisten etwas, was nur Journalisten können?

Journalist: Das ist doch der Spruch mit den Friseuren .... ?

Platon: Nachrichtenagentur Barbier. Alte Bärte abrasieren, Tee trinken, Neuigkeiten austauschen, Schnittstellen bilden. Im Orient ... und le Figaro auch ..

Sokrates: Platon!

Platon: Was denn? Wir brauchen den Journalisten als fliegenden Teppich. Wir brauchen ihn, damit wir wie im Märchen Mauern durchdringen und Wände transparent machen können. Wir brauchen ihn, weil wir alle in der Großfamilie Welt leben wollen und sie deshalb auch ein bisschen verstehen müssen.

Sokrates: Du überfährst ihn.

Journalist: Nein, nein ... Platon meint, die Erde ist ein Runder Tisch.

Sokrates und Platon ziehen die Augenbrauen hoch: Das sollen wir gesagt haben?

Journalist: Nein, aber ein Journalist kann noch etwas: Zuspitzen. Und: Er kann Truth to the power geben. Das ist und bleibt der Lackmustest für Qualitäts-Journalismus. Mut haben, die Mächtigen und ihre lauten Wahrheiten in Frage zu stellen.

Sokrates: Jetzt gibt er plötzlich Antworten. Das sind die Presswehen! Weiter so!

Journalist: Wir brauchen den Journalisten, weil er Denkfaulheit bekämpfen und Dynamik in verkrustete Verhältnisse bringen kann.

Platon: Ja! Jetzt kommts raus.

Sokrates: Tut er denn auch, was er kann?

Journalist: Er muss es tun, sonst braucht ihn kei ...

Sokrates: Jetzt ist es raus, das Kind. Bravo. Herzlichen Glückwunsch! Sie waren sehr tapfer!

Platon: Es ist ein Mädchen.

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